Den Zweifel leben
In der Kirche wird geredet als ob man hundert Prozent Bescheid wüsste. Oder manche geben dies so vor oder tun so. Dies kann die verschiedensten Blüten treiben. Mit der Lazarusszene könnte in diese Kerbe geschlagen werden. Jedoch die vielen offenen Seiten, die nicht weitergeführten Handlungen, verhindern dies, legen sich genau solchem Ansinnen quer. Die vorkommenden Personen in dieser Perikope bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten sich im Geschehen einzufinden, darin herumzuwandern, einzutauchen und wieder in seine eigene Welt zurückzukehren. Sie ermöglichen die eigene Gebrochenheit, die eigene Vergänglichkeit zu buchstabieren. Sie bieten die Folie, die eigene Glaubensunsicherheit und die eigenen Glaubenzweifel leben zu dürfen. Anstehen, den Weg nicht kennen, nicht weiter wissen. Wie schön und angenehm wäre es, gleich in die Auferstehung hineinzufallen, gleich darin baden zu können. Genau dies ermöglicht die Stelle nicht. Und die Stelle bietet nicht eine nicht mehr zu hinterfragende Antworthaftigkeit.
Kinderdialog
Am sichersten und einfachsten erledigen dies Kinder. Ich denke hier an den Religionsunterricht, sowie auch an die Ministranten, die mir immer wieder Anfragen unverblümt und direkt liefern.
- Der (Lazarus) muss ja schon gestunken haben! - Ja sicher, denkt einmal daran wie das vor sich geht, wenn bei uns jemand stirbt. - Bei meinem Opa hat man auch den Sarg zugemacht, bevor er zu stinken begonnen hat. - Wie konnte der herausgehen, wenn er gefesselt war? -
Der Evangelist Johannes schreibt das so, aber wie der gefesselt gehen konnte das beschreibt er nicht, das war ihm nicht so wichtig. Er hat ja selbst auch diese Geschichte über Jesus gelesen und gehört. Weil sie ihm wichtig war, hat er sie für die anderen Christen und für uns nieder geschrieben, damit wir von diesem Jesus wissen und an ihn glauben
Diese Dialoge lassen die Ungereimtheiten stehen, ohne dadurch getrieben zu sein, das Kind mit dem Bade auszuschütten einerseits, und andererseits schärfen sie das Hinterfragen und stellen es genau in den Dienst des Glaubenlernens. Liegt nicht darin eine sich ständig durchziehende Linie in den Wundern Jesu, damit die Jünger und folglich wir Glauben lernen und zugleich einer Wundersucht nicht verfallen?! Wundersüchtigen hat sich Jesus ohnehin ständig entzogen. Sich dies vorzuspiegeln wäre bei so einigen innerkirchlichen Bewegungen von Nöten.
Den Glauben benennen
In der Derzemberausgabe 2007 der Internationalen Zeitschrift für Theologie "Concilium" schlüsselt die Theologin Elaine Champagne in ihrem Artikel "Spiritualität aus dem Munde der Kinder und Säuglinge" diese Dimensionen auf. Von Kindern mit hinein genommen zu werden in das Staunen, in die Orte des Schweigens und des Mystischen, und zugleich verlangt dies nach expliziten Worten, nach Formulierung des Glaubens. Kinder fordern heraus zu benennen, was der Erwachsene wirklich glaubt. Wird das, was der Erwachsene glaubt, durch ihn ausgesprochen, ermöglicht er auch sich selbst die eigene Glaubensentfaltung und Glaubensstärkung. Und die Erschütterung und die Zweifel werden dabei nicht und dürfen dabei auch nicht übergangen werden.
Eine Geschichte
Die Autorin bringt dazu die Geschichte "Ein Vierjähriger brachte seinen Vater…" - siehe in den Kontexten.
Diese Geschichte führt uns wieder zurück zu Lazarus, seinen Schwestern, den Jüngern und zu Jesus in der Evangelienstelle. In den Dialog des Staunens und des Geheimnishaften tretend eröffnet sich für uns der Weg Jesu durch Kreuz zur Auferstehung. Dieser Jesus verdunstet nicht in das Unbenennbare, sondern er lässt sich tatsächlich in unser Geschick und Schicksal ein. Sprechen dies nicht genau die Not und die Trauer der Schwestern an und aus, bevor Lazarus wieder in das Leben zurückkehrt?! Und den Jüngern ermöglicht sich der Weg des Lernens. Auch sie gleiten nicht leicht und locker in die Auferstehung hinein.
Dichtersprache geheimnislüftend
Der Rumänische Dichter Mihai Ursachi fantasiert in seinem Gedicht Selbstbildnis - siehe Kontexte - vom Verse Schreiben nach dem Tod. Welch faszinierendes Ansinnen. Und es lässt sich damit der Dichter nicht vor den Karren des Auferstehungsbeweises spannen. Darum geht es auch gar nicht, und doch eröffnet er einen Blick, einen Blick in eine Welt in der das Gegenwärtige hoffentlich nicht verloren sein wird. Wobei es ihm um diese Hoffnung gar nicht geht. Er knüpft es an eine Bedingung. Eine Bedingung, die sich wiederum nicht erzwingen lässt. Er stellt dies auch gar nicht in die Zeilen seines Dichtens. Einen Wurf macht er, nämlich indem er sich träumend vor den Beginn, vor das Entstehen der Welt in Geburt setzt. In die Verse setzt er sich selbst, seine Vorstellung, seine Möglichkeit und vielleicht doch als Traum nicht bloß vor der Welt, sondern als ein Danach.
Diese Gedichtzeilen nehmen mich, den Rezipienten, in die Traumwelt der Verse des Dichters, ohne einen Traum darzustellen, hinein und bieten keine Antwort, keinen Jenseitsentwurf, keine fertige Wohnwelt des was danach kommt. Und doch sind diese Zeilen gefüllt mit dem, was stimmt aber sich jeglichen billigen Beweises entzieht. Der Dichter bietet nicht einen Wurm an der Angel, mit dem und mit der er den Leser gängelt. Er setzt sich selbst in diesen Zeilen. So verleiht er ihnen Fleisch und Blut, erspart aber nicht das Staunen über das Überraschende und das Verweilen darin dem Leser. Die Verse stehen für sich und doch werfen sie ohne mit der Lazarusgeschichte etwas gemeinsam ja nicht einmal etwas zu tun zu haben einen Blick aufhellend darauf.
Nicht überspringen
Jesus steht in Verbundenheit zwischen Welt und Gott. Und dieser Jesus ist nicht von Gott zu trennen. Das Wunder der Auferweckung des Lazarus wird ihm vorgebetbittlich gewährt. So eng steht er in Beziehung zu Gott, zum Vater. Und wird dadurch der Weg Jesu durch Tod aufgezeigt, wird zugleich die Gemeinschaft Jesus und Gott, Gottesgemeinschaft, bestätigt und bekräftigt. Das will uns diese Szene verdeutlichen und somit Glauben lernen und lehren. Die Gemeinschaft mit Gott führt uns über dieses Leben hinaus.
Also weiß doch niemand Bescheid, auch nicht in der Kirche. Darüber brauche ich gar nicht länger herumschreiben, darum geht es nicht. Es gilt den Blick zu schärfen aus dieser Textstelle heraus, dass darin wesentlich das Leid und das Grab angedeutet sind, bevor dieser Jesus auferweckt und verherrlicht wird. Jesus führt es an Lazarus explizit vorausdeutend vor.
Dem Evangelisten Johannes sind diese Zusammenhänge aufzuzeigen wesentlich. Hätte er sonst diese Geschichte vor Beginn des Endes Jesu platziert? Er hat dies genau gesetzt. In der Kirche ist es vieler Stolz und vieler hehres Bestreben, das Kreuz in Gold oder Silber oder mit Edelsteinen besetzt auf dem Bauch zu tragen. Der Jesus mit dem Kreuz am und im Rücken - siehe Kontexte "um drei" mit Pfad zum Holzschnitt /Meditationsbild - spricht in anderen Tönen und Schattierungen nichts übertönend von Auferstehung.