Ein "fehlerfreundlicher" Gott?
Gott erlaubt uns unsere Fehler und Schwächen. Aber wie sieht es mit uns aus? Erlauben auch wir uns Fehler und Schwächen? Erlauben wir anderen Fehler und Schwächen?
Kommt sie jetzt wieder, die Leier, das man bei Gott Fehler machen darf und er uns verzeiht, wenn wir nur aufrecht bereuen? Ja, aber so greift es auch bei weitem viel zu kurz. Das Gleichnis vom heutigen Sonntag greift weiter, oder besser gesagt tiefer. Es ist eine Geschichte, die viele Wandlungen und unterschiedliche Sichtweisen erfahren hat. Es war einmal die Geschichte vom verloren Sohn, in der die Verfehlungen des jüngsten Sohnes im Mittelpunkt standen. Es wurde darauf dann die Geschichte vom „barmherzigen Vater“ der trotzt größter Verfehlungen barmherzig und gut bleibt und den Sohn wieder annimmt. Beide Sichtweisen lassen den Dritten in der Geschichte, nämlich den älteren Sohn, außen vor. So bleibt immer ein Stück der Geschichte ausgeblendet.
Vielmehr als eine bloße Lehrerzählung scheint mir dies Gleichnis eine Beziehungs- und Lebensgeschichte zu sein. Um für mich einen neuen Zugang zu dieser Erzählung zu bekommen, habe ich eine Übersetzung von Friedolin Stier genommen, die dichter am Originaltext ist als die manchmal sprachlich sehr geglättete Einheitsübersetzung. An einigen Aussagen möchte ich der Beziehungsdynamik der drei Männer nachgehen.
Der Vater gibt, was er hat
Der Vater ist jemand, der loslassen kann, damit die Söhne die Chance haben, ihr Leben in die Hand zu nehmen, eigene Erfahrungen zu machen und so zu reifen. Aus dem lapidaren Satz der Einheitsübersetzung: „Er teilte sein Vermögen auf“ wird bei Friedolin Stier: „und er machte Ihnen auseinander, was er zum Leben hatte.“ Der Vater gibt, was er hat, an seine Söhne ab. Damit gibt er ein Stück seines Lebens ab. Aber nur indem er als Vater loslassen kann, haben die Söhne die Möglichkeit sich in ihrem Leben wirklich zurechtzufinden, es sinnvoll zu gestalten, auch wenn dies zunächst nicht so aussehen mag.
Glück auf Umwegen
Und was geschieht nun mit diesen Söhnen? Der jüngere verlässt das Haus, zieht fort in ein fernes Land. Er will Neues entdecken, einmal schauen, was die Welt zu bieten hat, will genießen, vielleicht um sich so selbst besser spüren zu können. Er tut sich schwer einfach im Ererbten zu bleiben, sich mit den Vorgegebenheiten abzufinden. So will ihm sein Leben nicht sinnvoll erscheinen. Er braucht das Erlebnis. Aber nur darin scheint das Glück nicht zu liegen. In der Übersetzung von Stier heißt es: "Er verschleuderte sein Vermögen in heillosem Lebenswandel". Er kostet sein Leben soweit aus, dass er zum Schluss fast vollkommen ausgeliefert dasteht. Nicht einmal das Schweinefutter gilt ihm noch, so tief ist er in seiner Sehnsucht nach Leben gesunken.
Und da nimmt die Geschichte eine wunderbare Wendung: Zu sich selbst gekommen sprach er: "Wie viele Tagelöhner meines Vater haben Brot in Hülle und Fülle - ich aber gehe hier vor Hunger zugrunde. Aufstehen will ich, zu meinem Vater gehen und Ihm sagen: Vater! Ich habe gesündigt, gegen den Himmel und vor dir." In seiner Sehnsucht nach Leben ist der jüngere Sohn durch harte Erfahrungen zu sich selbst gekommen. Die Sehnsucht hat ihren Weg gefunden, und er kann zu sich sagen: "Aufstehen will ich und ..." Hier wird das Wort aufstehen gebraucht, das Wort, mit dem auch der Übergang Jesu vom Tod zum Leben benannt wird.
Und der Vater sieht ihn von weitem kommen, und Stier übersetzt an dieser Stelle: „Und es ward ihm weh ums Herz.“ Er ist jemand, der seinen Sohn die eigenen Wege gehen lässt, auch wenn sie zunächst falsch sind. Er leidet mit, wenn er auch nicht eingreift. Umso mehr kann er sich freuen, dass der jüngere Sohn die Beziehung nicht aufgibt und zurückkommen mag, weil er sich selber und seine schwachen Seiten besser kennt. Er muss sich nicht unterwerfen oder klein machen, sondern bleibt Sohn und bekommt es gezeigt, ohne dass der alte Zustand wieder hergestellt wird. Und sie können ein fröhliches Fest feiern. Ein Fest das tiefer geht, als die Feste, die der jüngere Sohn im Rausch erlebt hat.
Nicht wirklich glücklich
Der ältere Sohn war beim Vater geblieben und hat so versucht, sein Glück zu finden und seine Sehnsucht nach Leben zu leben. Ist er weiter gekommen?
Als er die Musik hört, kann er am Fest nicht teilnehmen. Zu viel an Hass und Enttäuschung ist in ihm. So geht kein Fest. Dem Vater macht er Vorhaltungen, rechnet auf, was er alles geleistet hat und was er dafür bekommen oder nicht bekommen hat. Sein Ärger und seine Wut sind unbeschreibbar, er versteht nichts mehr. Er hat den ganzen Druck der Verantwortung und Sorge genommen, hat alle Pflichten bestens erfüllt und dann... Dann scheint nichts zu sein. Alles umsonst.
Bei dem älteren Sohn bleibt offen wie die Geschichte ausgeht. Wird er einen Zugang zum Fest finden? Mag er glauben, dass er ebenso wie der jüngere Sohn vom Vater geliebt wird? Wird er erfahren und annehmen können, dass es mehrere Wege gibt, sein Lebensglück zu finden?
Manchmal haben wir Menschen es schwerer, wirklich zum Kern der frohen Botschaft vorzudringen weil das Machen und die Pflicht den Blick auf das Geschenk des Lebens verstellen.
Jesus erzählt das Gleichnis, weil die Pharisäer sich ärgern und nörgeln, dass er mit Sündern verkehrt und nicht nur mit ihnen, die sie doch ihre Pflicht erfüllen. Friedolin Stier lässt sie sagen: Der da - gemeint ist Jesus - er nimmt Sünder an und speist mit ihnen.
Wie finde ich mein Lebensglück?
Ich spüre für mich, dass die Aussage dieser Geschichte gar nicht so einfach nachzuvollziehen ist. Wie finde ich mein Lebensglück? Kann jeder das auf seine Art und für sich machen? Wo bleiben dann Gebote und Pflichten? Gerade als Menschen, die in einem katholischen Milieu aufgewachsen sind, sind wir näher bei unseren Pflichten und Verantwortungen, als bei der Offenheit und Freude und bei dem großen Fest, das wir selber nicht machen können.
Ich meine aber auch, langsam etwas davon verstanden zu haben, dass wir auch als Kirche und ich als Christ das Leben anderer Menschen nicht einfach normieren und vorschreiben können, dass voreiliges Aufteilen in Böse und Gut, in Sünde und gute Tat meistens falsch sind, dass Urteile über andere wenig den ganzen Menschen sehen.
Das Gleichnis zeigt mir, dass jeder ein Recht hat, seine Sehnsucht nach Leben zu leben und dass Gott bei allen falschen Wegen seine Beziehung zum Menschen nicht abbricht. Frohe Botschaft heißt dann für mich, dass die Sehnsucht nach Leben von mir und allen gelebt werden darf, und Gott die Antwort ist, zu der ich und andere durch manche Irrwege finden können. Dies finde ich schön weitersagen zu dürfen.