Lesung aus dem Buch Habakuk.
Wie lange, Herr, soll ich noch rufen
und du hörst nicht?
Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt!
Aber du hilfst nicht.
Warum lässt du mich die Macht des Bösen sehen
und siehst der Unterdrückung zu?
Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung,
erhebt sich Zwietracht und Streit.
Der Herr gab mir Antwort
und sagte: Schreib nieder, was du siehst,
schreib es deutlich auf die Tafeln,
damit man es mühelos lesen kann!
Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst;
aber es drängt zum Ende und ist keine Täuschung;
wenn es sich verzögert,
so warte darauf;
denn es kommt,
es kommt und bleibt nicht aus.
Sieh her:
Wer nicht rechtschaffen ist,
schwindet dahin,
der Gerechte aber
bleibt wegen seiner Treue am Leben.
Habakuk gehört zu den 12 kleinen Propheten. Ob die Stückelung, die die Lesung erfahren hat, glücklich ist? Jedenfalls wurde eine Linie zum Evangelium geschaffen: es geht um Glauben.
Wie in den Psalmen erscheint der Glaube angefochten und in Zweifel gezogen. Nicht die Existenz Gottes ist ein Problem - sein Schweigen verunsichert, sein Wegsehen bedrückt: "Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, erhebt sich Zwietracht und Streit." Was in philosophischer Diktion "Theodizeefrage" heißt, ist bei Habakuk ein Gebet: Wie lange, Herr ... warum lässt du ...
Die Perikope ist so geschnitten (oder auch verschnitten), dass den Fragen die Gottesantwort folgt. Der Prophet soll aufschreiben, was er sieht - deutlich und mühelos zu lesen. Aber mühelos zu hören ist nicht, was er aufschreibt - was ihm nicht anzulasten ist: Denn was sieht Habakuk? Worauf soll er warten? Was drängt zum Ende? Man wird sich die Mühe schon machen müssen, den ganzen Habakuk zu lesen, zumindest das 2. Kapitel. Es rächt sich, wenn ein ("kleiner") Prophet klein gemacht wird.
Die Glaubenden werden zur Geduld ermahnt, auch die Verzögerung des Gerichtes Gottes und seines Heiles anzunehmen. "Es kommt, es kommt und bleibt nicht aus."
Vers 4 - der hebr. Text ist verstümmelt - ist sehr unglücklich übersetzt. Paulus hat in Röm 1,17 den Glauben auf die Gerechtigkeit bezogen, die vor Gott gilt.
Habakuk - ein Zeitgenosse des Jeremia - war tätig zwischen dem Tod des Königs Joschija (gefallen in der Schlacht bei Meggiddo, 609 v. Chr.) und der ersten Belagerung Jerusalems unter Nebukadnezar (598 v. Chr). Joschija hatte eine religiöse Erneuerung eingeleitet, das deuteronomische Gesetz veröffentlicht und den Bund des Volkes mit Jahwe erneuert (2 Kön 23,1-3). Er galt im Volk als zweiter David. Sein Sohn und Nachfolger Jojakim (609 -598 v. Chr.) war "Anführer der Ungerechtigkeit" (Jer 22,13-19) und führte einen religiösen und politischen Niedergang herbei. Rechtlosigkeit, Gewalt, Misshandlung, Streit, Korruption machten sich breit. Habakuk ist betroffen über die Vorgänge im Gottesvolk, sieht aber keinen irdischen Helfer und beginnt ein Klagegeschrei zum Gott des Bundes: Wie lange, Herr, soll ich noch rufen, und du hörst nicht? Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht. warum lässt du mich die Macht des Bösen erleben und siehst der Unterdrückung zu? Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, erhebt sich Zwietracht und Streit (vgl. Ps 13,2ff).
Ein Klagelied im Gottesdienst ohne Bitte und ohne "Erhörungsgewissheit". Damals gab es die Institution der Gerichte nicht - schreit der Prophet wie jemand, der Menschen und Richter verzweifelt zusammenruft, zu Gott um sein Recht?
Der Herr gab mir zur Antwort und sagte: Schreib nieder, was du siehst, schreib es deutlich auf die Tafeln, damit man es mühelos lesen kann. Die Antwort Jahwes hat eine Verbindlichkeit wie ein Vertrag und muss für immer festgehalten werden. Sie wird sich erst später erfüllen. Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst; aber es drängt zum Ende und ist keine Täuschung; wenn es sich verzögert, so warte darauf; denn es kommt, es kommt und bleibt nicht aus.
Gott kündigt keine Rettungstat an; er wird die Klage nicht erhören, wie es der Beter erwartet. Gott ist der ganz andere, ist wie ein dunkles Geheimnis, hat langen Atem.
Konkret: Das lang vergessene Babylon wird zur Großmacht, besiegt das assyrische Reich (612 und 609 v. Chr.), besiegt Ägypten bei Karkemisch (605 v. Chr.) und wird zum Gerichtswerkzeug Jahwes an Jerusalem und Juda. Später wird es dem Gericht verfallen (Jer 27,6f). Aber Gott bleibt trotz allem Gott.
Sieh her: wer nicht rechtschaffen ist, schwindet dahin, der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben.
Das Böse und der Böse haben keine Zukunft. Wer am Glauben und an der Treue zu Jahwe festhält, wird leben. Babel wird eines Tages fallen - das wird 539 v. Chr. geschehen. Der Glaube ist in der Zukunft Gottes über Generationen weg verankert. Dieser Glaube überwindet die Welt. Eine Botschaft von ungeheurer Wucht. Das Wort hatte in der Reformationszeit große Bedeutung: "Der Gerechte wird aus dem Glauben leben," (Röm 1,17; Gal 3,11; Hebr 10,38).
(Kommentare in Anlehnung an Johannes Koller, Frohbotschaft Gottes am Sonntag, Wien 1994.)
Das Buch Habakuk läßt sich in drei Teile gliedern:
Der erste Teil beinhaltet die Klage des Propheten über die Gewalt und den Rechtsbruch im Südreich Juda, aber auch bei den Babyloniern. Habakuk erhält die Zusage Jahwehs, daß die Gerechten am Leben bleiben werden und die, die nicht rechtschaffen sind, dahin schwinden werden. (Hab 1,2 - 2,5).
Im zweiten Teil konkretisieren Wehrufe die herrschende Habsucht, Ausbeutung, Gewalt und den Götzendienst. Dem gegenüber steht der Herr, der in seinem heiligen Tempel wohnt. (Hab 2,6-20).
Der dritte Teil des Buches erbittet und schaut das Kommen Gottes in der Form eines Psalms. (Hab 3,1-19).
Die meisten Exegeten gehen von einer Grundschicht des Buches aus, in der sich die Kritik des historischen Habakuk an der Lebensweise der Verantwortlichen in Juda und Jerusalem und die Androhung der neubabylonischen Invasion findet. Der Prophet wäre damit zeitlich zwischen 630 und 600 vor Christus einzuordnen.
Habakuks Klage - Gottes Antwort
Der Text der heutigen Lesung nimmt nur einige Verse aus dem ersten Teil des Buches heraus. Aus der Klage des Propheten, der um sein Gottesbild ringt, wird durch dieses Vorgehen ein einfaches Patentrezept. (vgl. ungekürzte Fassung)
Der Prophet steht vor dem Problem: Wie ist das mit meinem Gottesverständnis zusammenzubringen, daß auch im Volk Gottes Zwietracht, Streit und Gewalt herrschen und anscheinend ein noch gewalttätigeres Volk notwendig ist, um diesen Zustand zu beenden.
Aber das Handeln Gottes in der Geschichte bleibt letztlich unbegreiflich. Die Eigendynamik, die im Menschen und damit auch in ganzen Völkern steckt, läßt sich schwer auf das direkte Eingreifen Gottes zurückführen: Dann ziehen sie weiter, wie der Sturmwind sausen sie dahin. Doch sie werden es büßen, denn sie haben ihre Kraft zu ihrem Gott gemacht. (Hab 1,11)
Ähnlich wie bei einem Verkehrsunfall durch überhöhte Geschwindigkeit die Ursache nicht zuerst in einer Strafe Gottes sondern im zu schnellen Fahren zu suchen ist, versucht der Prophet Zusammenhänge zwischen Gewalt und Unheil zu erkennen, weil ein zerstörerischer, grausamer Gott nicht in sein Gottesbild hineinpaßt. Nur aus einem Grundvertrauen heraus, daß Gott sich dem Menschen zuwendet und ihm nichts Böses will, kann der Prophet so mit seiner Klage vor Gott treten und auf Antwort warten.
Als Antwort bekommt der Prophet gesagt, daß jeder mit den Konsequenzen seines Handelns rechnen muß, auch wenn der Zeitpunkt nicht vorhersehbar ist: Wer nicht rechtschaffen ist, schwindet dahin, der Gerechte aber bleibt wegen seiner Treue am Leben. (Hab 2,4). Trotzdem hat bei aller Verantwortung des Menschen Gott das letzte Wort.
Die Liebe ist größer
Der über die Grenze des Verstehbaren gehenden Gewalt steht die unermeßliche Liebe Gottes gegenüber, die den Menschen retten will (Hab 3,13) und entscheidet wer gerecht ist vor Gott. (Jes 1,18: "Kommt her, wir wollen sehen, wer von uns recht hat, spricht der Herr. Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee. Wären sie rot wie Purpur, sie sollen weiß werden wie Wolle.")
Die Frage des Propheten, die die Frage vieler Menschen ist, wird damit nicht beantwortet. Aber aus der Erfahrung, Gesprächspartner Gottes zu sein, findet Habakuk im Gebet (Hab 3) zu einer Haltung, die Gott weit mehr zutraut, als für das materiell Erfahrbare zu sorgen: "Zwar blüht der Feigenbaum nicht, an den Reben ist nichts zu ernten, der Ölbaum bringt keinen Ertrag, die Kornfelder tragen keine Frucht, im Pferch sind keine Schafe, im Stall steht kein Rind mehr. Dennoch will ich jubeln über den Herrn, und mich freuen über Gott meinen Retter. Gott, der Herr, ist meine Kraft. Er macht meine Füße schnell wie die Füße der Hirsche und läßt mich schreiten auf den Höhen. (Hab 3,17-19)
Manfred Wussow (2007)
Bernhard Zahrl (2001)
Regina Wagner (1998)