Die Wehe-Rufe Jesu verstören zunächst. Sie stehen aber bei Lukas den Seligpreisungen gegenüber. Jesus warnt vor die Sattheit des Reichtums und gibt zugleich den Armen und Kleinen ihre Würde.
Weh und ach
Kann Jesus auch schimpfen? Sollte er es vielleicht auch? Vielleicht auch öfter? Ungewohnt ist nicht nur die Frage – das ganze Evangelium ist es. Jesus ist doch immer lieb.
Wenn wir an die sog. Seligpreisungen denken, haben wir meistens die im Kopf, die der Evangelist Matthäus in der Bergpredigt Jesu hört. Der Evangelist Lukas – anders als sein Kollege Matthäus – erzählt, dass Jesus Menschen nicht nur „selig“ oder „glücklich preist“, sondern auch „Wehe-Worte“ findet: Wehe euch, ihr Reichen – wehe euch, ihr Übersättigten – wehe euch, die ihr alles mit Lachen übergeht. Wehe euch, die ihr euch selbst lobt und mit euch genug habt. Vier Sätze, aber es in sich haben.
Doch, Kritiker hat es immer schon gegeben, Kritiker von Reichtum, von den Übersättigten, von Lachern und Selbtbeweihräucherten. Die Kritik zieht sich durch die Jahrhunderte hin. Es war oft die Kritik namenloser, unterdrückter und enttäuschter Menschen. Oft wurden sie sogar missbraucht, ohne es zu merken. Vorgeschoben und instrumentalisiert.
Hasserfüllte Predigten wurden gehalten. Auch von Revolutionären, die gegen Fürsten und Herren, Reiche und Superreiche wetterten. Die meisten Reden haben Unheil geschaffen, die Welt aber nicht gebessert – sie haben Gewalt gerechtfertigt, aber keinen Frieden gebracht. Sie haben verletzt, aber kein Herz bewegt. Sie beschworen den Weltuntergang – und ließen die Welt untergehen. Am Ende zahlen immer die „Kleinen“, die „Armen“, die „von ganz unten“ die Zeche. Aufgehetzt und ausgenutzt.
Jedenfalls erzählt Lukas, dass viele Menschen mit Jesus unterwegs sind: eine große Schar seiner Jünger - und viele Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyrus und Sidon. Jesus geht vom Berg hinunter – in die Niederungen. Er geht vom Berg hinunter – und trifft, wenn man es so übersetzen mag, auf die ganze Welt. Wer all die Leute sind? Arme? Reiche? Kluge? Vom Leben benachteiligte? Enttäuschte? Mächtige? Ich reihe die Worte aneinander – eine Hierarchie gibt es nicht. Gemeint sind: alle. Alle auch „unten“ – unterhalb eines Berges. Auf der Höhe ist jetzt keiner. Auch Jesus nicht.
Lukas hat hier in wenigen Sätzen „alle“ unter einen Hut gebracht. Erzählen kann er, der Evangelist! Ein Meister!
Schimpf und Schande
Dass - früher - Schimpfen auf der Kanzel üblich war, wenn so ziemlich alle „unten“ saßen und sich nicht wehren konnten, hat mich nachhaltig verstört. Wie Jesus sein „wehe“ gesagt hat, weiß ich glücklicherweise nicht. Laut, donnernd, wütend – sich gar vergessend? Im Tempel hat Jesus einfach die Tische der Händler und Geldwechsler umgestoßen – nichts für zaghafte, zaudernde oder fromme Geister. Die Münzen liegen im Dreck. Die Opfergaben haben sich auf der Erde verteilt, wenn sie nicht gerade – wie die Tauben - weggeflogen sind. „Ihr habt aus meiner Vaters Haus eine Räuberhöhle gemacht“, sagt Jesus. Das hat Eindruck und Schlagzeilen gemacht. Aber auch Widerspruch und Entsetzen ausgelöst. Der Messias – ein Wüterich. Nein, ein Fragezeichen gehört hier nicht hin – es muss ein Ausrufezeichen sein.
Jesus hat nie gesagt, ab wann man reich ist, aber wann übersättigt, ab wann Lachen fehl am Platz ist. Er hat auch nicht gesagt, wo das Eigenlob, die Selbstbeweihräucherung anfängt. Hätte er das nicht machen müssen? Hätte er das nicht wenigstens machen können? Ich bin ratlos. Was, wenn ich zu reich, zu übersättigt, zu lachhaft bin? - Meint er mich?
Wenn ich das dann weit von mir weise und von einem Gegenbeispiel zum anderen hechle: darf ich Grenzen ziehen? Die da – wir hier? Die da – ich? Jesus rechtfertigt keinen Hass auf „die da“. Er schlägt sich aber auf die Seite derer, die keinen Fürsprecher haben. Er lässt sich nicht kaufen. Er heult nicht mit den Wölfen.
Hinter den Kulissen
Viele hasserfüllte Predigten haben sich auf Jesus berufen. Aber sein „wehe“ wurde missbraucht, eigenen Programmen dienstbar gemacht und mit Angst und Schrecken gefüllt. Was Jesus wohl meinte, als er “wehe“ sagte? Der Evangelist Lukas – man nennt ihn auch den Evangelisten der Armen - legt uns eine Spur.
Dreht sich nicht alles um Geld? Irgendwie? Geld wird zu einem Gott, der keine Barmherzigkeit kennt, hinter dicken Fassaden aus Glas Hof hält und täglich in Zahlenkolonnen gebettet und angebetet wird. Ihm werden sogar Menschen geopfert. Unschuldslämmer scharwenzeln um den Altar, der keine Hoffnung kennt. Sie sehen nichts, wissen von nichts, sie wissen nicht einmal um sich. Steckt in dem „Wehe“ nicht vielleicht auch ein Bedauern, ein Mitgefühl, ein Verstehen? Ein Aufschrei? „wehe“ euch, die ihr mit Geld erkaufen wollt, was von Anfang an immer nur ein Geschenk war: Liebe.
Jesus sagt „wehe“ – und es kommt einer Offenbarung gleich. Endlich nennt einer die Dinge beim Namen, endlich rückt einer die Dinge zurecht, endlich führt einer aus der Verlorenheit hinaus. Ich muss an den märchenhaft Satz denken: „Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe“. Was Jesus gegen die Reichen und Übersättigten sagt, gegen die, die mit stolzem Lächeln unter sich bleiben, ist umfangen von – Seligpreisungen. Das Wort klingt zwar ziemlich fromm, vielleicht auch verbraucht, doch in dem „selig“ steckt „glücklich“, „frei“, „geliebt“.
Glücklich
Wer ist glücklich, frei, geliebt? Nehmen wir jetzt die Perspektive Gottes ein, der nicht Hof hält, sich nicht in Zahlen verewigt, sich aber auch nicht in Zahlen versteckt, der keinen Menschen opfert , der aber auch kein Opfer braucht – nein, der sich selbst hingibt. Für Menschen, die er liebt.
Selig, ihr Armen,
denn euch gehört das Reich Gottes.
Selig, die ihr jetzt hungert,
denn ihr werdet gesättigt werden.
Selig, die ihr jetzt weint,
denn ihr werdet lachen.
Selig seid ihr,
wenn euch die Menschen hassen
und wenn sie euch ausstoßen
und schmähen
und euren Namen in Verruf bringen
um des Menschensohnes willen.
Armut und Hunger, Tränen und Verachtung werden von Jesus nicht verharmlost, beschönigt oder gar verklärt. Das wäre menschenverachtend und zynisch, bitter für alle, die nicht genug haben, die von der Hand in den Mund leben, auf der Flucht sind, ihren Kindern und Enkeln keine Zukunft versprechen können.
Keiner von uns könnte mit gutem Gewissen Gottesdienst feiern und das Evangelium hören.
Er, der das Brot bricht, teilt mit uns das Leben und sein Reich.
Wenn Jesus sich den Armen, Hungernden, Weinenden und Verachteten zuwendet, macht er sich nicht nur zu ihrem Anwalt, er gibt ihnen auch ihre Würde. Er wird einer von ihnen. Bei ihnen ist er zu finden. Und ganz nebenbei erfahren wir noch – am Schluss fein versteckt -, dass auch Reiche, Satte, Lachende arm, hungernd, weinend und verachtet sind. Vor Gott.
Glücklich sind die Menschen, die geliebt sind – und die Liebe schenken können. Ohne Absicht, ohne Gewinn, ohne Hass auf… Glücklich sind die Menschen, die „leer“ sind für Gott, für die Liebe. Dass Geld nicht glücklich macht, hat es wenigstens schon in die Sprichwörter geschafft – bis in alle Herzen ist es noch nicht vorgedrungen.
„Gesegnet der Mensch,
der auf den HERRN vertraut
und dessen Hoffnung der HERR ist.
Er ist wie ein Baum,
der am Wasser gepflanzt ist
und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt:
Er hat nichts zu fürchten,
wenn Hitze kommt;
seine Blätter bleiben grün;
auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge,
er hört nicht auf, Frucht zu tragen.“
(Psalm 1)
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Martin Stewen (2004)
Alfons Jestl (2001)
Hans Hütter (1998)