Die große Neugier
Hat Jesus nun die Griechen getroffen - oder nicht? Am Schluss ist nur noch von einer Menge die Rede, die nicht so recht weiß, was sie vernommen hat: ein Donnern - oder einen Engel. Die Verwirrung scheint groß zu sein. Von den Griechen ist nichts mehr zu hören oder zu sehen. Wenn sie dabei waren: was werden sie gedacht haben?
Dabei hätte das eine so schöne Geschichte werden können: Griechischsprachige Juden pilgern von weit her nach Jerusalem. Sie bringen den Duft und die Neugier der großen Welt mit. Ihr Wunsch, Jesus zu sehen, hätte das Zeug zu einer Erfolgsstory. Seht, wir waren bei ihm! Stolz hätten sie erzählen können. Aber jetzt? Ich weiß nicht einmal, ob sie ihn gesehen haben.
Was es zu sehen gibt
Ob sie ihn gesehen haben? Mein Freund Johannes hält sich sehr bedeckt. Was mich interessiert, umgeht er großzügig. Er lässt mich kein Gesicht sehen, keinen Promi, keinen Star. Selbst die Zaungäste verlieren sich. Johannes lässt Jesus zu Wort kommen - und dann gibt es auch etwas zu sehen. Nur: etwas anderes. Man muss schon genauer hinschauen und sich auf überraschende Perspektiven einlassen.
Fangen wir doch einmal an. Ich sehe, wie ein Weizenkorn - die Betonung liegt auf "ein" Weizenkorn - aufgeht und viele Körner hervorbringt, die sich in einer Hand bergen lassen.
Ich sehe, wie viele Körner ausgesät werden und eine reiche Ernte bescheren.
Ich sehe das Wunder, wie tatsächlich aus dem Tod neues Leben wächst.
Jesus sagt: "Wirklich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht."
Gelegentlich ist es hilfreich, das Sehen zu üben: Ich sehe die Körner nicht in der Erde vergehen und aufgehen, ich sehe nur die wogende Saat, den goldgelben Reichtum auf den Feldern - und wenn nicht den, dann die duftenden Brotlaibe in der Bäckerei und die Mehltüten im Geschäft. Mit Sonne drauf. Wir sind im Bann der Ergebnisse, fragen nach Folgen, denken an Rendite - aber Jesus lenkt den Blick zurück. Er lenkt ihn an den Anfang: Leben fällt nicht vom Himmel, Leben wächst in der Erde. Leben wächst auf der Erde.
Alltagsweisheit?
Das Wort Jesu hört sich wie eine Alltagsweisheit an. Sie werden auch nicht überrascht sein. Aber in Wirklichkeit redet Jesus von sich, von seinem Weg, von seinem Geschick. Er ist auch auf dem Weg nach Jerusalem. Wir wissen, was dort geschieht: Jesus wird der Prozess gemacht, es wird ein Todesurteil gefällt, quer durch alle Instanzen, und dann auch vollstreckt, bejohlt von der Menge. Ob die Griechen das auch hätten sehen wollen? Jesus war am Kreuz allein. So allein, wie jeder Mensch, der stirbt. Sogar von Gott verlassen. Gaffer gab es genug. Aber gaffen heißt nicht, etwas zu sehen.
Das Wort vom Weizenkorn, das stirbt und reiche Frucht bringt, ist eine Sehhilfe, eine Augenschulung. Jesus nimmt seinen Weg an und geht ihn bis ans Ende. Wo die einen, bis heute, von einem sinnlosen Tod sprechen, sehen andere in ihm den Anfang eines neuen Lebens. Vielleicht sogar: den Anfang ihres Lebens.
Wir haben vorhin eine Stelle aus dem Hebräerbrief gelesen (Hebr 5,7-9) Dort heißt es:
"Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden."
Wenn es uns heute schwer fällt, Tod und Heil zu verbinden, sind wir in guter Gesellschaft: Die Menschen, die Jesus hören, haben es auch nicht verstanden. Wir sind mit dem Tod nicht gut Freund. Obwohl wir seine Nähe kennen, sind wir immer aufs Neue überrascht, gar erschüttert, was er anrichtet. Und manchmal sind wir verletzt, wie Menschen mit ihm Geschäfte machen, sich in seinen Dienst stellen, ihm auf den Leim gehen.
Der junge Mann, der Amok läuft - die Waffenschmieden, die gute Geschäfte machen - Menschen, die für ihre Interessen sogar über Leichen gehen. Der Tod hat Gesichter und Herzen entstellt, Hoffnungen zunichte gemacht und verbrannte Erde zurückgelassen. Wenn es eine Sehnsucht gibt, die Menschen verbindet, über Jahrhunderte, über Meere und Kontinente, dann die nach dem überwundenen Tod. In vielen Mythen und Geschichten erzählen sich die Menschen ihren großen Traum. Wie sie dem Tod die Beute entreißen. Wie sie ihn klein kriegen. Wie sie sich über ihn erheben.
Reiche Frucht
Jesus sagt: "Wirklich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht." Jesus sieht sich in dem Weizenkorn. Er stellt es allen Menschen vor. Alle, die ihn hören, können sozusagen den neuen Anfang sehen. Sie können sehen, wie aus seinem Tod Hoffnung wächst, Leben aufgeht. Sie können Menschen sehen, die sich ganz in den Dienst der Liebe stellen. Das ist die reiche Frucht, von der Jesus spricht - die einzige, übrigens, die es mit dem Tod aufnehmen kann. Aus Liebe geht Jesus den Weg. Seine Liebe bleibt nicht allein. Sie geht auch unter uns auf.
Ist Ihnen aufgefallen, dass im Evangelium, auffällig oft, betont wird, dass Jesus verherrlicht wird? Das ist die Helligkeit und Schönheit seiner Liebe, die sich auf unser Leben legt. Kein Wunder, dass die Menschen nicht wissen, woran sie sind: Es hört sich wie ein Donnern an - oder ist es vielleicht die Stimme eines Engels? Damit keine offenen Fragen bleiben: "Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden", sagt Jesus. Das ist Donnern - und Engelsstimme zugleich.
Weggefährten und Wegweiser
Hat Jesus nun die Griechen getroffen - oder nicht? So recht beantworten kann ich Ihnen diese Frage immer noch nicht. Aber vielleicht ist das gar nicht so wichtig? Johannes sieht eine feine Spur: Es muss wenigstens einen Menschen geben, der Jesus kennt und einen Kontakte knüpfen kann. Im Evangelium ist von Philippus die Rede. Von einem Jünger. Er weiß, wie man Jesus findet. Er mobilisiert sogar andere, mitzugehen. Was halten Sie davon, wenn wir heute unsere Namen einsetzen? Denn Menschen, die Jesus gerne sehen möchten, gibt es viele. Sie sollen gleich die richtige Fährte finden - und von einer glücklichen Fügung schwärmen.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.