Der grausame Tod
Durch die Medien ist diese Welt klein geworden. So kann jeder Mensch von Leiden und Sterben erfahren, auch dann, wenn es Hunderte, ja Tausende Kilometer entfernt geschieht. So habe ich wie viele Menschen ganz erschüttert Anteil genommen an dem schweren Busunglück in der Schweiz. 22 belgische Kinder und 6 Erwachsene verloren ihr Leben. Etliche wurden schwer verletzt. Nein, das Leben wird für sie nicht wie vorher sein. Selbst dann, wenn menschliches Versagen zugrunde läge, was würde es bringen. Menschliche Schuld erzeugt viel Leid, viel Sterben.
Wesentlich grausamer zeigte sich die menschliche Schuld kurze Zeit später in Frankreich. Drei Kinder mussten sterben und ein Familienvater. Unsere Welt ist von Leid und Sterben durchdrungen. "Die Welt ist einfach ungerecht!" So hat es ein Lehrer immer wieder gesagt. Fast schon möchte man resignieren. Es ist ja doch nichts zu machen. Wir müssen mit allem Leid, allem Schweren wohl leben. Es spielt keine Rolle, ob wir Menschen uns das Leid selbst verschulden oder ob es eine Naturkatastrophe ist.
Dabei dürfen wir ja nicht vergessen, dass unsere Natur aus dem Gleichgewicht kommt, wegen viel Egoismus, viel Ausbeuterei, weil eine Haltung um sich greift: nach mir die Sintflut. Vom Kopf her ist es klar: eigentlich sollten wir anders leben, wenn auf dieser Welt auch noch unsere Kinder und Kindeskinder menschenwürdige wohnen können. Doch da schiebt sich leider zu sehr die egoistische Haltung von uns. Ich glaube: jeder, der diesen Gottesdienst jetzt mitfeiert, kann eine ganze Reihe von Erfahrungen und eigene Beispiele bringen.
Wo ist bei alle dem Gott?
Ganz gleich, was sie ergänzen würden, so möchte ich mit Ihnen allen fragen: wo ist bei alle dem Gott, dieser barmherzige Gott, dieser liebende Gott? Nein, der Karfreitag löst nicht unsere Frage: warum lässt so ein barmherziger Gott das alles zu? Wie kann ein barmherziger Gott seinen eigenen Sohn so leiden lassen? Warum hat er zu unserer Erlösung nicht einen anderen Weg gewählt. Mir kommen diese Fragen immer wieder in den Sinn. Sie zeigen mir eines: der Glaube ist nicht nur einfach. Ich kann leicht an einen liebenden Gott glauben, der ganz besonders die armen, die entrechteten Menschen ansieht, an einen, der die Welt aus Liebe erschaffen hat. Ich kann an einen Gott leicht glauben, wenn ich höre, dass er mich beschützt, in allem seine Hand über mich hält. Aber bei den Fragen nach den Ungerechtigkeiten, die er zulässt, nach dem vielen Leid, das Leid der sexuell missbrauchten Kinder, nach dem Leid der misshandelten Menschen, da komme ich an meine Grenzen, da fühle ich mich herausgefordert. Da ist auch mein Glaube herausgefordert. Nicht in dem Sinn, dass ich eine Antwort geben und finden müsste, die noch niemand gefunden hat.
Ich fühle mich herausgefordert, immer wieder und von neuem meinen Gott auf andere Weise kennen zu lernen. Ich merke, dass ich mein Gottesbild niemals absolut setzen darf. Ich spüre einfach: es gibt keinen Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen. Das wäre auch zu einfach. So und darf ich mich nicht mit vordergründigen Antworten zufrieden geben.
Gott hat sich auf die Seite der Menschen gestellt
Was kann einem Menschen noch in tiefstem Leid ein lieber Gott nutzen. Eine Antwort kann ich auf diese Fragen - wie gesagt - nicht geben. Dennoch glaube ich daran, dass viele Menschen Trost und Hoffnung darin finden, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist. Ich merke das auch ganz deutlich, wie die Menschen im Glauben Kraft und Trost finden. Gott hat in Jesus uns Menschen angenommen. Er hat sich - nicht nur in Worten, sondern auch in Taten - auf die Seite der Menschen gestellt, die leiden, auf die Seite der Menschen, deren Leben durch die Schuld anderer oder aber auch durch eigene Schuld behindert wurde.
Er hat sich auf die Seite der Menschen gestellt, die verachtet wurden. Das hören wir in der ersten Lesung. Es kann betroffen machen, wenn da ein Mensch beschrieben wird, der so hässlich ist, voller Schmerzen, seien es körperliche Schmerzen, verachtet und verspottet war dieser Mensch. So ein Mensch gilt als von Gott verachtet. Ehrlich: meinen wir das nicht auch von manchen unserer Mitmenschen? Oder anders gefragt: machen wir uns in unserem Leben immer wieder Gedanken, dass jeder Mensch, auch den, den wir nicht mögen, ein geliebtes Kind Gottes ist. Die Lesung hört nicht auf, über den Gottesknecht Schlechtes zu schreiben. Wegen unserer Sünden muss er alles erleiden, zu unserem Heil nimmt er die Strafe auf sich. Auch hier kann ich fragen: wie oft wälze ich meine Schuld auf andere, mache andere Mitmenschen für mein Missgeschick verantwortlich? Missgeschicke haben immer andere Menschen in meinem Leben verursacht, Erfolge, die schreibe ich mir selber zu! Sicher darf ich nicht das Leid, das Menschen anderen zufügen, herunterspielen. Aber ich muss, ganz gleich, was ich erlebt habe, immer bereit sein, meinen Anteil zu sehen und die Verantwortung zu übernehmen. Nur dann ist eine Versöhnung mit anderen, mit sich selbst, mit anderen und auch mit Gott möglich!
Der leidende Gottesknecht
Bereitwillig nimmt der Gottesknecht das Leiden, die Schuld seiner Zeitgenossen auf sich. Wenn er hier mit einem Lamm verglichen wird, dann zeigt das die tiefe Absicht, die Gott verfolgt: es geht um Frieden, ums Shalom. Gewalt wird nicht mit Gegengewalt beantwortet. Der Mensch hat durch seinen Ungehorsam diesen Shalom, diesen Frieden, diese Einheit mit Gott verloren. Es sind in dieser Welt gerade die Gerechten, gerade die Menschen, die in dieser Einheit mit Gott leben, diejenigen, die am meisten leiden müssen, die am meisten an die Wand gedrückt werden. Darum ist ja auch gerade die Bergpredigt der Text, der am meisten umstritten ist, der von vielen zwar als schön und gut angesehen wird, aber eben nicht als lebbar, als unrealistisch angesehen wird.
Ich frage mich jetzt: warum lässt das der leidende Gottesknecht das so mit sich geschehen? Vielleicht (ich weiß es ja nicht!), um nicht selbst schuldig zu werden. Vielleicht um einen anderen Weg zu gehen, das Leid, die Schuld der anderen zu überwinden. Bei all den vielen "vielleicht" erscheint doch eines ganz sicher, woher der Mensch die Kraft nimmt. Er nimmt die Kraft aus der Gewissheit, dass Gott auf seine Seite steht. Gott steht hinter ihm. Nach den vielen Leiden, die vielfältige Ursachen haben, sehen wir nun in Gott, in seinem Sohn Jesus, das Licht.
Sich von Gott getragen wissen
Wir haben Jesus erlebt in der Passionsgeschichte. Vieles trifft auf Jesus zu. Jesus erlebt Verrat, Verleugnung, er erlebt Einsamkeit. Letztlich sind nur noch sein Lieblingsjünger bei ihm, ein paar Frauen und seine Mutter. Doch zeigt sich in der ganzen Passion auch, wie souverän Jesus ist. Er hat es nicht gesucht das Leid. Es ist ein Weg, den Jesus gegangen ist, aus Liebe, um Menschen zu zeigen: Gott steht auf eurer Seite. Für mich zeigen die Lesung und das Evangelium, wie es Menschen geht, die ganz auf Gott vertrauen.
Ich weiß nicht, ob ich die Souveränität hätte, ob ich so auf Gott vertrauen könnte, wenn mich einmal wirklich tiefes Leid trifft. Aber ich darf glauben, dass mein Gott, an dem ich glaube, meine Schuld auf sich genommen hat. Ich darf nicht lustig sündigen, aber ich darf mich in meiner Schwäche getragen wissen. Ich darf mit Gott auf Schuld und Leid in meinem Leben antworten. Vielleicht(ja mehr kann ich nicht sagen!) ist es ja der Glaube an diesen menschlichen Gott, der mir hilft, der allen Menschen hilft mit der vielen Schuld zurechtzukommen. Darum können wir sagen: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Leben.