Schauen, was der Nachbar macht!
Als Kind war es mir manchmal ein Graus. Es wurde auf die Nachbarskinder hingewiesen. Was die alles machen. Und wie artig die sind. Und was die schon alles können. Und ich?
Ich habe dann versucht, die andere Seite zu nennen. Was die alles dürfen und ich nicht. Auch habe ich erfahren, dass es ihnen nicht besser ging als mir. Denen wurde ich als Vorbild hingestellt. Wir alle haben letzten Endes gewusst, dass alle nur mit Wasser kochen.
Als Gottesdienstgemeinde hören wir dann heute das Evangelium. Die Menschen damals waren toll. Sie hörten Jesus zur Umkehr rufen und folgten. Andreas und Simon hörten Jesus rufen und ließen alles stehen und liegen. Sie waren Feuer und Flamme für diesen Jesus. Nicht anders Jakobus und Johannes. Hören und sofort die Nachfolge leben. So soll es sein. Und so taten sie es.
Kurzfristig könnte man uns als Gemeinde also sagen: "Tut das auch. Seid überzeugte und überzeugende Christen. Zweifelt nicht daran, dass die Botschaft richtig ist. Setzt die Lebensregeln alle um, die euch von der Kirche geboten werden."
Die anderen Seiten der Vorbilder
Und dann später auf der anderen Seite? Petrus wird immer wieder der Angsthase sein - ob auf der stürmischen See oder im Garten des Hohepriesters. Jakobus und Johannes lassen sich anstecken von Karrieredenken und Machtphantasien. Andreas verlassen auf dem Berg Tabor und im Garten Gethsemani die Kräfte. Alle vier verstehen immer wieder ihren Herrn und sein Anliegen nicht richtig. Das sollen die Vorbilder für uns Glaubende heute sein?
Nicht anders ist es in der Erzählung des alten Bundes, die wir in der Lesung gehört haben. Die Bewohner von Ninive sind die Vorbilder für eine bußfertige Gesellschaft. Jona ist der große und erfolgreiche Bußprediger. Und vorher? Eine Gesellschaft, die sich ins Gewissen reden lassen muss, hat vorher auch entsprechend gelebt.
Jona gönnte dem Volk von Ninive eigentlich das Heil nicht. Er tat alles, um diesen Auftrag nicht zu erfüllen. Vorbilder, die Schatten werfen.
Wenn wir berücksichtigen, dass Bibel niedergeschriebene Erzählung ist, dann hört sich die Passage aus dem Evangelium anders an. Ich stelle mir vor, wie die Christen damals angesprochen wurden: "Erzähle uns doch von deinem Jesus. Welche Erfahrungen hast du mit ihm gemacht? Was gibt es von ihm Wichtiges und Spannendes zu erzählen?" Und die Antwort könnte dann gewesen sein: "Jesus war ein Mann mit einer besonderen Ausstrahlung. Als er Umkehr predigte, haben die Menschen ihm geglaubt. Als er Menschen in seine Nähe holen wollte, sind sie mitgegangen..."
Unser Evangelienabschnitt ist aus dem ersten Kapitel des Markusevangeliums. Zu Beginn erzählt man erst einmal das, was Mut macht. Wenn sich jemand länger damit auseinandersetzt und nachfragt, werden auch die Nöte erzählt: Die der Zweifler im Jüngerkreis oder die eigenen Zweifel. Es werden die Brüche erzählt, die Glaubende auch erleben. Um dann am Ende doch zu sagen: "Aber es hat mich nicht von ihm weggebracht."
Mutmachgeschichten
Erzähle mir das, was ermutigt. Wenn wir mit dieser Haltung einen Blick in die Nachbarschaft werfen, lohnt es sich. "Erzähl mir von euren guten Erfahrungen mit der Erstkommunionvorbereitung. Erzähl mir, wie eure Gruppe der Besucher von Neuzugezogenen entstanden ist. Erzähl etwas davon, wie ihr immer wieder neue Mitglieder für den Chor gewinnt." So oder ähnlich können wir heute die Menschen in unserer Nachbarschaft fragen.
Wenn ich mich damit näher beschäftige, komme ich auch auf die Probleme und die Schattenseiten zu sprechen. Aber vorher soll stehen: "Was gelingt denn bei euch?"
Und die Ökumene
Schau mal, was der Nachbar macht... Das kann in der kommenden Woche auch der Blick in die evangelischen Gemeinden sein. Am Dienstag beginnt die Weltgebetswoche um die Einheit der Christen. Dieses Gebet fällt leichter, wenn ich den Reichtum der anderen Konfessionen wahrnehme. Ich suche Einheit mit anderen Christen, deren religiöse Praxis auch etwas zu bieten hat. Ich suche Einheit mit Christen, die vielleicht auch uns fragen: "Was macht für dich katholisch sein so wertvoll?" Weiß ich dann eine Antwort? Kann ich eine Geschichte meines Glaubens erzählen, die ähnlich ermutigend und spannend wird wie die Geschichten, die Markus für sein Evangelium gesammelt hat?
Auch hier kommen Schatten von ganz allein ins Spiel. Die brauchen wir nicht zu suchen. Aber das Feuer, das wärmt, gilt es zu suchen. Was wir darin finden, bringt uns weiter. Das bedeutet Wachstum - so wie der Kreis der Jünger um Jesus wuchs.