"Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger."
So lautet eine Feststellung des Karl Rahners. Diesen Satz habe ich im Buch meines Pastoraltheologieprofessors und Mitbruders Hermann Stenger gefunden. In der Vorbereitung auf die Predigt zum 4. Ostersonntag und Weltgebetstag um geistliche Berufe, erinnerte ich mich an das 2000 von ihm erschienene Buch mit dem Titel "Im Zeichen des Hirten und des Lammes". Dieses Buch, an dem Hermann Stenger 10 Jahre gearbeitet hat, übersteigt zwar den Rahmen einer Sonntagspredigt, bringt jedoch zum Ausdruck, wie umfangreich das Bild vom Hirten schon in der Bibel mit seinen orientalischen Lebenserfahrungen war und dass Hirte-Sein bis in unsere Zeit eine äußerst sensible Aufgabe geblieben ist. (Siehe Kontexte aus dem oben genanntem Buch).
Gerade in der kath. Kirche, die weltweit heute vor fast unlösbaren Herausforderungen steht und in vielen Ländern der Erde (nicht bloß in Europa oder Nordamerika) große Probleme mit dem Nachwuchs von geistlichen und kirchlichen Berufen hat, wird die Sicht Hermann Stengers vom Hirtenamt in der Kirche und der Leitungsaufgabe in der Gemeinde immer bedeutsamer.
Hirtenbilder heute
Jesus greift das Bild vom guten Hirten auf, das seinen ZuhörerInnen sicher vertrauter war als es uns heute ist. Wer kennt heute den Beruf eines Hirten wirklich? Vielleicht aus einer kurzen Bergwanderung, die auf eine Alm vorbei führte oder endete, vielleicht noch etwas oberflächlicher durch diverse Werbeeinschaltungen bis hin zur violetten Kuh für eine bekannte Schokolademarke. Wir tun uns schon schwer mit dem Bild vom Hirten und wohl noch viel schwerer, wenn es um die theologische Umsetzung des Hirten und seiner Herde auf die Person Jesu und auf die JüngerInnengemeinde geht.
Das aber mindert nicht die tiefe Aussage, die uns der Evangelist Johannes mit dieser Perikope vor Augen stellt. "Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich; wie mich mein Vater kennt, und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe". Nach den Ostererzählungen von den Begegnungen der Jünger mit dem Auferstandenen in der Osterzeit ist das Hirtenbild für den Auferstandenen für mich so etwas wie eine Krönung.
Die Jesuserfahrung der Jünger
Was Jesus zu Lebzeiten seinen Jüngern gesagt hat, wird von den Evangelisten Jahre nach der Auferstehung aus der Auferstehungserfahrung niedergeschrieben. Schon zu Lebzeiten Jesu haben die Jünger und Jüngerinnen, ja die Menschen, die ihm begegnet sind, die er geheilt hat, die er angesprochen hat, die sich ihm anvertraut haben, erfahren dürfen, dass er sich von allen anderen unterscheidet. Ja, viele haben gespürt, dass er die Menschen kennt wie kein anderer. In seinen Worten, in seinem Denken, in seinem Handeln war etwas von der Liebe und Barmherzigkeit, Güte und Weite seines Vaters spürbar. Und er hat nie eine Gelegenheit ausgelassen, dass es letztlich nicht er ist, sondern er immer im Auftrag und in der Sendung seines Vaters handelt.
Ob nun bei der Begegnung mit der Sünderin Maria Magdalena, mit dem Zöllner Zachäus, mit dem Gelähmten, den er in der Synagoge in die Mitte stellt und ihn heilt oder in dem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus, immer kommt ein ganz neues Denken, ein ganz neues Gottesbild durch. Und Jesus kann zum Staunen, ja oft auch zum Entsetzen der Schriftgelehrten und Pharisäer aufzeigen: das ist alles schon in den Schriften der Väter enthalten. Aber er befreit von allen unmenschlichen, unfrei machenden und den Menschen knechtenden Gesetzen und Vorschriften, ja Denken und Urteilen, er befreit alle, die meinen, den Glauben auf diese Art bewahren zu müssen.
Die Würde der Gotteskindschaft
Wer in diesen Ostertagen, sei es in der Osternachtliturgie selber oder in den folgenden Tagen, eine Taufe mitgefeiert hat, wird wie ich bei der Tauffeier eines achtjährigen Mädchens, das heuer zur Erstkommunion geht, besonders ergriffen, wenn der Taufspender, die Neugetaufte mit Chrisam salbt und ihr zusagen darf: "Du bist gesalbt zur Priesterin, Prophetin und Königin." Welch eine Würde wird durch diese Salbung ausgedrückt!
Nehmen wir dieses Ritual in unserer Kirche wirklich ernst? Es muss für einen Erwachsenen in der Urkirche ein für sein Leben prägender Augenblick gewesen sein und wohl auch heute noch sein, wenn mit dieser Salbung das tiefe und große Geheimnis der Taufe, durch das ich Christi Namen tragen darf, ausgedrückt wird: Christos, der Gesalbte. Jede Christin und jeder Christ ist eine Gesalbte, ein Gesalbter und damit eine von Gott durch Jesus Christus Berufene, ein Berufener und mit der Firmung - in der Erwachsenentaufe wird sie ja gleich anschließend an die Taufe gespendet - eine Gesandte, ein Gesandter.
Anteil an der Berufung uns Sendung des Guten Hirten
In und durch die Taufe wird Wirklichkeit, was Jesus gesagt hat: "Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich; wie mich mein Vater kennt, und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe." Jede und jeder hat durch die Taufe Anteil an dieser Berufung und Sendung, jede und jeder auf seine und ihre Weise, jede und jeder durch sein und ihr ganzes Leben.
Das Evangelium des vierten Ostersonntag vom Guten Hirten erinnert uns neu daran, wie Karl Rahner es ausdrückte: "Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger, eine geweihte Seelsorgerin"