Verantwortung
Jeder kennt die Situation, die wir im Evangelium gehört haben: ein Kind ist verschwunden. Ist es bei den Nachbarn oder bei einem Freund? Fieberhaft wird gesucht. Wie groß ist doch die Erleichterung, wenn das Kind wieder gefunden wurde. Wird ein Kind vermisst, dann spürt jeder: wir sind doch alle in irgendeiner Weise füreinander verantwortlich. In der vergangenen Zeit haben wir des Öfteren von Gewalt gegen Kindern und Entführungen von Kindern hören müssen. Kinder sind schutzbedürftig. Dieselben Sorgen aber bewegen uns auch dann, wenn nach vermissten Erwachsenen gesucht wird.
Maria und Josef spürten ihre Verantwortung. Sie haben auch sicher ihre Verantwortung nicht nur für ihr Kind gespürt. Sie spürten auch ihre Verantwortung Gott gegenüber. Jesus war ja ein besonderes Kind. Ob ihnen das immer bewusst war, weiß ich nicht. Wir können dieses aber von unseren eigenen Kindern sagen. Sie sind uns anvertraut. Als Vater, als Mutter, als Lehrer, als Erzieher, ja sogar, wenn ich mich für Kinder in einem Sportverein einsetze, dann ist mir viel anvertraut. Dann habe ich eine große Aufgabe, einen jungen Menschen zu formen. Doch geschieht das nicht nach meinen Vorstellungen. Ich darf - ja ich schreibe ganz bewusst ich darf - mitwirken, dass ein junger Mensch seine Gaben entfaltet und das Leben, ja den Weg findet, den Gott ihm zugedacht hat.
An-vertraut
Dem heiligen Elternpaar, Maria und Josef, ist nichts fremd. Diesen Lernprozess müssen sie beide machen. Hier liegt auch der Sinn des vierten und fünften Rosenkranzgeheimnisses des freudenreichen Rosenkranzes. Wir beten im dritten Rosenkranzgeheimnis: "den du, o Jungfrau im Tempel aufgeopfert hast". Jede männliche Erstgeburt war ja Gott zu weihen. Damit zeigt ein Elternpaar. Das Leben eines Menschen gehört Gott. Gott hat zu bestimmen, was mit dem Kind geschehen soll.
In der Lesung aus dem Buch begegnen wir einer Geschichte, die uns dieses Geheimnis erläutert. Lange Jahre hatte Hannah auf einen Sohn gewartet. Sie hat um ein Kind gebetet. Nachdem sie ihn entwöhnt hatte, brachte sie ihn in den Tempel, um ihn dem Herrn zu weihen. Samuel wurde ein "vom Herrn Zurückgeforderter." Sein Leben gehörte Gott. Später wirkte er als Prophet. Doch auch unser aller Leben gehört Gott. Konkret heißt das: immer wieder soll ich nach dem fragen, was Gottes Wille für mein Leben ist. So ist es dann auch die Aufgabe von Eltern und Erziehern sich immer wieder zu fragen: was ist denn nun der Wille Gottes für mein Kind und nicht: was sind meine Vorstellungen.
Erwachsen werden
Dass wir dabei nicht verlieren, nein im Gegenteil sogar gewinnen, dass zeigt uns das Evangelium. Auf das Erlebnis fußt ja auch das fünfte Rosenkranzgeheimnis des freudenreichen Rosenkranzes: "Den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast." Jesus ist zwölf Jahre alt geworden. Nach jüdischem Gesetz galt er als Mann. Damit war er vollwertiges Mitglied seiner Gemeinde.
Für die meisten Kinder unserer Zeit ist es die Zeit der Pubertät. Da stellen sie vieles, was sie von ihren Eltern gelernt haben, in Frage. Das suchen Kinder und Jugendliche nach eigenen Wegen. Für die Eltern ist es eine sehr spannende Zeit, aber auch eine sehr schwierige Zeit. Es ist eine Zeit, in der wir nach einem neuen Miteinander suchen. Vielleicht ist es auch eine Zeit, in der wir einander fremd sind. Ich vergleiche diese Zeit mit dem dreitägigen Suchen von Josef und Maria. Wie Eltern ihre Kinder neu kennen lernen müssen, ja oft erfahren müssen, dass sich Kinder oft anderes entwickeln, als sie es sich wünschen, und so ihre Kinder im übertragenen Sinne suchen, so suchen Josef und Maria Jesus. Sie tun es voller Angst. Diese Angst kann auch Väter und Mütter befallen, wenn ihre Kinder sich von ihnen ablösen wollen. Das ist ein schmerzlicher Prozess, und zwar für beide Seiten.
Ent-täuschungen
In dieser Zeit geht es nicht ohne gegenseitige Verletzungen, ohne dass man Schuld auf sich lädt. Für beide Seiten gilt es Abschied nehmen von jeweiligen Bildern, die man sich voneinander gemacht hat. Enttäuschungen bleiben nicht aus. Ent-täuschung ist ja nicht von vornherein negativ. Es entfällt wieder eine Täuschung eines anderen Menschen. Positive Überraschungen sind ebenfalls eine Enttäuschung, allerdings in positiver Weise.
Für diese Zeit haben wir in der zweiten Lesung aus dem Brief an die Kolosser von Paulus wertvolle Rezepte bekommen. Es sind wichtige Tugenden, die das Zusammenleben ermöglichen. "Bekleidet euch mit Demut, Milde, Güte, und Geduld. Vor allem vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält." Paulus legt uns hier innere Einstellungen ans Herz. Diese helfen uns, das Zusammenleben und vor allem die Zeit der Pubertät zu gestalten, ohne, dass man sich verfeindet. Ja diese Zeit ist eine Zeit, in der sich der Glaube der Eltern, aber auch der Glaube der heranwachsenden Kinder bewähren kann.
Neue Grenzen
Paulus will keine falsche Harmonie. Diese Zeilen sollen nicht dazu verführen, ja um des lieben Friedens willen alles durchgehen zu lassen. So ist es wichtig, Grenzen aufzuzeigen. Aber die Grundhaltung ist die Liebe, das Wohlwollen. Es muss die Haltung sein, dass ein Mensch, der anders denkt, der manches anders macht, als ich es mir vorstelle, immer noch ein wertvoller Mensch ist. Wenn sich Eltern und Kinder gegenseitig immer wieder mit Liebe begegnen, einander nicht unterdrücken wollen, ja dann kann man sich, wie ich es vorhin ausgedrückt habe, auf andere Weise wiederfinden.
Neue Wege
Josef und Maria finden Jesus im Tempel wieder. Sie verstehen nicht, was Jesus sagt. Jesus aber fängt hier im Tempel an, seiner Berufung zu folgen. Gott sieht er nun als seinen Vater an. Wie alle Eltern, so muss auch das heilige Elternpaar verstehen lernen. Maria aber ist dazu bereit. Diese Stelle kann Mut machen. Wir werden einander auf neue Weise wiederfinden, wenn wir ernsthaft die Kinder lehren, nach Gottes Willen zu fragen. Wir werden einander wiederfinden, wenn wir sie ermutigen das zu entdecken, was Gott in ihnen hineingelegt hat. "Den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast." Wie Maria und Josef Jesus wiederfinden, und ihn dann auf neue Weise geschenkt bekommen, so können auch wir einander wiederfinden. Maria war dazu bereit, wenn sie auch nicht wusste, welche Tragweite diese Haltung noch bekommen würde.
Neues Miteinander
Das kann sicher bedeuten: wenn sich ein junger Menschen zum Ordenleben oder zum Priesterberuf hingezogen fühlt, dann darf ich keinem einen Stein in den Weg legen. Wenn ich bereit bin, meine Kinder ihre Wege gehen zu lassen, dann kann ich selbst reich beschenkt werden. Dieses reich beschenkt werden ist dann der Lohn für die schwere Zeit. Es kann sich beziehen auf die Wahl des Berufes, auf die Wahl des Lebenspartners. Muss der Metzgersohn Metzger lernen? Muss der Lehrersohn Lehrer werden? Viele Chancen gehen verloren, wenn ich Mitmenschen versuche einzuengen. Diese Einstellung, Kinder den eigenen Weg gehen zu lassen, erfordert Mut, aber es lohnt sich. Es schenkt uns eine innere Freude, die ich vergleichen kann mit der Freude des Wiederfindens eines verlorengegangenen Kindes. Vor allem: man hat sein Kind gefunden, so wie es wirklich ist, wie es von Gott gedacht ist. Das ist dich wunderbar - oder?
Das Fest der Heiligen Familie lehrt uns ein neues Miteinander in der Familie. Es ist Verantwortung mit Liebe gepaart. Es lehrt uns, dass wir immer wieder neu unsere Mitmenschen von Gott geschenkt bekommen.