Das Markusevangelium berichtet davon, dass Jesus dreimal sein Leiden und seine Rettung aus dem Tod angekündigt hat. Und es spricht davon, wie seine Jünger das aufgenommen haben. Im heutigen Evangelium hören wir von der dritten Leidensankündigung. Führen wir uns die drei Geschehnisse vor Augen.
Das große Missverständnis
Das erste Mal geschah dies in Cäsarea Philippi. Auf die Frage Jesu an seine Jünger, für wen sie ihn hielten, hat Petrus geantwortet: "Du bist der Messias!" Gleich danach spricht Jesus von dem Weg, der ihm bevorsteht. Doch Petrus versucht, ihn davon abzuhalten. Er macht ihm sogar Vorwürfe. Und Jesus weist ihn zurecht mit den Worten. "Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen. Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen" (Mk 8, 31-33). Jesus sieht in Petrus nicht einen Satan. Vielmehr spielt er damit an auf die Versuchungsszene in der Wüste, wo der Satan Jesus dazu bringen will, sich Einfluss zu verschaffen mittels spektakulärer Machterweise. Als Jesus ein zweites Mal seinen Todesweg ankündigt und er seine Jünger fragt, worüber sie unterwegs gesprochen hätten, da schweigen sie, denn sie hatten darüber gestritten, wer von ihnen der Größte sei (Mk 9, 30-32).
Wie die beiden Söhne des Zebedäus, Johannes und Jakobus auf die dritte Leidensankündigung reagieren, davon haben wir im heutigen Evangelium gehört. Sie bitten Jesus: "Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den anderen links neben dir sitzen." Worauf Jesus antwortet: "Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?" Wenn sie darauf antworteten "Wir können es", so waren sie erst nach der Auferstehung dazu imstande. Denn bis dahin sind sie nicht den Weg des Leidens mit Jesus gegangen, sondern haben ihn im Stich gelassen. Die zehn anderen Jünger, so hören wir, wurden ärgerlich über Jakobus und Johannes, obwohl sie vorher selber darüber gestritten hatten, wer von ihnen der Größte sei.
Dann ruft Jesus sie zu sich und sagt: "Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, denn wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein, soll der Sklave aller sein." Dann weist Jesus auf sich hin: "Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele" (Mk 10.35-45). Die Jünger erwarten einen machtvollen Messias und überhören, dass Jesus von seinem Leiden, von seinem Tod spricht. Und sie streiten sich, wer von ihnen der Größte sei.
Das Ärgernis des Kreuzes
Was sagt uns das Verhalten der Jünger? Wir leben nicht in der Situation der Jünger, die nicht wahr haben wollten, dass Jesus den Weg des Leidens und des Kreuzes gehen wird. Wir glauben daran, dass Jesus sich am Kreuz für uns Menschen dahin gegeben hat. Aber machen wir uns bewusst, dass es dabei um etwas Unglaubliches geht? Paulus spricht vom Ärgernis des Kreuzes. "Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Griechen eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Gottes Kraft und Gottes Weisheit" (1 Kor 1,22-24). Angesichts des Todes Jesu und dessen Heilsbedeutung ist unser ganzer Glaube eingefordert. Es ist das unauslotbare Geheimnis seiner Menschenliebe, dass Gott sich in Jesus zu erkennen gegeben hat, wie er uns gesonnen ist. Wie nirgends sonst in der Menschheitsgeschichte ist Gott so sehr aus sich herausgegangen wie in Jesus von Nazaret. In ihm hat er sich entäußert, er wurde, wie es im Brief des Paulus an die Gemeinde von Philippi heißt, wie ein Sklave, er hat sich erniedrigt bis zum Tod am Kreuz (2,7f.). Gottes bedingungsloses Ja zu uns hat in Jesus ein unverwechselbares Gesicht bekommen.
Bei euch soll es nicht so sein
Die Jünger haben den Weg Jesus nicht wahrhaben wollen. Und sie waren um ihre Größe und ihr Ansehen bemüht. Jesus sagt: Bei euch soll es nicht so sein. Er warnt auch uns, seine Kirche, davor, mit den Mitteln dieser Welt der Botschaft Jesu zum Siege verhelfen zu wollen. Doch wie oft hat in der Vergangenheit kirchliche Macht, unterstützt durch die Gewalt des Staates, zum Schwert gegriffen und hat versucht, einen Gottesstaat aufzurichten. Wir bitten im Vaterunser nicht um ein irdisches Reich, sondern darum, dass Gottes Reich komme. Dein Reich komme!
Lassen wir einmal die vergangenen Fehldeutungen des Sendungsauftrags der Kirche und bleiben wir bei uns heute. Seit Papst Gregor dem Großen tragen die Päpste den Titel "Servus servorum", Diener aller Diener, um das Papsttum als Dienst auszuweisen. Paul VI. legte die Tiara ab, die dreifache Krone unumschränkter Macht. Johannes XXIII. hat das Zweite Vatikanische Konzil ausgerufen als Weg der inneren Erneuerung der Kirche.
Am 11. Oktober haben wir der Eröffnung des Konzils vor 50 Jahren gedacht. Dieses Konzil hat den Lebensstil der Kirche verändert, vor allem in den ärmeren Ländern. Während des Konzils legten Bischöfe aus den armen Ländern in den Katakomben das Gelübde ab, ihrer Kirche in Armut zu dienen und auf jeden Pomp zu versichten. Dies hat in Südamerika mit anderen zusammen Helder Camara wahr gemacht. Es gab Bischöfe, die ihre Diözesen in geschwisterlicher Kollegialität geleitet haben und aus ihren Palästen ausgezogen sind. Ordensleute gingen zu den Menschen hin und bildeten Basisgemeinden. Das gibt es auch heute noch, wenn auch vieles der Vergangenheit angehört.
Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts
Der französische Bischof Jacques Gaillot hat einmal gesagt: "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts." Es gibt gegenwärtig einen Reformstau in der Kirche. Es ist eine Bewegung hinter das Konzil zurück festzustellen. Die Klerikalisierung nimmt zu, vor allem bei Priesteramtskandidaten und jungen Priestern. Dass von oben nach unten regiert wird, zeigt sich beispielsweise darin, dass ohne die Mitsprache der Bischofskonferenzen die Ernennung der Bischöfe allein in der Hand der Kurie liegt. Die vom Konzil geforderte Eigenständigkeit der Ortskirchen im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ist nicht verwirklicht worden. Innerkirchlich rührt sich kaum etwas in Fragen verheiratete Priester, des Priestertum der Frau oder die Zulassung von geschiedenen und wieder verheirateten Menschen zu den Sakramenten. Ganz zu schweigen von der Eucharistie- und Abendmahlgemeinschaft mit den Kirchen der Reformation.
Es wäre wirklich gut, wenn der Papst und die Kurie sich von dem Anspruch auf ihre Alleinverantwortung befreien würden und die Einheit in der Vielheit suchten. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk hat Kardinal Karl Lehmann gesagt, der Regierungsstil im Vatikan müsse anders werden. Kritisch sieht der Kardinal einen wachsenden Einfluss auf die Ortskirchen, wenn beispielsweise die Arbeiten an einem neuen Gotteslob, wörtlich, "kleinlich zensiert" werden, was man, wiederum wörtlich "sich eigentlich nicht gefallen lassen darf". Auch viele Voten aus der Würzburger Synode der deutschen Bistümer seien seitens des Vatikans unbeantwortet geblieben. Gottlob lebt der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils in der "Gemeinschaft des Volkes Gottes" weiter. Wegweisend war da das Konzilsdekret über die Kirche als Volk Gottes. Und an der Basis geschieht vieles, das Mut macht.
Was könnte Neuevangelisierung bedeuten?
Wenn jetzt das "Jahr des Glaubens" eröffnet wurde mit dem Aufruf zu einer "Neuevangelisierung", dann geht es weniger um die Vermehrung von Glaubenswissens, sondern um Erfahrungen, die wir miteinander auf unserem Glaubensweg machen können. Kardinal Suhard, der in den vierziger Jahren Erzbischof von Paris war, hat auf die Frage, wie wir Christen missionarisch wirken können, die Antwort gegeben, wir sollten so leben, dass andere sich fragen: Warum leben die so. Warum kümmern sie sich um Notleidende. Warum setzen sie sich in ihrem gesellschaftlichen Umfeld ein für andere. Wenn wir durch unser Verhalten, durch unsere menschliche Liebe als Christen glaubwürdig werden, dann wird man erkennen, wes Geistes Kind wir sind.
"Daran", sagt Jesus, werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe zueinander habt" (Joh 13, 35). Überzeugen kann einzig und allein der in der Liebe gelebte Glaube. Der hl. Augustinus hat einmal gesagt: "Nemo intrat in veritatem, nisi per caritatem" - Niemand kann zur Wahrheit kommen, es sei denn durch die Liebe. Nur so ist der Auftrag Jesu zu erfüllen: "Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen" (Lk 16,15), "macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Tragen wir dort, wo wir leben, durch einen überzeugten und überzeugenden Glauben dazu bei - nicht nur im Jahr des Glaubens.
Bernhard Zahrl (1997)