Ein total verkehrtes Fest
Weihnachten ist ein total verkehrtes Fest: Plötzlich stehen Kinder im Vordergrund. Es gibt in der öffentlichen Aufmerksamkeit viel Platz für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Die starken Männer machen Pause mit ihren starken und die Welt bewegenden Ansagen. Einige stellen sich sogar für den Telefondienst bei »Licht ins Dunkel« zur Verfügung. Einen Tag lang eine total verkehrte Welt.
Das Evangelium vom Vorabend des Weihnachtsfestes, präsentiert uns eine lange Liste von großen und im Volk Israel einflussreichen Männern als Stammbaum Jesu. Dieser ist geschickt arrangiert. Er enthält nicht nur große Namen, sondern auch ein wenig Zahlensymbolik. Das Ziel, auf das er zusteuert, ist Josef, der Mann Marias. Dann heißt es aber überraschend: "Von IHR wurde Jesus geboren, der der Christus – der Messias – genannt wird." Gott geht seine eigenen Wege und durchkreuzt die Pläne der Menschen. Ohne Zutun der großen Akteure der Geschichte schreibt Gott selbst Geschichte. Er braucht die großen Männer nicht.
In einer berührenden Geschichte wird dann dargelegt, welche Rolle Josef in dieser Geschichte des Volkes Israel gespielt hat: Er legitimiert Jesus, obwohl er nicht sein leiblicher Sohn ist, gibt ihm den Namen, hält schützend die Hand über das Kind und seine Mutter. Er erweist sich in einem ganz anderen Sinn als gerecht, als wir es gewohnt sind, wenn Männer sich als rechtschaffen präsentieren oder Menschen ihre Rechte einfordern. Die Größe des Josef besteht darin, dass er das Wirken Gottes gläubig annimmt.
Das Ja des Josef
Was der Evangelist hier von Josef, dem Mann Marias erzählt, ist in erster Linie nicht ein moralischer Akt, der uns gegebenenfalls zur Nachahmung empfohlen wird. Worauf der Evangelist hinzielt und was diesen Mann auszeichnet, ist vielmehr ein religiöser Akt. Josef sagt Ja zum Tun Gottes. Das Ja des Josef hat für den Evangelisten Matthäus eine ähnliche Bedeutung wie für den Evangelisten Lukas das Ja Marias, das uns geläufiger ist. Beide Evangelisten zeigen uns, dass es darauf ankommt, dass wir Jesus, den Retter der Welt, den Gott uns zur Heilung unserer menschlichen Nöte gibt, gläubig annehmen.
In der Volksfrömmigkeit hat sich vielerorts der Brauch des Herbergsuchens erhalten. Er erinnert daran, dass Maria und Josef in den Herbergen Betlehems keinen Platz gefunden haben. Der Brauch mahnt uns, dass wir heute mit den Heimat- und Herbergsuchenden nicht in gleicher Weise verfahren. Er hat 2000 Jahre nach der biblischen Herbergsuche mehr denn je politische und soziale Brisanz. Vor unseren Türen stehen politisch Verfolgte, wirtschaftlich Aussichtslose aus anderen Ländern und Verarmte aus unserer eigenen Umgebung. Sie klopfen an unser soziales Gewissen und erinnern uns daran, dass in unserem Wohlstandsgefüge einiges verkehrt läuft, das wir nicht an diesem einen Abend lösen können.
Unser Ja zum Geschenk Gottes
Bei aller Aktualität des Herbergesuchens darf dabei nicht untergehen, dass es darüber hinaus noch um eine religiöse Dimension geht. Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob wir den von Gott gesandten Retter Jesus Christus in unser Leben hereinlassen. Ob wir zu Jesus und zum mit ihm verbundenen Programm Gottes ja sagen wie Josef. Ob wir uns dieses Geschenk Gottes aneignen, wie Josef Jesus als seinen Sohn angenommen hat, oder ob wir dieses Geschenk heimlich umtauschen oder irgendwann zu einem Flohmarkt bringen, wie wir das mit Geschenken machen, die uns nicht gefallen.
Weihnachten ist für uns eine doppelte Herausforderung. Wir sollen unser Herz in zweifacher Weise öffnen: einerseits indem wir uns die Not der Menschen, die es heute in der gleichen Vielfalt gibt wie damals, zu Herzen gehen lassen; andererseits indem wir uns für den Messias Gottes, den Retter der Menschen, öffnen.
Wenn ein Kind in das Leben seiner Eltern tritt, ist das meist ein freudiger Anlass. Es ist aber erst der Anfang einer langen gemeinsamen Geschichte. Wenn das Kind heranwächst mit allen seinen Bedürfnissen und zu einer eigenständigen Person wird, bleiben die Eltern mit ihm verbunden. Ihr Leben lang werden sie damit beschäftigt sein, die Eigenart ihres Kindes zu verstehen und zu begreifen.
Uns Jesus als unseren Messias uns "anzueignen", unsere Lebensgeschichte mit seiner zu verbinden, ihn in seiner Eigenart immer tiefer zu verstehen und zu erkennen, ist die große Zumutung Gottes, die uns in gleicher Weise trifft wie Josef und Maria.