Ein Jahr geht …
Heute schließen wir das Jahr 2014 ab. Was wir nicht geschafft haben, müssen wir mitnehmen. Heute reißen wir nichts mehr. Im Rückblick aber danken wir für viele Tage, die uns geschenkt wurden. Wir danken auch für die Tage, die uns entglitten sind. Uns gehört die Zeit nicht - sie ist in Gottes Hand. Bei ihm ist auch unser Leben geborgen.
Paul Gerhardt, 1607 geboren, hat 1653 ein Lied zum Jahreswechsel geschrieben:
Nun laßt uns gehn und treten
Mit Singen und mit Beten
Zum Herrn, der unserm Leben
Bis hierher Kraft gegeben.
Wir gehn dahin und wandern
Von einem Jahr zum andern,
Wir leben und gedeihen
Vom alten zu dem neuen.
Die schreckliche Zeit des Dreißigjährigen Krieges war gerade zu Ende gegangen, 1648. Überall waren die Verwüstungen zu sehen. So manches Dorf war leer - ausgestorben. In den Erzählungen der Leute spiegelten sich traumatische Erfahrungen. Paul Gerhardt, damals Pfarrer in Mittenwalde, schenkt den Menschen Worte für den Jahreswechsel - und für den Neuanfang.
Durch so viel Angst und Plagen,
Durch Zittern und durch Zagen,
Durch Krieg und große Schrecken,
Die alle Welt bedecken.
... gehen wir zum Herrn.
Mit einem Gleichklang, der die Seelen zur Ruhe kommen lässt, schenkt uns Paul Gerhardt Zuversicht und Hoffnung. Es ist, als ob wir mit dem Lied schreiten können - Schritt für Schritt. In ein neues Jahr, auch in einen neuen Anfang. Schreiten ist nicht schnell, kein Rennen, kein Wettlauf. Auch kein Wettlauf mit der Zeit. Wir gehen aber auch nicht geschlagen durch den Schrecken hindurch. Nicht kleingemacht. Nicht mit hängendem Kopf. Aufrecht gehen wir zum Herrn. Er hat uns bis hierher Kraft gegeben. Dieser eine Satz reicht. Es gibt keine Vorwürfe, keine Klage. Paul Gerhardt beschreibt, erzählt - er hat viel gehört. Viel gesehen.
2014
Schauen wir auf unser Jahr zurück, 2014, sehen wir in vielen Regionen der Welt Krieg, Terror, Flucht. Die Folgen begegnen uns auch, obwohl wir - gefühlt - weit weg sind. Menschen kommen zu uns und suchen einen Unterschlupf. Viele von ihnen sind minderjährig. Was sie in ihrem jungen Leben schon erlebt, erlitten haben? Verstehen wir sie? Hören wir ihnen zu? Andererseits formiert sich bei uns Widerstand. Zum Teil diffus, zum Teil aber voller Angst. Die starken Worte, die fallen (und viel zu laut geschrieen werden), verbergen nur schlecht die Schwäche, die sich hinter ihnen versteckt - sie verletzen aber. Viele Muslime, die seit Langem bei uns zu Hause und auch an unserer Wirtschaftsleistung beteiligt sind, sehen sich mit Vorwürfen konfrontiert, die sie nicht entkräften können.
Viele unter uns haben auch Schicksalsschläge abbekommen - wie man, wie frau so sagt. Eine Krankheit, einen Unfall. Auf manchem Kreuz, manchem Grabstein steht 2014 als Todesjahr. Im letzten Jahr waren wir noch zusammen. Wir haben auf ein gutes, neues Jahr angestoßen. Jeder, jede von uns macht einen eigenen Jahresrückblick. Mit Fotos und Erinnerungen, mit Schweigen und Sorge.
Mit den Worten Paul Gerhardts:
Nun laßt uns gehn und treten
Mit Singen und mit Beten
Zum Herrn, der unserm Leben
Bis hierher Kraft gegeben.
Ein Jahr kommt ...
Als Christen legen wir das Jahr in Gottes Hand zurück. Von ihm haben wir die vielen Tage anvertraut bekommen. Im Internet können wir jeden Tag noch einmal nachgehen. Im Fernsehen gibt es Jahresrückblicke - interessant, wie unterschiedlich sie sein können. Es ist, als ob es d a s Jahr 2014 nicht gegeben hat. Wie unterschiedlich haben wir selbst die Ereignisse der vielen Tage erlebt, wahrgenommen, bewertet? Was ist uns zu Herzen gegangen? Was haben wir einfach abgehakt? Selbst von dem großen Leid, das viele Menschen getroffen hat.
Wir könnten ein Spiel daraus machen. Wissen Sie noch, was am 22. September war? Am 5. April? - Sie können auch in Ihren alten Kalender schauen. So viel Vergangenheit - und noch so viel Gegenwart. Glauben wir den Meinungsumfragen, gehen wir alle mehr oder weniger zuversichtlich in das neue Jahr. Unsere Kalender für 2015 sind schon gut gefüllt. Wissen Sie schon, wann Sie Urlaub haben? Wann das Baby kommt? Wann Sie in Rente gehen?
Neujahrswünsche
Paul Gerhardt hat für das neue Jahr nicht nur gute Wünsche formuliert. Er sieht unser Leben geborgen und gehalten - von Gott:
Denn wie von treuen Müttern
In schweren Ungewittern
Die Kindlein hier auf Erden
Mit Fleiß bewahret werden:
Also auch und nicht minder
Lässt Gott sich seine Kinder,
Wenn Not und Trübsal blitzen,
In seinem Schosse sitzen.
Das ist ein schönes Bild! Die Barmherzigkeit hat in der hebräischen Bibel immer den Mutterschoß vor Augen. Wird gesagt, Gott sei barmherzig, sehen wir ihn in seiner mütterlichen Art - er ist uns auch Mutter (nicht nur Vater). "In seinem Schoße sitzen" wird zum Inbegriff von Glück - auch im Unglück. Inbegriff von Trost - auch wenn uns die Welt entgleitet. Inbegriff von Hoffnung - auch wenn wir schuldig werden. Paul Gerhardt lässt sein Lied zum Gebet werden, zur Bitte:
Ach Hüter unsers Lebens,
Fürwahr, es ist vergebens
Mit unserm Tun und Machen,
Wo nicht dein' Augen wachen.
Gelobt sei Deine Treue,
die alle Morgen neue,
Lob sei den starken Händen,
die alles Herzleid wenden!
Nun lasst uns gehen...
Paul Gerhardt, Zeuge harter Zeit, auch in seinem privaten Leben arg gebeutelt, in viele Konflikte verwickelt, schenkt uns in seinem Neujahreslied einen großen und unbeugsamen Mut. Nicht nur für uns - auch für andere. Auch für die, die keine Treue und Verlässlichkeit in ihrem Leben erfahren, die vor jedem Tag Angst haben, die mit ihrem Herzleid alleine bleiben.
7 Strophen des Liedes geleiten uns unaufgeregt und liebevoll in das neue Jahr. 15 Strophen aber hat das Lied. Die anderen 8 Strophen sind Fürbitten. Wir wollen sie gleich miteinander singen. Und unsere Tage und Wege Gott anvertrauen.
Nun lasst uns gehen und treten
Mit Singen und mit Beten …
zum Herrn, der unserm Leben
Für morgen Kraft gegeben.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.