Wie Zukunft gewinnen?
4. Sonntag der Osterzeit! Das hört sich wie abgezählt an. 1, 2, 3 ... Nennen wir diesen Sonntag aber mit seinem Namen "Sonntag vom guten Hirten", bekommt dieser Sonntag einen warmen, vertrauten Klang. Als 4. Sonntag der Osterzeit erzählt er noch einmal mehr - und anders - die Ostergeschichte. Die Geschichte von Auferstehung, neuem Leben, von Zukunft.
Die Frage, wie wir Menschen Zukunft gewinnen können, ist allgegenwärtig. Wir diskutieren sie leidenschaftlich, manchmal kontrovers, manchmal ratlos. Wenn etwas nicht selbstverständlich ist, dann die Zukunft. Wir haben nicht einmal den Tag heute in der Hand. Den eigenen nicht - und den Tag der anderen auch nicht. Betroffen stellen wir gelegentlich fest, dass wir uns und anderen Menschen Zukunft verbauen. Eine letzte Einsicht haben wir nicht, wie alles zusammenhängt, wie Entscheidungen wirken, wie hinter glänzenden Fassaden Ruinen errichtet werden. Wir sehen zu, wenn die Welt aus den Fugen gerät, wenn die Modelle platzen, wenn Sicherheiten zur Makulatur werden. Hochgebildete Schwätzer bevölkern die Talkshows, Meinungen werden gerührt wie Teig und den Eintagsfliegen wird langes Leben beschieden.
Wie viele Hirten haben wir?
Im Evangelium wird ein Satz Jesu zitiert, der in seiner Fremdartigkeit und Freundlichkeit bezaubernd ist: die Menschen, sagt er, gleichen Schafen, die keinen Hirten haben. Oder meint er auch, wir hätten zu viele Hirten? Zu viele Ansprüche? Zu viele Versprechungen? Jedenfalls nicht die richtigen?
Dass wir auch in der Kirche lernen müssen, zum Teil sogar sehr schmerzhaft, dass unsere eigenen Wahrheits- und Führungsansprüche an Lebenswirklichkeiten zerschellen, fühlt sich wie eine Wunde an, die nicht heilen will. Wahrhaben wollen es viele nicht. Wir führen dann Rückzugsgefechte - und bleiben im Zaun hängen.
Ich sage das jetzt so einfach. Ein bisschen unheimlich wird mir auch. Es gibt doch den einen richtigen Weg, die eine richtige Führung, das eine richtige Ziel überhaupt nicht. Das Leben ist vielfältig, komplex und eben auch kompliziert. Im Streit bahnt sich das einen Weg. Das bekomme ich jeden Tag mit. Wenn ich dann mit meinen Gedanken durch die Geschichte streife, war es noch nie gut, nur eine Meinung, einen Weg, einen Traum zu haben, oder zuzulassen. Zur großen Sehnsucht der Menschen gehört die Freiheit, die Freiheit, eigene Wege zu finden, sich selbst zu verwirklichen, sich selbst viel zuzutrauen.
Die Frage ist doch nicht ketzerisch, ob es nicht vielleicht sogar ein Zeichen unserer Freiheit ist, keinen Hirten zu haben...
Es geht hier nicht um Führung in Betrieben, Verwaltungen und Behörden. Die werden - in der Regel - höchst professionell gemanagt. Es geht um die Frage, wohin wir als Menschen, als Gesellschaft, als Kirche gehen - oder getrieben werden. Wie können wir, wir können unsere Kinder und Enkel eine gute Zukunft haben? Wie kann eine Welt, die doch so klein geworden ist, in Frieden bestehen? Wie können tödliche Gefahren in Überlebenschancen verwandelt werden? Sollte es so sein, dass ich mein eigener Herr bin, bin ich entweder allein - oder muss mir meine Leute suchen, bei denen ich etwas zu sagen habe. Ich. Ich?
Die Frage drängt sich auf, ob es nicht vielleicht sogar ein Zeichen unserer Verlorenheit ist, keinen Hirten zu haben...
Führung und Freiheit
Wenn wir zusammen Gottesdienst feiern, bringen wir nicht nur unterschiedliche Erfahrungen und Sehnsüchte mit - wir geben sie in Gottes Hand. Die Grenzen, die wir ziehen, auch manchmal ziehen müssen - stecken die Weide nicht ab, die ER in großer Weite und Liebe geöffnet hat. Wir sollten sie auch nicht durch Kleinglauben, Rechthaberei und Angst in Parzellen verwandeln und mit unseren Zäunen einfrieden. Einfrieden ... Was das für ein Wort ist! Einen Frieden bewahren wir so nicht.
Jesus sagt: Ihr werdet niemals zugrunde gehen, niemand kann euch meiner Hand entreißen.
Das ist eine Zusage, für die keine Bedingungen oder Einschränkungen formuliert werden. Jedenfalls nicht von ihm, den wir heute - und sonst auch - als guten Hirten lieben. Er weiß um die Gefährdungen und Bedrohungen, denen Menschen ausgesetzt sind - und denen sie sich ständig aussetzen. Eine große, wortreiche Ausführung ist das nicht im Evangelium, eher eine vertraute und vertrauliche Erinnerung: an die Liebe, die Jesus im Tod bewährt hat - und an die Liebe, die uns Leben schenkt. Jesus sagt, dass ihm der Vater - der Schöpfer aller Menschen - uns anvertraut hat. Dass findige Ausleger immer schon Schlupflocher suchten (und fanden), um bestimmte andere Menschen auszuschließen und den Kreis schön klein zu halten, liegt wie ein Fladen auf der Weide - wir müssen mal kurz mit der Forke darüber streichen.
Der gute Hirte führt ins Weite
Kritiker bemängeln, dem modernen Menschen sei das Bild von Hirten und Herden nicht mehr verständlich - und auch nicht mehr zumutbar. Aber der moderne Mensch, Entschuldigung, wer immer das jetzt auch ist, braucht immer noch einen Raum zum Leben, eine freie Fläche vor sich und um sich und ganz viel Grün, viel Sonne und Licht. Gibt es ein schöneres, treffenderes Bild als - eine Weide? Eine Weide im Frühling? Wer mit Kindern unterwegs ist, entdeckt auch die Schafe neu! Dumm waren sie noch nie! Nicht so dumm wie Menschen, die sich doch tatsächlich mit Herdentrieb entschuldigen und freisprechen - oder belasten und verstricken.
Die vielleicht schönste Seite unseres Evangeliums klingt da an, wo Jesus uns das Vertrauen ausspricht: "Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir."
Wer auf Jesus hört, ist kein dummes Schaf! Ihm geht die Welt neu auf! Menschen in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit werden von ihm angenommen - und geliebt. Wenn wir ihm folgen, entdecken wir einen Lebensraum, in dem wir mit anderen Menschen Glauben und Vertrauen teilen. Im Evangelium wird nicht erzählt, dass dieser Lebensraum durch hohe Mauern und dicht gezogenen Stacheldraht abgeschottet wäre ... der gute Hirte führt nicht an die Grenzen, er führt ins Weite.
Das letzte Wort hat die Liebe
Auf seine Stimme möchte ich hören! Unter den vielen Stimmen, die tagein, tagaus auf mich einstürmen und einreden, ist seine nicht die lauteste, aber ich verstehe, worauf ich mich verlassen, wohin ich gehen kann. In seiner Welt hat die Liebe das letzte Wort.
Der Sonntag vom guten Hirten ist eine einzigartige Einladung, Jesus auf seinem Weg zu folgen. Er räumt uns so viel Platz ein, dass uns um unsere Freiheit nicht bange sein muss. Wir können sie mit dem größten Geschenk füllen, das er uns gemacht hat: mit Liebe.
Haben Sie noch die Worte im Ohr, die wir in der Lesung gehört haben? Ein fulminantes Bild aus der Offenbarung: Das Lamm in der Mitte vor dem Thron wird sie weiden und zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.