Sensibel werden
Es gibt bestimmte Tage und Ereignisse, an denen mir besonders bewusst wird, wie schnell die Zeit vergeht: Das sind meine Geburtstage, es ist die Nacht die Silvester und Neujahr verbindet, das Entdecken, wie schnell die Kinder in meiner Verwandtschaft größer werden und sich verändern, und - seit einigen Jahren -
ist es auch das Anzünden der vierten Kerze am Adventskranz.
Wenn es dann die Ordnung des Kalenders noch mit sich bringt, dass es in diesem Jahr nur wenige Stunden sind, die den 4. Advent von Heilig-Abend trennen oder beides sogar bisweilen auf einen Tag fällt, dann kommen mir solche Fragen wie: Sind alle Karten schon geschrieben? Hast du auch an die Geschenke gedacht, für die Menschen, die dir lieb und wichtig sind? Hat sich in deinem Umgang mit den Menschen in diesem Advent etwas verändert? Und auch ganz grundsätzlich: Bist du innerlich eigentlich schon so weit, Weihnachten zu feiern?
Neulich las ich in einem Büchlein, dass die Länge der Adventszeit sich im Laufe der Kirchengeschichte gewandelt hat. So kannte man in Jerusalem im 5. Jahrhundert nur einen einzigen Adventsonntag während zum Beispiel in der Erzdiözese Mailand heute noch sechs Adventsonntage gefeiert werden. Also, stellte ich schmunzelnd fest: Gut, dass du heute lebst und auf, ab nach Mailand! - Dann hast du noch ein bisschen Zeit für all das, was du in diesen Adventswochen bis jetzt noch nicht erledigen konntest.
Doch wäre ein solcher Aktionismus wirklich der Advent, den uns die biblischen Texte Sonntag für Sonntag sozusagen ans Herz legen und zu dem sie uns mit auf den Weg nehmen wollen, zu dem sie mich immer wieder einladen und verlocken wollen? Nein! - Die Schrifttexte in diesen Wochen vor Weihnachten, möchten geradezu bei mir dafür werben, dass ich nicht wie so oft bei all dem vielen Äußerlichen stehen bleibe, sondern - wie auch heute Josef im Evangelium - sensibel werde für die leisen Töne, mit denen Gott mich sozusagen wie mit einem Engel im Traum berühren möchte, damit seine Menschwerdung, die wir an Weihnachten feiern, auch in meinem Leben Herberge finden kann.
Die verwandelnde Kraft der Berührung
Die Heiligenfeste und das Brauchtum, die uns durch die vergangenen Wochen des Advent begleitet haben, sehe ich durchaus auch als eine solche Berührung an.
Martin
Am 11. November, also 40 Tage vor Heilig-Abend begann im Grunde schon die Vorbereitungszeit auf Weihnachten mit dem Fest des Heiligen Martin.
Der Mann des Schwertes ließ sich durch die Begegnung mit Christus berühren und wurde zum Bischof der Armen. Und in unseren Tagen ist es für mich der "Fan-Club" dieses Heiligen, der aus unzähligen Scharen von Kindern besteht, die sich von dieser für unsere gemeinsame Zukunft so lebenswichtigen und hoffnungsvollen Geste des Teilens begeistern und berühren lassen und dadurch bestärkt werden ihren bescheidenen kindgemäßen Beitrag für seine Menschwerdung zu leisten.
Elisabeth
Mir kommt Elisabeth von Thüringen in den Sinn: die Fürstin der Macht, wurde zur Schwester der Kranken. Und ich denke an viele Frauen und Männer, die heute in unseren Krankenhäusern, Hospizen und sozialen Einrichtungen für Menschen da sind, so dass mit dem lebensnotwendigen Brot mitten im Winter ihrer Lebenskrisen wieder Rosen erblühen können.
Barbara
Da ist die Heilige Barbara, die durch den schönen Brauch des Barbarazweiges, die Tage unseres Advents prägt. Der scheinbar leblose Zweig, der zum Weihnachtsfest erblüht, erinnert mich nicht nur an das neue Leben, das uns mit der Menschwerdung des Gottessohnes geschenkt ist. Der Barbarazweig berührt auch mich, indem ich den Menschen an meiner Seite, wieder mit neuen Augen sehe lerne und geduldiger mit ihm und auch mit mir bin, weil es so vieles gibt, das trotz allem, was gewesen ist, immer noch neu zwischen uns erblühen kann.
Nikolaus
Und dann ist da Nikolaus von Myra, der Bischof einer Stadt des Geldes und des Handels, der zum Helfer in der Not wurde. Viele Menschen lassen sich auch in unseren Tagen von seinem Leben berühren, indem sie über die großen kirchlichen Kollekten und caritativen Stiftungen die kleinen und großen Kinder dieser Welt unterstützen, die abends ihren leeren Teller vor die Türe gestellt haben und der ohne diese Gaben am anderen Morgen vielfach leer bleiben würde.
Da sind die Türen meines Adventskalenders, die mich mit zumeist süßer Belohnung daran erinnern, dass die Menschwerdung unseres Gottes nicht nur ein Ereignis der Vergangenheit ist, sondern dort geschieht, wo Menschen sich berühren lassen und Türen geöffnet werden, die bisher verschlossen waren.
Das sind Beispiele dafür, wie mich der Advent, sein Brauchtum und die Menschen in diesem Advent verwandeln können, wenn ich mich von ihnen berühren lasse. Denn schließlich wandelt sich auch Gott und wird "per Christum" Mensch.
Gott berührt Josef im Traum
Wenn Gott Mensch wird, dann möchte er uns nicht nur über diese sichtbaren Zeichen berühren, sondern auch dort, wo wir ihn am wenigsten erwarten. Dafür steht für mich heute im Evangelium des 4. Adventsonntages Josef.
Ich kann mir gut vorstellen, wie es in ihm gekämpft und rumort haben musste. Da war sein männliches Ehrgefühl, da war der Verdacht, dass ein anderer was mit seiner Zukünftigen gehabt haben muss. - Da war aber auch sein Mitleid mit der Frau, die er doch liebt und darum auch nicht der öffentlichen Schande preisgeben will. Weil er Maria liebt, entscheidet er sich für den Kompromiss der Vernunft, sich heimlich von Maria zu trennen und damit ihr Leben zu retten. Und doch zehrt diese "Kompromisslösung" an ihm und verfolgt ihn bis in den Schlaf.
Ein Engel des Herrn berührt ihn im Traum und sagt: "Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn was in ihr gezeugt ist, ist vom Heiligen Geist." Im Traum meldet sich die Liebe zu Wort. Im Traum, geht Josef auf, dass nicht der zum Vater wird, dem biologische Zeugung nachzuweisen ist, sondern der wird zu Vater, der ein Kind annimmt - und auch die Verheißung Gottes, die auf diesem Kinde ruht.
Dass Gott uns in Träumen berührt, meist eher als in unseren frömmsten Gebeten, halte ich für nichts Ungewöhnliches. In den Träumen ist nämlich das Diktat unserer Gedanken ausgeschaltet, die Tür unseres Herzens unbewacht. Da kann sich Gott ganz direkt bei und zu Wort melden und dabei Dinge ansprechen, die wir sonst verdrängen oder allzu schnell mit dem Verstand zu regeln versuchen.
Der Evangelist Matthäus hat ein besonderes Gespür für Träume. Seine Schilderung der Geburt Jesu ist von lauter Träumen umgeben. Und jene, die da träumen, folgen dem, was sie im Traum erfahren haben: Josef nimmt seine Frau zu sich; Die Sterndeuter aus dem Osten machen sich auf den Weg, um einem anderen Stern zu folgen und kehren nach einem erneuten Traum auf einem anderen Weg in die Heimat zurück; Josef flieht mit Frau und Kind nach Ägypten und kehrt nach einem neuerlichen Traum wieder von dort zurück.
Die Botschaft der leisen Töne
Und wie gehen wir mit unseren Träumen um? Trauen wir ihnen noch die Offenbarung von Wahrheiten zu? Freilich sind aus Träumen in den seltensten Fällen Handlungsanweisungen abzuleiten; dazu bedarf es meist längeren Nachdenkens und der betenden Zwiesprache mit Gott. Oft dauert es eine längere Zeit, bis unser Verstand erfasst, was unser Herz schon viel früher berührt hat, vor allem wenn es auf Gott ausgerichtet ist. Haben Sie schon einmal überlegt, ob Ihnen Gott vielleicht auch etwas sagen möchte, wenn Sie nicht schlafen können? Vielleicht wäre es besser anstatt sich ängstlich und ärgerlich hin- und herzuwälzen wie der junge Samuel zu sprechen: "Rede Herr, dein Diener hört!". Josef hat damit gute Erfahrungen gemacht. Er hat entdeckt, dass es noch etwas anderes gibt als nur das, was immer schon so war.
Vielleicht könnte dies dann unser bleibender Auftrag sein, den wir aus diesen wenigen Stunden zwischen Advent und Weihnachten mitnehmen in die kommenden Tage: In der Vielzahl der lauten Stimmen und Eindrücke, die uns Tag um Tag umgeben, hellhörig zu werden für die leisen Töne, mit denen Gott auch über Advent und Weihnachten hinaus unser Leben berühren möchte.
So wird das mit Leben erfüllt, was wir im Advent in der Einleitung zu den Wandlungsworten beten: "In Wahrheit ist es würdig und recht, dir Vater im Himmel zu danken und dein Erbarmen zu preisen. Denn schon leuchtet auf der Tag unserer Erlösung, und nahe ist die Zeit unseres Heiles, da der Retter kommt, unser Herr Jesus Christus..."
(Messbuch, Präfation vom Advent V)