Orte des Ausruhens
Hertha Firnberg, von 1970 bis 1983 legendäre österreichische Bundeministerin für Wissenschaft und Forschung – Die "Die Presse" nannte sie in einem Nachruf "Primadonna assoluta in Kreiskys Team" – bekannte in einem Interview, dass sie zwar nicht religiös sei, aber hin und wieder in der Mittagspause die Stille einer ihrem Büro nahegelegenen Kirche genieße, um ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Aus der Zeit, in der ich in Wien tätig war, weiß ich, dass sie nicht die einzige war, die dem Bedürfnis nach Ruhe in einer Kirche nachging. Nicht wenige schätzen die Atmosphäre der Stille unserer Kirchen, um hier einige Momente aufzutanken. Und ich vermute, dass sich deswegen nicht alle gleich als religiös bezeichnen.
Menschen, bei denen man ausruhen kann
Nicht nur Orte lassen Menschen zur Ruhe kommen. Auch manche Personen strahlen etwas aus, das Menschen in schwierigen Situationen anzieht und bei ihnen Ruhe finden lässt. Ich denke dabei an Ute Bock oder Pfarrer Wolfgang Pucher, die für Obdachlose und Flüchtlinge zu Anlaufstellen in ihrer persönlichen Not geworden sind. Ohne sie wäre unsere Gesellschaft arm und ein Stück kälter.
Was zeichnet diese Personen aus, dass sie dieses Vertrauen genießen? Bei ihnen dürfen die Zuflucht Suchenden sein, wie sie sind, sie werden nicht gleich in Programme eingespannt, müssen nicht an etwas Bestimmtes glauben, dürfen einfach Mensch sein.
Kommt alle zu mir...
Im Evangelium lädt Jesus Menschen, die geplagt sind und schwere Lasten zu tragen haben, ein, bei ihm auszuruhen. Er verlangt keine Vorleistungen.
Offenbar gilt dies auch hinsichtlich der theologischen Ansprüche. Für ihn gibt es ein einfaches Glauben, ohne dass jemand mit allen theologischen Wassern gewaschen sein muss. Er preist Gott, dass er unmündigen und einfachen Menschen einen Zugang zu Glauben und Gottvertrauen gegeben hat, den "die Weisen und Klugen" nicht haben.
Menschen, die sich für weise und klug halten, verwechseln leicht ihr theologisches Wissen mit Glauben oder sie fühlen sich über das Glauben erhaben. Glauben ist mehr als das Für-wahr-halten von Glaubenssätzen, ist etwas anderes als tiefe Einsichten in große weltbewegende Zusammenhänge. Entscheidend ist das Zutrauen zu Gott, das sie bei Gott ein Dach für ihre Seele finden lässt.
Es gibt allerdings auch Hochgebildete, denen diese andere Seite des Glaubens vertraut ist. Ich denke an Karl Rahner, der zu den bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts zählt und zahlreiche theologische Schriften verfasste, die auch für theologische Fachleute nur mühsam zu lesen sind. Neben diesen Schriften hat er auch Gebete in einfacher und verständliche Sprache hinterlassen, die von seinem aufrichtigen Glauben Zeugnis geben. Ähnliches kann man von Dag Hammarskjöld, dem 2. Generalsekretär der Vereinten Nationen erzählen, um auch einen Nicht-Theologen zu nennen.
Ein Dach für die Seele finden und anbieten
Glaubensgemeinschaften sind immer wieder versucht, Bedingungen für die Zugehörigkeit zu formulieren, Zugangsschranken zu errichten und elitäre Geisteshaltungen einzufordern. Allzu leicht werden dabei jene ausgeschlossen, die eine große Last zu tragen haben und mit manchen kirchlichen Qualitätsansprüchen nicht mithalten können.
Ich fürchte, dass die derzeitige Kirchenflucht auch damit zu tun hat, dass man als Kirchenmitglied immer eine Leistung zu erbringen hat, etwas tun muss, und dass alles, was wir tun, nicht ausreicht, um Seelenruhe zu finden. Es könnte immer noch ein bisschen mehr sein. Man fühlt sich wie im Fitnessstudio. Der Kirchenbeitrag wird als Symbol dafür empfunden und wird für manchen zum Stein des Anstoßes.
Eine Kirche, die den Fußstapfen Jesu folgt, wird jedoch allen Geplagten ein Dach für die Seele und einen Ort des Ausruhens anbieten, ohne Vorleistungen zu verlangen. Aber auch als einzelne Christen sind wir gefordert, den Frieden und die Ruhe der Seele, die wir selbst bei Christus finden, Menschen anzubieten, die sie nötig haben.
Aber vermutlich müssen wir zunächst einmal beginnen, selbst diese Ruhe zu finden und uns zu gönnen. Jesus lädt uns dazu ein, ohne Vorleistungen.