Kennen Sie das: Manchmal hat man für ein Problem, das zu lösen ist, urplötzlich eine Idee. Da taucht vor dem inneren Auge ein klares Bild auf - man weiß ganz genau, wie man's machen will. Wenn man sich dann an die Umsetzung der Idee heranmacht oder gar schon früher: wenn man jemand Anderem die Idee erzählt, muss man feststellen: Das kann man im Leben nicht klappen, so vieles ist nicht ausgereift. Immer wieder machen wir diese unschöne Erfahrung: Zwischen einer unglaublich tollen und liebgewonnenen Idee und deren Umsetzung liegt oftmals ein harter Weg.
Dem Licht der Wahrheit entgegenblinzeln
Eine uralte Geschichte des antiken griechischen Philosophen Platon erzählt von Menschen, die in einer Höhle wie Gefangene leben und von der Welt draußen nichts weiter zu sehen bekommen als die Schatten der Dinge, die durch hereinfallendes Licht an eine Wand projiziert werden. Was so furchtbar tönt nach Folter und Qual, ist es gar nicht, - es ist für die Menschen in der Höhle vielmehr ganz normal - so normal und so gewohnt, dass sie gar kein Bestreben haben, sondern sogar geradezu Furcht davor, ihr Leben zu verändern, sich auf den Weg zu machen, um mehr erkennen als diese Schatten an der Höhlenwand.
Der antike Philosoph machte durch diese Geschichte seine Zeitgenossen darauf aufmerksam, dass sie ihre Welt eigentlich gar nicht richtig und vollständig begriffen, sondern nur wie Schatten, eben wie unausgereifte Ideen, - oftmals auch nur so, wie sie diese Welt gerne hätten oder wie andere Menschen ihnen diese Welt vorgaukelten. Die Menschen, so der Vorwurf Platons, hätten gar keine Ahnung, wie die Welt wirklich sei, und sie könnten folglich auch nicht richtig mit ihr umgehen: Die Erkenntnis einer umfassenden Wahrheit würde ihnen fehlen. - Ein Vorwurf, den auch schon Platons Lehrer Sokrates erhoben hatte und der diesem dann das Leben kostete: Die Welt um diese beiden Philosophen herum wollte sich eben nur ungern sagen lassen, dass sie von der Wirklichkeit eigentlich gar keine umfassende Ahnung hatte, dass sie nur in unausgereiften Ideen lebte. Das war ein zu schmerzhafter Vorwurf. Wer lässt sich denn auch schon gerne sagen, er sei realitätsfremd, er sei 'fernab vom Schuss'.
Die Wahrheit ins rechte Licht rücken
Dieses 'Höhlengleichnis' des Platon gehört zu den bekanntesten philosophischen Texte der Geschichte. Über Jahrhunderte ist immer wieder diese eine große Frage aus der Erzählung diskutiert worden: Wie kommen wir von der Idee zur Realität, was ist denn wahre Erkenntnis - oder noch pointierter: Was ist denn Wahrheit? Diese tief-dringende Frage beschäftigte die Menschen stets, - bis heute. Sie ist nicht nur eine schwierige philosophische Frage, sie ist mindestens genauso auch eine brisante zwischenmenschliche wie auch schließlich politische Frage.
An diesem Sonntag hörten wir gerade aus dem Johannesevangelium. Ob Johannes der Evangelist tatsächlich jener griechischsprechende Intellektuelle war, für den er immer mal wieder gehalten wurde, und der dann auch die platonische Höhlen-Geschichte kannte, wird heute bezweifelt. Sicher aber kannte Johannes das Problem, das er im 18. Kapitel seines Buches den römischen Statthalter Pilatus mit der berühmten Frage formulieren lässt: Was ist Wahrheit?
Der Wahrheit ins Gesicht schauen
Was Platon und Johannes gleichermaßen und gemeinsam als Wahrheit, als Wahrhaftigkeit ansehen, ist etwas Wegweisendes, etwas, das das Leben der Menschen ausleuchtet und auf den richtigen Weg weist. Was aber Platon so unfassbar, so unnahbar, so weit weg vom Leben und so hochphilosophisch mit der Begrifflichkeit "wahre Erkenntnis der Dinge” umschreibt, bekommt in den Ausführungen des Johannes ein ganz klares Gesicht, in das man hineinschauen kann: Die Wahrheit, die klare Erkenntnis des Lebens bringt der Gottessohn in diese Welt ein durch seine Worte und seine Taten. Wer sich an ihm orientiert, wie einst das Volk Israel sich in der Wüste an der bronzenen Schlange des Mose orientiert hat, so der Zuruf des Johannes, der kann nicht fehl laufen oder - um im Bildwort des Johannes zu bleiben - der wird nicht im Finstern gehen. Die Ausführungen des Johannes erinnern dann auch stark an die Höhlengeschichte: "Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.”
Mach mal Licht an!
Zu Beginn dieses Gottesdienstes haben wir gesungen: "Lasst uns loben, freudig loben, dass wir allen Zeugnis, die da sind und doch nicht leben, sich betrügen mit dem Schein” und uns damit singend zu der Verantwortung bekannt, dieses Licht der Wahrheit Gottes in die Welt hinaus tragen zu wollen.
Wie oft müssen wir aber feststellen, dass wir uns eigentlich ganz gemütlich eingerichtet haben in unseren Höhlen, im Schummerlicht unseres Lebens: Dass wir in der Welt eigentlich nur sehen wollen, was uns passt, oft aber nicht, was wirklich da ist.
Wir Menschen haben unsere Vorstellungen von unserer Lebensführung - Neues anzupacken aber fällt uns da oft schwer, Aufbrüche wollen oft nicht gelingen.
Wir Menschen haben unsere Vorstellungen, etwa was gute Politik für unser Land ist - Fragen aber, die Kurskorrekturen hervorrufen würden, lassen wir oft nicht zu.
Wir Menschen haben unsere Vorstellungen, wie unsere Kirche am Reich Gottes mitwirken soll - aber bitte genau so und nicht anders.
Doch unsere Vorstellungen vom Leben sind nur ein Teil der Wirklichkeit. Unsere fixen Ideen, wie alles sein muss, sind immer wieder reformbedürftig. Und das gilt auch für unsere Ängste, die schlechten Vorstellungen, die negativen Ideen, die uns lähmen.
Die Botschaft Jesu Christi will uns motivieren, hinauszugehen und uns offen und ehrlich dem Licht der Welt zu stellen und dem Leben zu trauen. Wir sind aufgerufen, uns ins Licht der Welt zu stellen und dabei die Erfahrung zu machen, wie wir wirklich aussehen, wenn er uns anstrahlt.