Leid, das unser Maß übersteigt
In Albert Camus Roman "Die Pest " wird die Geschichte der Stadt Oran beschrieben, in der die Pest ausbricht und die Stadt in ihrer Abgeschiedenheit in einen erbitterten Kampf gegen die Krankheit treibt, die so viele Menschen sterben lässt. Die Menschen gehen unterschiedlich mit dem unbeschreiblichen Leid um.
Zwischen Pater Paneloux und dem Arzt Rieux kommt es beim Sterben eines Kindes zu einem Gespräch: Aber das Kind schrie weiter, und ringsum wurden die Kranken unruhig. Der Patient am anderen Ende, dessen Rufe nicht aufgehört hatten, beschleunigte den Rhythmus seines Klagens, bis auch dies ein richtiger Schrei war, während die anderen immer lauter jammerten. Eine Flut vom Schluchzen überschwemmte den Saal und übertönte Paneloux Gebet, und Rieux, der sich an der Bettstange festhielt, schloss die Augen, ihm war übel vor Müdigkeit und Ekel. Ich muss fort, sagte Rieux, Ich kann es nicht mehr ertragen. Aber plötzlich verstummten die übrigen Kranken. Da merkte der Arzt, dass der Schrei des Kindes schwächer geworden war, dass er immer weiter abnahm und nun aufhörte. Nach einem kurzen Streit antwortet nun der Pater dem Art Rieux: "Ich verstehe, es ist empörend, weil es unser Maß übersteigt. Aber vielleicht sollen wir lieben, was wir nicht begreifen können."
Rieux richtet sich mit einem Schlag auf. Mit der ganzen Kraft und Leidenschaft, deren er fähig war, schaute er Paneloux an und schüttelte den Kopf. "Nein Pater, sagte er. Ich habe eine andere Vorstellung von der Liebe. Und ich werde mich bis in den Tod hinein weigern, die Schöpfung zu lieben, in der Kinder gemartert werden."
hilflos
Sie sind seelenverwandt, der Arzt Rieux und Hiob im Alten Testament. Angesichts des Leids, gleich ob persönlich widerfahren, ob gemachtes oder unverschuldetes Leid, sie sind nicht bereit es anzunehmen. Sie sind nicht bereit Gott aus dem Spiel zu lassen, ihn Gott sein zu lassen und sich abzufinden. Keine fromme Tröstung akzeptieren sie. Hiob nicht die theologischen Ergüsse seiner Freunde, die nur Gott rechtfertigen. Rieux nicht die voreilige Demutshaltung des Paters Paneloux. Sie wehren sich, obwohl sie als Menschen dem Leid gegenüber hilflos dastehen.
Es ist auch die Situation, die jeden von uns treffen kann, wenn ein lieber Verwandter oder Bekannter stirbt, wenn wir selber oder liebe Bekannte oder Verwandte schwer erkranken oder etwas ertragen müssen, mit dem sie nicht fertig werden; wenn uns von anderen Menschen viel zugemutet wird. Aber dazu gehören auch die Nachrichten aus Afghanistan, die wir häufig schon gar nicht mehr wahrnehmen, aber die uns doch auch immer wieder an Gott und Menschen zweifeln lassen.
warum?
Es steht dahinter die ewige Frage Warum. Warum ist es so? Warum kann Gott dies zulassen? Warum muss mir so etwas passieren?
Wer sagt, dass wir diese Frage runterschlucken müssen? Wer sagt, dass wir Leid und Schmerz in Stille und Demut zu ertragen haben, anstatt unseren Schmerz herauszuschreien?
Wenn Menschen schwer krank sind, wenn Menschen trauern, ist es wichtig, dass Menschen ihre Enttäuschung, ihre Wut, ihren Ärger, ihren Schmerz ausdrücken, ihn hinausschreien dürfen ohne Rücksicht auf andere, ohne Rücksicht auf Gott, von dem sie die Frage "Warum" beantwortet haben möchten, den sie aus ihrem Schmerz und ihrer Wut nicht heraushalten können.
Ich glaube, dass Menschen, die so nach Gott fragen, die ihn nicht in Ruhe lassen, sich nicht einfach mit den Leiden der Menschen abfinden, häufig näher an den Gott der Bibel herran kommen, als jene, die schon immer eine fertige Antwort haben.
So begegnet uns Jesus auch im heutigen Evangelium. Er heilt die Schwiegermutter des Simon, nachdem ihm von ihrer Krankheit erzählt wurde. Daraufhin versammeln sich Menschen, weil sie von ihm Heilung erhoffen. Aber es wird nicht mehr berichtet, dass er alle Dämonen austrieb und alle Krankheiten heilte. Sondern nur noch von vielen ist die Rede.
Und dann wird berichtet, dass er sich vor Tagesanbruch an einen einsamen Ort zurückzieht um zu beten. Ich stell mir Jesus in dieser Situation als jemanden vor, dem es nicht egal ist, was um ihn herum geschieht. Vielleicht braucht auch er die Zeit der Stille und des Gebetes, um die Erlebnisse des Vortages zu verarbeiten, um damit fertig zu werden, was Menschen in ihrem Leben ertragen müssen. Er weiß, dass das Leid nicht durch Zauberei aus der Welt zu schaffen ist. Das Verbot an die Dämonen zu reden besagt, dass man nicht dadurch, dass man Jesus kennt, schon eine Zaubermacht hätte, die mit einem Wort das Leid beseitigen kann.
Gottes Liebe lebt weiter
Jesus lässt sich nicht magisch vereinnahmen. Als seine Freunde ihn finden, folgt er nicht ihrer Aufforderung zurückzukehren, um vielleicht weiter zu heilen oder sich feiern zu lassen. Er will weg und in anderen Dörfern, anderen Menschen von Gott erzählen, sie erfahren zu lassen, was das Reich Gottes für die Menschen bedeutet.
Jesus erklärt das Leid der Menschen nicht, er beseitigt es auch nicht einfach. Aber er sieht die Menschen auf seiner Wanderschaft, er leidet mit ihnen, sieht sie in Ihrer Angst, ihrem Schmerz, ihrer Trauer und Wut und kann die Menschen annehmen wie sie sind. Ihnen will er sagen, dass sie mit alldem bei Gott Gehör finden und er im Reich Gottes ihre Tränen trocknen wird, so wie es auch unser Altarbild zeigt.
So jeden Menschen zulassen zu können und ihm dennoch eine Hoffnung, eine Perspektive nennen zu können meine ich, ist die frohe Botschaft für jeden von uns heute.
Und wenn es heute einen guten Grund gibt, dass die Botschaft Jesu weiterleben muss, dann diesen, dass den Menschen in unserer Zeit gesagt wird, das sie nicht nur glänzen müssen, das sie nicht ewig jung sein müssen, dass nicht Leistung und Erfolg die eigentliche Lebensberechtigung sind, sondern dass jedem Menschen die ganze Liebe Gottes gilt.
Indem Hiob und der Arzt Rieux, in dem viele andere sich nicht abfinden, nicht Gott Gott sein lassen, sorgen sie dafür, das Gottes Liebe weiterlebt.