Unglaubliche Geschichten
Prominente Leute tragen sich früher oder später mit dem Gedanken, Memoiren herauszugeben. Das gibt ihnen die Möglichkeit, besondere Momente ihres Lebens aus einsem Blickwinkel darzustellen, den sonst niemand haben konnte. Unliebsame Aspekte des persönlichen Werdeganges werden mitunter auch weggelassen. Und wenn jemand das Schreiben nicht so liegt, nimmt er sich einen Ghostwriter, der weiß, was die Leute gerne lesen und wie man etwas gut darstellt.
Anders arbeiten Historiker. Sie tragen akribisch wie Kriminalisten jedes Detail der Biographie zusammen, das sie irgendwo finden können, und versuchen so, ein der Wirklichkeit entsprechendes Lebensbild zu verfassen. Darin spielen die Herkunft, das Elternhaus, das Milieu und der Bildungsweg eine bedeutende Rolle.
Wir feiern heute das Geburtsfest Jesu, eine der unbestreitbar bedeutendsten Persönlichkeiten der Weltgeschichte. Von seiner Geburt berichten – man muss wohl besser sagen erzählen - nur zwei Evangelisten. Sie sind keine Historiker. Kein Historiker würde kommentarlos solche Geschichten wiedergeben. Memoiren hat der Gefeierte keine hinterlassen. Das scheint auch historisch ziemlich sicher: Er hat nichts niedergeschrieben und auch keinen Ghostwriter engagiert, der ihn ins rechte Licht gesetzt hätte.
Was ist Wahrheit?
Evangelisten sind Theologen, die haben eine eigene Vorstellung von Wahrheit und eigene Methoden, um an diese Wahrheit heranzukommen. Matthäus und Lukas sind die einzigen von den Christlichen Kirchen akzeptierten Schriftsteller, die das Leben und Wirken Jesu von Geburt an beschreiben. Es gibt zwar noch einige Schriften aus den ersten Jahrhunderten des Christentums, die von Vorgängen um die Geburt Jesu und von seiner Kindheit zu erzählen wissen, aber nicht in der Bibel enthalten sind. Die Historiker, die sich damit befassen, winken aber gleich ab und betrachten diese Schriftsteller als eine Art Trittbrettfahrer des damaligen Literaturbetriebes, die sie weder historisch noch theologisch ernst nehmen.
Matthäus und Lukas verfolgen kein historisches Interesse, sondern ein theologisches. Die Wahrheit von der Geburt Jesu ist bei ihnen nur im theologischen Sinn zu verstehen. Historische Fakten waren zu ihrer Zeit vermutlich nicht mehr greifbar oder für ihr Werk nicht wichtig genug.
Folgt man ihrer Erzähllinie, so entstammt Jesus einfachen Leuten, deren Stammbaum sie irgendwie auf den König David zurückführen. Gesellschaftlich betrachtet, taucht Jesus aus dem Nichts auf, bzw. mitten aus dem Volk. Das hindert sie nicht, für ihn göttliche Abstammung zu beanspruchen. Ein Engel, so erzählt Lukas, teilt Maria, der Mutter Jesu mit: "Der Heilige Geist wird dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten." (Lk 1,35).
Jesus, Sohn Gottes
Um die Frage der Göttlichkeit Jesu kreisen alle vier Evangelien. Markus z.B. erzählt uns überhaupt nichts von der Geburt Jesu oder seiner Kindheit, sondern beginnt sein Evangelium mit dem ersten öffentlichen Auftreten Jesu. In seiner Jesus-Geschichte beginnt es den Jüngern im Laufe ihres Kennenlernens Jesus langsam zu dämmern, dass er der erwartete Messias ist. Ein Höhepunkt seiner Jesusgeschichte ist, dass der römische Hauptmann, der die Hinrichtung Jesu beaufsichtigt unter dem Kreuz bekennt: "Wahrhaftig, dieser Mann war Gottes Sohn." (Mk 15,39). Die anderen drei Evangelisten verfolgen mit je eigenen literarischen Mitteln ähnliche Absichten.
Jesus als göttliches Geschenk des Himmels ist das zentrale Motiv der Weihnachtserzählung des Evangelisten Lukas. Der große Gott neigt sich herab zu den Menschen. Die erste Adresse seiner Einkehr bei den Menschen sind Hirten. Sie gehörten damals zur untersten Gesellschaftsschicht. Zeugen der Größe und Bedeutsamkeit dieses Ereignisses sind Engel, die Gott loben und verherrlichen. Er taucht die Geburt Jesu in ein göttliches Licht, um seine Göttlichkeit von Anfang an hervorzukehren.Wenn wir Weihnachten ein wenig begreifen wollen, müssen wir uns das ganze Leben und Wirken Jesu vor Augen halten und die Faszination, die von dieser Persönlichkeit ausging.
Wenn wir zu einem runden Geburtstag einer Bekannten oder eines Freundes eingeladen werden, schauen wir auch auf den ganzen Menschen, wie wir ihn gegenwärtig erleben und wertschätzen. Bilder und Geschichten von seiner Geburt spielen dabei bestenfalls eine nebensächliche Rolle. Wenn wir zu Weihnachten beim Christkind in der Krippe stehen bleiben, geraten wir – so fürchte ich – auf eine falsche Fährte.
In diesem Sinne zeigt sich unser Evangelist Lukas nicht nur ein großartiger Geschichtenerzähler, sondern als genialer Theologe. Er bringt uns das Großartige und außerordentliche der Menschwerdung Gottes in einer phantastischen Geschichte nahe.
Kann ich das glauben?
Sie werden nun vielleicht denken: Das kann ich glauben oder auch nicht. Genau um diese Frage geht es. Dass Jesus gelebt hat und irgendwann als Mensch geboren worden sein muss, bezweifelt kein namhafter Historiker. Für sie sind die historischen Umstände seiner Geburt nicht wirklich von Bedeutung.
Die entscheidende Frage ist vielmehr eine persönliche und theologische: Kann ich glauben dass dieser großartige Mensch uns von Gott geschenkt worden ist? Kann ich glauben, dass er als Messias und Retter in diese Welt gekommen ist? Kann ich glauben, dass dieser Mensch wahrhaft Gottes Sohn ist?
Wer die Gnade dieses Glaubens hat, wird heute dafür Gott danken, ihn loben und preisen, ähnlich wie es uns von den Engeln und Hirten erzählt wird. Wer jedoch diesbezüglich Zweifel und Bedenken hat, wird an diesem Festtag eingeladen, sich auf die Suche zu machen und zu fragen: Wer war dieser Jesus nun wirklich? War er wirklich Gottes Sohn? Ist er der Messias, der von so vielen Menschen erwartet wird? Auch wenn jemand in ihm nur einen gewöhnlichen Menschen sieht, geht von ihm viel Wegweisendes aus. Grund für seine Geburt zu danken, wird auch er finden.