Nacht
Draußen ist es dunkel. Es ist Nacht. Warm und hell ist es in unserer Kirche. Kerzen leuchten. Wir singen die alten, wir singen die neuen Lieder. Von der stillen, von der heiligen Nacht. Diese Nacht ist anders, anders als die vielen anderen Nächte, die wir verschlafen, die wir vielleicht aber auch durchwachen. Aufgeschreckt, verunsichert, mit Schmerzen.
Draußen ist es dunkel. Es ist Nacht. Wie feiern Weihnachten in einer - Nacht. Und sind doch auf der Schwelle. Auf der Schwelle zum Tag. Wir erwarten den Morgen, wir erwarten das Licht.
Glanz
Das Evangelium erzählt uns von einem Glanz, der aus einer, aus der anderen Welt kommt. Engel haben ihren großen Auftritt - auf einem Feld. Verdreckt sind die Hirten, die hier hausen - unweit vom Dorf, aber weit genug weg von der Zivilisation. Leute mit schlechtem Ruf und noch schlechteren Manieren hüten für einen Hungerlohn die Schafe ihrer Herren. Es gibt Tage, an denen sie nicht einmal richtig satt werden. Schade, dass sie nicht auch Gras fressen können. Das Leben auf der kargen Weide ist hart, erbärmlich hart - und macht hart, erbärmlich hart. Die Wölfe hatten es besser. Wölfe haben es immer besser. - Von einer Idylle - an der uns so viel liegt - erzählt auch der Evangelist nichts. Nachdrücklich, wenn auch einsilbig, erzählt er von der Nachtwache. Von durchwachter Nacht.
Aber: die Engel gastieren hier. Schön, glanzvoll - es ist, als ob der Himmel über diese Nacht seinen Glanz ausschüttet. Ohne Maß, ohne Berechnung. Dann erklingt auch das Lied, das nur aus dem Himmel kommen kann: Ehre sei Gott in der Höhe - und Friede auf Erden. Haben die Hirten etwas mit dem Unfrieden zu schaffen? Sind sie - schuldig? Verantwortlich?- Sind sie Opfer? Leidtragende? Ein wenig verwundert höre ich zu. Verschwendete Liebesmüh, verschwendete Liebe - an diesem Ort. Hätten die Engel nicht lieber ein Machtwort zu den Despoten, Tyrannen und Terroristen bringen sollen? Ultimativ, drohend, unerbittlich? Stattdessen singen sie den Hirten ein Lied. Mitten in der Nacht. Und uns auch. Wohin das noch führen soll...
Krippe
Alles, was die Engel singen, alles wir die Hirten hören, alles, was wir hören - führt uns zur Krippe.
Zu einer Futterkrippe. Heute liegt in ihr ein Baby, neu geboren, gerade geboren. Maria und Josef finden keinen besseren Ort. Es ist kein Raum in der Herberge. Warum ist immer alles voll, wenn Menschen ein Dach über dem Kopf brauchen, ein warmes Bett für die Nacht, einen Platz für den Säugling, das kleine, das schwache Kind. Nein, Lukas erzählt ohne Unterton, er erzählt auch nichts zwischen den Zeilen - nur: mir müssen diese Gedanken kommen! In dieser Nacht! Bevor der Morgen graut!
Jesus, der Messias, der Herr - so wird er im Evangelium genannt - findet in einem Stall sein erstes Zuhause. Die großen Worte, dass Gott Mensch wird, dass seine Verheißungen in Erfüllung gehen, dass eine neue Zeit anbricht, werden hier ganz klein. In Stroh gebettet. Den Tieren näher als den Mächtigen. Aber was deutlich wird, so deutlich, dass es niemand übersehen kann: Gott hat sich klein gemacht, nein, nicht nur klein: niedrig, gering.
heimatlos
So lange ist es noch nicht her, dass am Heiligen Abend oder in der Christnacht von Flucht und Vertreibung gesprochen wurde. Nach dem Krieg feierten viele Menschen Weihnachten nicht nur in Ruinen, sondern auch mit der Erfahrung, wohl nie mehr zurückzukönnen. Nach Schlesien, Ostpreußen, Pommern. Sie hatten ihre Heimat verloren, aber die neue noch nicht gefunden. Innerlich. Viele spürten auch die Ablehnung, manchmal fein getarnt, manchmal zu offen. Jetzt saßen sie alle in der Kirche und feierten Weihnachten. Die Einheimischen und die - Fremden. Hieß es im Evangelium dann "in der Herberge (sei) kein Platz für sie" gewesen, entstanden in den Köpfen der Menschen ganz eigene Bilder. Zwischen Traum und Albtraum, zwischen Hoffnung und Angst. Aus Fremden wurden dann Einheimische. So mancher Weihnachtsgottesdienst baute Brücken, gab neue Ideen, überwand Vorurteile. Soll, darf ich das - Erfolgsgeschichte nennen?
Dass Gott sich klein macht, sich in unsere Welt begibt, nicht einmal auf Augenhöhe: in eine Krippe - das lässt Bilder, Worte und Lieder unter uns wachsen. Zu Weihnachten. Liebe ist immer zärtlich, kindlich, zutraulich. Liebe ist aber auch immer zerbrechlich, gefährdet, bedrängt. Liebe muss behütet werden. Wie ein Licht.
Maria und Josef kommen in einem Stall unter. Die Themen Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit sind auf einmal auch wieder bei uns da. Wir bekommen mit, wie Krieg und Terror viele Menschen hinwegfegt, auseinanderreißt und vielleicht für immer trennt. Sie aber haben schreckliche Wege vor sich - und hinter sich. Können sie bei uns - wenigstens für eine Zeit - eine Heimat finden, ein Zuhause? Können sie bei uns ausruhen? Noch einmal neu anfangen? Die schwierigen Fragen, die mit diesen Themen verbunden sind, werden wir in dieser Nacht nicht lösen, aber es fällt ein Licht, ein Glanz auf sie: Gott hat sich, als er Mensch wurde, auf die Seite derer geschlagen, die ganz unten sind.
Wohin wir gehören? Schwer zu beantworten ist die Frage nicht...
Zeichen
In dieser Weihnachtsnacht hören wir die Geschichte von der Geburt Jesu. Eingebettet in die große Weltgeschichte. Kaiser Augustus wird namentlich genannt, sein syrischer Statthalter Quirinius auch. Aber Gott hat seine eigene Geschichte mit den Menschen. Mit den großen - und mit den kleinen. Seine Geschichte ist eine Liebesgeschichte.
Da sehen wir zwei Menschen auf einem langen Weg. Maria trägt ein Kind unter dem Herzen. In einem Stall kommt Jesus zur Welt. Engel besingen diese Geburt. Es wird ganz hell. Augustus weiß das nicht, Quirinius auch nicht. Aber ich!
Dann machen sich die Hirten auf. Sie müssen vor keinem Palast warten - sie werden auch nicht verjagt. Ställe kennen sie. In ihrer vertrauten Welt finden sie ein Kind. So, wie ihnen zugesagt war: "Ihr werden ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt." Dass Gott hier selber liegt, ist ein Geheimnis. Ein offenes Geheimnis. "Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Herr, das Gott lobte und sprach:
»Verherrlicht ist Gott in der Höhe
und auf Erden ist Friede
bei den Menschen seiner Gnade.«"
Draußen ist es dunkel. Es ist Nacht. Warm und hell wird es in unserem Leben. Kerzen leuchten. Wir singen die alten, wir singen die neuen Lieder. Von der stillen, von der heiligen Nacht. Diese Nacht ist anders, anders als die vielen anderen Nächte, die wir verschlafen, die wir vielleicht aber auch durchwachen. Aufgeschreckt, verunsichert, mit Schmerzen.
Wir sind Menschen seiner Gnade!
Jetzt geht die Sonne auf.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn.