Auf Christus laufen alle Wege zu
Der Sonntag heute, immerhin der letzte Sonntag im Kirchenjahr, ist eigentlich unspektakulär und langweilig. Er schmeckt und riecht nach November. Wie ein Totensonntag. Als 34. Sonntag im Kirchenjahr schließt er eine Reihe von Sonntagen ab, die von 1 bis 34 einfach nur gezählt werden. Oder abgezählt. Festgefühle stellen sich nicht ein. Viele Menschen warten auf die Weihnachtsmärkte, den Glühwein, die Lichterketten – auf eine adventlich schöne Stimmung. Es ist, als ob die dunkle Jahreszeit – gefühlt - in den letzten Zügen liegt. Nächste Woche ist es endlich so weit: 1. Advent!
Aber dieser – letzte – Sonntag hat eine Schönheit, einen Reiz, der seinesgleichen sucht. Als „Christkönigsonntag“ hält er alle Sonntage, Weihnachten, Ostern und Pfingsten zusammen. Es ist, als ob das ganze Kirchenjahr mit den Texten, Träumen und Lichtern eilt, heute den Höhepunkt zu erreichen, endlich anzukommen. Auf Christus laufen alle Wege zu, die wir gehen – von ihm gehen alle Linien aus, die in unser Leben reichen. Unspektakulär, gar langweilig ist hier nichts. Christus ist der Herr!
Der König, der Hirt seines Volkes, sucht seine Schafe selber
Ezechiel, der Prophet, der uns die erste Lesung geschenkt hat, weiß noch etwas davon, dass der gute König der gute Hirte ist! Er leitet, er führt sein Volk nicht in das Verderben, sondern – bildlich – auf eine fette Weide. Es soll allen gut gehen! Sicherheit und Frieden nennen wir das. Ezechiel spricht von einer großen Ruhe, die nach harter Zeit eintritt. Die Ängste, die Selbstzweifel, die Vorwürfe verstummen. Das Volk Israel atmet auf, viele Menschen – eigentlich bis heute – sehnen sich danach, zur Ruhe zu kommen. Keine Horrornachrichten mehr! Keine Hasspredigten! Keine Klagen! Hören wir noch einmal in die Predigt hinein, die Ezechiel vor verunsicherten und enttäuschten Menschen gehalten hat: „Die verloren gegangenen Tiere will ich – Gott - suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden, die schwachen kräftigen, die fetten und starken behüten. Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist.“
Gott, der König, der Hirt, sucht seine Schafe selber. Er sucht uns. Am Christkönigsonntag feiern wir das mit alten Erinnerungen. Mit einer Predigt, die vor unserer Zeit gehalten wurde. Mit einer Verheißung, die längst nicht abgegolten ist. Aber es ist schön, mit Menschen, die über Jahrhunderte mit uns verbunden sind, diese große Hoffnung zu feiern. Christus ist König!
Am Ende herrscht Gott über alles, auch über den Tod
Als Paulus, sehr viel später als Ezechiel, aber früh genug für uns, seinen Brief an die Gemeinde zu Korinth schrieb, hatte er den letzten – und größten - Feind vor Augen: den Tod. Er liebt es, als Herr aufzutreten und eine Spur der Verwüstung hinter sich zurückzulassen. Sein Markenzeichen ist die Angst. Mit ihr ist er groß und uneinnehmbar.
Leider gibt es auch Menschen, die ihn genauso brauchen und Kratzfüße vor ihm machen. Dann können sie, heimtückisch, wortgewandt, machtgeil ihre Interessen durchsetzen. Bruder Tod darf dabei sein, wenn Waffengeschäfte und richtig viel Kohle gemacht werden. Bruder Tod darf dabei sein, wenn Lastkraftwagen in Menschenmengen gefahren werden. Bruder Tod darf dabei sein, wenn Flüchtlinge für viel Geld und falsche Hoffnung im Mittelmeer ersäufen.
Doch der Verbrüderung mit dem Tod wird das Ende bereitet. Bruder Tod wird als letzter Feind entlarvt – und muss überwunden werden. Mit ihm lassen sich keine Geschäfte mehr machen. Mit ihm ist weder Geld zu verdienen noch Staat zu machen. Hinter seinem Rücken können keine Achseln mehr gezuckt werden. Das triefende Bedauern schreit zum Himmel. Und alle Welt schaut zu. Gesichter haben keine Masken mehr, Worte keine Hülsen, Herzen keine Panzer.
Christus, von den Toten auferstanden, ist der Erste unter uns, der mit dem Tod aufräumt, ihm die Machtbasis entreißt und Gott das letzte Wort gibt. Am Ende herrscht Gott über alles und in allem. Wir sehen diese neue Welt. Heute. Christus ist König.
Der Weltenrichter hat das letzte Wort
Matthäus, der sich in gewisser Weise als Biograph Jesu versucht hat und den Ehrentitel Evangelist tragen darf, weiß von einem Gleichnis zu berichten, dass sein Herr erzählt hat. Das Gleichnis vom großen Weltgericht. Es gibt zwei Seiten. Rechte und linke. Gute und böse. Verlorene und zu Ehren gebrachte. Geliebte und Verworfene. Schwarz und weiß. Eigentlich ganz einfach und plausibel. Eine Anklage wird nicht verlesen. Es tritt auch kein Staatsanwalt auf. Verteidiger sind weit und breit nicht zu sehen. Nur der Richter steht so mächtig vor uns, dass uns angst und bange werden könnte. Er hat das letzte Wort, er spricht das Urteil, er trennt die Welten. Einreden gibt es nicht, aber Fragen. Wann, Herr, haben wir... "Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?"
In diesen Fragen steckt alles, was Leben ausmacht. Satt werden. Keinen Durst mehr haben. Eine Heimat, ein Zuhause haben. Angezogen werden. Besucht werden. Es reicht eine Hand. Fünf Finger. Sie halten die ganze Welt zusammen. Auch ein schönes Bild dafür, was Menschen brauchen, was wichtig ist, was unentbehrlich ist! Wir zeichnen die Linien nach. Es beginnt auf der Zunge, dann im Bauch. Wir sind geborgen, keine Fremden mehr. Fein angezogen trotzen wir der Kälte. Und in Notsituationen, wenn sich die Welt wie ein Abgrund auftut, sind wir nicht alleine. Und lassen keinen alleine.
Überraschend ist, wie der Richter auf die „Wann“-Frage antwortet! Alles ist ihm getan, alles wird ihm getan, wenn wir Hunger und Durst stillen, wenn wir Heimat gewähren, wenn wir Menschen kleiden und sie in vielen existentiellen Situationen begleiten. Nächstenliebe ist Gottesliebe. Und Gottesliebe entpuppt sich als Menschenliebe. Für sich reklamiert der Richter – nichts! Nicht einmal Glauben!
Was letztlich zählt
Was ist das für ein Gericht! Es wird als letztes Gericht vorgestellt, in einem Gleichnis geformt, bekommt dann aber das „Über-Gewicht“ in all dem, was wir tun oder versäumen. Jeden Tag.
Uns wird das Urteil gesprochen! Die Art, alles abzuwägen, sich selbst zu schützen und immer eine höhere Warte einzunehmen, wird uns aus der Hand und aus dem Mund genommen.
In einer reichen Welt verhungern Menschen! Viele haben kein gesundes Trinkwasser in der Nähe! An vielen Orten haben Menschen keine Zukunft mehr. Sie fliehen. Sie suchen ein Zuhause. Für sich und ihre Familien. Von Diskussionen werden sie nicht satt. Obdachlose finden wir bei uns auf der Straße. Wenn Kleidung für Würde steht, sind viele Menschen unter uns nackt. Man sieht ihnen Herkunft und Lage an. Und viele alte Menschen – und nicht nur alte – sterben alleine, namenlos und vergessen.
Den Wunsch, in einem letzten Gericht unsere Verdienste, Leistungen und unser Können angemessen beurteilt, gelobt und herausgehoben zu bekommen, erfüllt uns der Herr nicht. Bei ihm zählt tatsächlich nur, ob Hunger und Durst gestillt werden, ob Heimat gewährt wird, ob Menschen mit Würde bekleidet werden und keiner alleine alt und krank ist. Eine Hand. Fünf Finger. Das wirst du doch noch zusammenhalten können, sagt der Richter. Christus ist König!
Christkönigsonntag
Dieser – letzte – Sonntag hat eine Schönheit, einen Reiz, der seinesgleichen sucht. Als „Christkönigsonntag“ hält er alle Sonntage, Weihnachten, Ostern und Pfingsten zusammen. Es ist, als ob das ganze Kirchenjahr mit den Texten, Träumen und Lichtern eilt, heute den Höhepunkt zu erreichen, endlich anzukommen.
Die Verlorengegangenen werden gesucht, die Vertriebenen zurückgebracht, die Verletzten werden verbunden, die Schwachen stark gemacht... Das alles macht, das alles will Gott. Die dunklen, düsteren Tage haben ein Ende. Eine große Hoffnung schimmert in allen Farben – und es wird hell! Der letzte Feind, der Tod, muss daran glauben. Mit Angst geht es nicht weiter. Aber mit Liebe! Die wird uns anvertraut. In einem großen Gericht. Am Ende zählt nicht einmal der Glaube, der so große Berge versetzt und so viele Trennungen in Kauf nimmt. Am Ende zählt nur, was wir ihm, Christus, getan haben in seinen geringsten Brüdern und Schwestern. Dass er überhaupt so von sich redet und reden macht, dass die geringsten und kleinsten Brüder und Schwestern sein Gesicht tragen und seine Sprache sprechen, ist ein Gericht der besonderen Art. Wir werden alles, was wir denken, was uns wichtig ist, was wir als unsere Werte verkaufen von links nach rechts drehen müssen. Christus ist König!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Norbert Riebartsch (2008)
Maria Wachtler (2002)
Gabi Ceric (1999)