Durchkreuzte Lebenspläne
Immer wieder geht mir das Schicksal der 150 Toten beim Flugzeugabsturz in Südfrankreich zu Herzen. Dabei versuche ich mich auch in die Situation der hinterbliebenen Angehörigen hinein zu versetzen, denen von einem Augenblick auf den anderen eine Person aus dem Leben entrissen worden ist. Mit einem Schlag ist plötzlich alles anders. Nichts ist mehr wie vorher. Alle Lebenspläne, die eine gemeinsame Zukunft betroffen hätten, sind zerschellt. Für die Getöteten dauerte der Schock und der Schmerz wenige wenn auch endlose Minuten. Für die Hinterbliebenen hält der Schmerz an, wie nie ganz verheilen.
Die beiden Jünger, die da von Jerusalem nach Emmaus gegangen sind, waren wohl in einer ähnlichen Situation. Ich kann schwer abschätzen, wie nahe sie Jesus persönlich gestanden sind. Sie waren jedoch zutiefst von seinem Tod betroffen. Nichts ist nun so wie vorher. Sie haben ihre Hoffnungen auf diesen Jesus gesetzt, haben in ihm den Messias gesehen, waren offenbar auch von seiner Lebensweise beeindruckt. Sie gehörten zum engeren Freundeskreis. Nun kehren sie zurück in das Leben und in die Umstände, aus denen sie herkamen. Sie versuchen, ihre Füße wieder auf den Boden zu bekommen. Auf dem Weg erleben sie, dass der, den sie tot glauben, bei ihnen ist, mit ihnen redet, ihnen den Sinn der Schrift erschließt, mit ihnen den Sinn sucht, der in den zurückliegenden Geschehnissen liegt.
Es geschieht genau genommen das, was sie mit Jesus immer wieder getan haben, als er noch als Mensch mit Haut und Knochen mit ihnen gegangen ist. Auch da ging es um die grundlegenden Lebensfragen. Seine Predigt war auch ein Erschließen der Tiefendimension ihrer menschlichen Erfahrungen und Erlebnisse. Er hat sie von Gott her und auf Gott hin gedeutet.
Als sie ihn bitten, bei ihnen zu bleiben, und ihm anbieten, das was sie haben, mit ihm, dem Fremden, zu teilen – sie tun ganz selbstverständlich das, was auch Jesus immer getan hat – gehen ihnen die Augen auf und sie begreifen, dass er lebt, dass er in einer neuen Weise bei ihnen ist.
Er lebt...
Unzählige Male wurde Gott für tot erklärt. "Gott bleibt tot: Und wir haben ihn getötet!" verkündete Friedrich Nietzsche. Dennoch geht er neben uns her, geht mit uns mit, hilft uns das Unerklärbare zu klären. Er zeigt sich als Lebendiger, der uns hilft das Unverstehbare zu verstehen. Er steht uns in den Grenzsituationen des Lebens bei, teilt das Leben mit uns, wo wir auf uns selbst zurückgeworfen sind.
Den "Gott ist tot"-Predigern können wir entgegenhalten: "Er lebt, er ist wahrhaft auferstanden!" Doch das allein genügt nicht. Wir können einander spüren lassen, dass er mit seinem Geist da ist und lebendig ist: Wo Menschen einander beistehen, miteinander teilen, was sie haben, leben und handeln, wie er gelebt und gehandelt hat, bevor man ihn kreuzigte, spüren Menschen, dass Gott lebt, dass jesus nach wie vor lebendig ist. Das ist zwar kein Gottesbeweis und kein Beweis seiner Auferstehung, kann aber das verlorene Vertrauen in das Leben aber wieder aussäen und neu wachsen lassen.