Bad in der Menge
Politiker, die eine straffe Führung versprechen und das nationale Wir-Gefühl stärken, erfreuen sich derzeit in vielen Ländern eines regen Zuspruchs. Offenbar kommen diese damit den Bedürfnissen vieler Menschen entgegen. Es erhebt sich jedoch die Frage, ob sie ihre Versprechen auch einlösen können und ob damit ihre Länder in eine nationalistische Sackgasse geführt werden, aus der sie sich nur mühsam wieder befreien können.
Ein ähnliches Stimmungsgebräu fand Jesus vor, als er mit seinen Jüngern hinauf nach Jerusalem ging. Die Menschen trauten ihm zu, dass er ihre verletzte nationale Identität heilen und ihre Interessen gegenüber der Besatzungsmacht und den religiösen Herrschern vertreten kann.
Abgrenzung
In der Art der Propheten setzte Jesus aber andere Zeichen: Er reitet auf dem Fohlen einer Eselin. Er zitiert damit den Propheten Sacharja und will sich als Friedenskönig verstanden wissen. Für Kenner der heiligen Schriften bedeutete dies eine klare Absage gegenüber Aufstands- und Kriegsgelüsten. Ein weiteres Zeichen setzte er beim Abschiedsmahl, als er beim Brotbrechen und beim Reichen des Weines sein Selbstverständnis darlegte. Ihm ging es um die Hingabe seiner selbst und nicht um Machtergreifung. Bei seiner Gefangennahme wies er jede Form von Gewaltanwendung zurück. Alles zusammen kein Programm, mit dem man Staat machen oder Wahlen gewinnen kann.
Trotzdem sammelt er aber Anhänger hinter sich. Was er ihnen bietet, ist aber nicht mehrheitsfähig sondern eher ein Minderheitenprogramm. Von vornherein ist klar, dass er den Machtkampf vor dem Hohen Rat und vor dem politischen Statthalter nicht gewinnen kann.
Warum lesen wir das heute noch? Um ihn zu bewundern? Zu bemitleiden?
Werbung für ein Minderheitenprogramm
Auch wenn ihn in diesen Stunden alle im Stich gelassen haben oder ohnmächtig aus der Ferne zuschauen mussten, sodass er am Kreuz mit dem Gefühl der Gottverlassenheit ringt: Er wirbt um Jüngerinnen und Jünger, die in seine Fußstapfen treten, die ihm nachfolgen; um Menschen, die bereit sind, den gleichen Weg des Daseins füreinander, des sich Hingebens für andere zu gehen. Für ihn ist es nicht ein politisches sondern ein existenzielles Programm.
Wir, die wir in der Fastenzeit ihn begleitet haben und mit ihm hinaufgegangen sind nach Jerusalem, stehen vor der gleichen Entscheidung, vor der die Menschen damals standen: Klatschen wir seinem Programm Beifall unter dem Vorbehalt, dass er unsere Wünsche und Sehnsüchte erfüllt? Spanen wir ihn vor unsere eigenen politischen Karren als Religionserneuerer, Sozialreformer oder Gesellschaftspolitiker? Gehen wir mit ihm, weil ein so aufrichtiger Mensch unsere Solidarität verdient? Oder folgen wir ihm nach, weil wir für uns erkannt haben, dass seine Art zu leben unser eigenes Dasein mit Sinn und Tiefe erfüllt?
Unsere Inszenierung des Palmsonntags mündet in die Eucharistiefeier, in der wir Brot und Wein zum Gedächtnis an ihn erheben, seinen Leib und sein Blut uns einverleiben und so fähig werden, selbst in sein Dasein für die Menschen einzutreten. Hier entscheidet sich, ob dieser Tag nur ein traditionsfrohes Spiel bleibt oder uns in das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu hineinführt.