Voreingenommen
Seit einigen Jahren gibt es beim Telefonieren eine wunderbare Einrichtung: Die sog. „Rufnummernerkennung“. Bei jedem Anruf wird - sofern es der Nutzer nicht ausschaltet - gleichzeitig die eigene Nummer übertragen. Das Telefon klingelt - und ich kann schon vor dem Abnehmen sehen, wer es ist. Wenn ich nicht ans Telefon gehen kann, zeigt mir die Anrufliste die entsprechenden Nummern an, sodass ich unter Umständen zurück rufen kann. In meiner Arbeit als Pfarrer hilft mir das sehr.
Manchmal ertappe ich mich aber dabei, dass ich schon vor der Annahme des Telefonates ins Grübeln komme: „Was will denn der schon wieder?“ „Ach, wie schön - da freue ich mich aber!“ Oder: „Wer ist denn das?“ - wenn ich die Nummer nicht kenne.
Ich nehme manchmal ein Telefonat also nicht mehr unvoreingenommen entgegen, sondern mit einer bestimmten Haltung oder Stimmung. Das macht es dann schwer, dem Anrufer oder der Anruferin wirklich gerecht werden zu können.
Manchmal können auch biblische Texte eine solche Reaktion hervorrufen. Du hörst du die ersten Worte - und schon ordnest du den Text in eine bestimmte Schublade ein: „Geschieht ihm recht!“ Oder: „Das betrifft mich nicht, ich habe nicht so viel Geld.“ Oder: „Geld ist eben nicht alles.“ Und dann kann es eben auch hier passieren, dass wir der Botschaft eines solchen Textes nicht richtig gerecht werden können.
Ein zweiter Blick
Ich glaube, beim genauen Hinsehen hat dieser Text Botschaften für uns, die weit über die Frage nach dem richtigen Umgang mit „Geld“ hinausgehen. Lassen Sie uns gemeinsam einmal genauer hinschauen.
Ein Bauer erzielt eine gute Ernte. Zur damaligen Zeit waren die Menschen in noch größerem Maße von den Launen der Natur abhängig als heute. Eine gute Ernte ist nicht in jedem Jahr selbstverständlich. Dass der Bauer sich darüber freut, und überlegt, wie er seine Ernte gut unterbringen kann, kann ja nicht verwerflich sein. Die entscheidende Frage, auf die Christus uns am Ende des Evangeliums aufmerksam macht, ist die Haltung des Bauerns: Er sammelt die Schätze nur für sich selbst. Das wird ihm zum Verhängnis.
Die Dinge dieser Welt sind zunächst einmal völlig wertneutral. „Geld“ ist zunächst einmal weder gut noch schlecht. „Macht“ ist weder gut noch schlecht. Sie erhalten ihre Bedeutung erst durch mich. Welchen Stellenwert gebe ich dem Geld, der Macht, dem Einfluss, dem Besitz?
Was mache ich aus meinem Erfolg?
Bleiben wir beim Beispiel des Geldes: Wer Verantwortung für den Ehepartner/die Ehepartnerin und Kinder hat, der muss natürlich - wenn es geht - Rücklagen bilden. Wer verantwortlich ist für Arbeitsplätze, muss natürlich das Geld so anlegen, dass diese Arbeitsplätze erhalten werden oder sogar neue geschaffen werden können. Und sogar bei der Kollekte, die wir gleich von Ihnen erbitten werden, kann nur der etwas geben, der etwas hat.
Dieser Text betrifft mich also auch dann, wenn ich nicht zu den Reichen der Gesellschaft gehöre. Der Herr fragt mich hier ganz persönlich: Wie gehst du eigentlich mit dem um, was du hast? Besitz, Einfluss oder auch mit deinen Begabungen? Behältst du sie für dich? Oder machst du etwas daraus? Indem du sie einbringst im Engagement in deiner Nachbarschaft, einem Verein, einer politischen Partei oder auch in deiner eigenen Kirchengemeinde?
Mit Gottes Gegenwart rechnen
Gerne möchte ich mit Ihnen einen weiteren Aspekt bedenken. Denn hinter diesem Gleichnis steht ja auch die Frage nach meinem Gottesbild. Der Bauer in unserem Evangelium wird sicherlich ziemlich überrascht gewesen sein, dass Gott plötzlich sein Leben zurückfordert. Nun greift Gott ja nicht immer gleich so dramatisch in das Leben ein, aber er ist dennoch gegenwärtig. Er begleitet mich liebevoll und setzt manchmal die Bausteine meines Lebens zu einem ganz neuen Bild zusammen. Darauf darf ich eigentlich vertrauen. In seinem Gleichnis zeigt der Herr, dass uns Menschen dies scheinbar nicht immer gelingt. Wenn der Bauer mit dem Eingreifen Gottes gerechnet hätte, hätte er wahrscheinlich ganz anders gehandelt.
Ich entdecke in diesem Evangelium, die Mut machende Botschaft des Herrn: Vertraue auf Gottes Gegenwart in deinem Leben und sein Heil schaffendes Handeln. Es hängt nicht alles von mir selber ab. Ich muss weder Schatz um Schatz anhäufen, damit es mir gut geht,noch brauche ich zu ängstlich zu sein, ob ich denn wirklich mit dem, was ich habe so verantwortungsvoll umgehe, wie es der Herr im Evangelium einfordert.
Ich darf also ruhig etwas riskieren und meinem Besitz oder meinen Fähigkeiten mit anderen teilen. Ich werde dadurch nicht ärmer. Aber ich brauche auch keine Angst zu haben, nicht genug zu tun. Der Herr sieht meinen guten Willen und mein Bemühen. Er selbst wird dann die Fäden so legen, dass ich vor ihm reich sein werde.