Wir gehören dazu!
Wenn das kein tolles Bild ist! Wir sind zum Berg Zion hingetreten, zum himmlischen Jerusalem, zu einer festlichen Versammlung, die sich um Jesus schart. Alle, die im Himmel verzeichnet sind, nehmen uns in ihre Mitte. Wir gehören dazu! Dabei bin ich gerade nur durch die Kirchentüre getreten, die Holzbänke sind hart und mein Nebenmann, meine Nebenfrau muss mich nicht einmal kennen. Ich ihn, ich sie auch nicht. Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, nicht einmal einen Blickkontakt aufzunehmen. Aber Sie haben es gerade gehört: „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind.“
Verwundert schaue ich auf meine Füße: bin ich wirklich so weit gegangen? Bin ich denn auch schon angekommen? Bin ich überhaupt willkommen? Meine Füße kennen doch auch die schmutzigen Wege, die Stolpersteine, die abschüssigen Strecken. Meine Füße werden müde. Manchmal gehören mir die Füße nicht einmal.
Sie haben es bestimmt schon bemerkt: Im Hebräerbrief - vorhin vorgelesen - wird uns ein Blick geschenkt, der seinesgleichen sucht. Als Christen, also als die, die zu Jesus gehören, atmen wir sozusagen schon die reine Luft des Himmels. Wir begegnen den Tausenden von Engeln, wir begegnen den Geistern der schon vollendeten Gerechten, wir begegnen in der Mitte – Jesus. Um ihn scharen sich alle. Um ihn scharen wir uns. Er hat einen neuen Bund gestiftet, einen neuen Bund geschenkt! Mit einem Fuß sind wir schon im Himmel.
Oben und unten
Dass ein Mensch mit einem Fuß schon anderswo sein kann, ist nicht nur eine Redensart. Manchmal merken wir das regelrecht – wenn wir uns zerrissen fühlen oder aber auch einfach nur glücklich sind über das Neuland, dass sich uns gerade auftut. Wenigstens mit einem Fuß sind wir dann schon drin!
Jesus ist in das Haus eines – führenden - Pharisäers gegangen. Jesus ist zum Essen eingeladen. Wer sonst noch dabei war? Keine Ahnung. Es ist aber eine fromme Runde. Die bösen Blicke, die wir gelegentlich oder auch immer noch auf die Pharisäer werfen, können sich getrost wieder aufhellen: Wir beobachten Menschen beim Essen auch – und unsere Tischordnungen haben es in sich. Gestylt einerseits, hierarchisch andererseits. Wer wo sitzt, ist dem Zufall – meistens – nicht geschuldet. Fein gedruckte Tischkarten zieren den Platz und markieren die Rangordnung, sorry, gelegentlich auch die Hackordnung. Die Kellner und Kellnerinnen wissen auch, wo sie anzufangen haben – und wie sie das verbergen können.
Lukas erzählt denn nicht nur, dass Jesus „genau“ beobachtet wird, er erzählt auch, dass Jesus noch genauer beobachtet – und ein gutes Wort ausspricht: Gut ist, sich nicht nach oben setzen, sich nicht falsch einzuschätzen, sich nicht über andere zu erheben. Übrigens: eine alte Weisheit. Es ist nichts neu an dieser „frohen Botschaft“.
Neu zu hören ist aber, dass bei Gott Menschen groß und bedeutend werden, die klein sind, die nichts zu sagen haben, die nach unten gedrückt werden. Bei Gott! Im Haus des Pharisäers, in frommer Runde, bei einem guten Essen wird uns ein Blick geschenkt auf unser Leben – und auf die Tischgemeinschaft, die Jesus öffnet. Er hat seine Füße nicht nur in das Haus des führenden Pharisäers gesetzt, er ist bei denen gesehen worden, die als letzter Dreck gelten – und er hat Worte dafür gefunden, Worte für sie. Wir merken das heute.
Wie sich das wohl angehört hat in dieser edlen Runde: "Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, so lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich ein, und damit ist dir wieder alles vergolten. Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten."
Oft sind unsere Einladungen ein Spiel, manchmal sogar Ausdruck unserer Rechen- und Abrechnungskünste. Wir bleiben unter uns.
Mit beiden Beinen im Leben
Klar, Lukas hat an dieser Szene gefeilt. Jedes Wort hat er sozusagen in die Hand genommen, abgewogen, geschliffen, dann eingepasst. Dass Jesus „genau“ beobachtet wird, zum Beispiel, ist kein Seitenhieb auf diese frommen Menschen, die ihn eingeladen haben – es ist ein fein versponnener Hinweis, „genau“ zu beobachten. „Genau“ zu hören, was Jesus sagt, was er tut – und „genau“ zu sehen, was sich in unserer Welt abspielt. „Genau“ ist in diesem Evangelium das Schlüsselwort. Womöglich auch ein Reizwort. Lukas ist der Evangelist der Armen. Was er von Sitz- und Tischordnungen zu erzählen weiß, will unsere Feste und Feiern nicht vermiesen. Aber er lenkt unsere Blicke, unsere Sinne überhaupt, auf Menschen, die in unseren – auch frommen – Kreisen fehlen. Die übersehen werden. Die keine Kraft, keinen Mut haben, in unser Leben zu treten. Und die auch nicht eingeladen werden, Anteil zu nehmen an unseren Erzählungen, Schwächen und Sehnsüchten.
Mit beiden Beinen sind wir im Leben
Wenn das kein tolles Bild ist! Wir sind zum Berg Zion hingetreten, zum himmlischen Jerusalem, zu einer festlichen Versammlung, die sich um Jesus schart. Alle, die im Himmel verzeichnet sind, nehmen uns in ihre Mitte. So lässt uns der Hebräerbrief auf unsere Füße schauen. Wir sind hingetreten …
Und dann lässt sich das Evangelium vernehmen: Im Bild der Tischgemeinschaft sehen wir das himmlische Jerusalem, die festliche Versammlung, alle, die im Himmel verzeichnet sind mit den Gesichtern von Menschen, die sich wünschen, zu uns kommen zu können, mit uns zu feiern, mit uns das Leben zu teilen.
Holen wir sie doch ab! Die Füße sind heute schwungvoll!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.