Israel – Jahwe verpflichtet
Die gläubigen Israeliten waren fest davon überzeugt, dass ihr Gott Jahwe zuverlässiger Spender und Garant für ihren Schutz und ihr Heil ist. Sie glaubten daran, dass Jahwe zu ihnen gesprochen hat durch die Propheten und durch vom Geist in besonderer Weise ergriffene Männer. Ihre Botschaften enthielten immer wieder Zusagen göttlicher Hilfe, Offenbarung des göttlichen Willens, Mahnungen und Anrufe zur Umkehr.
Neben vereinzelten Heiligtümern auf heiligen Bergen hatte sich vor allem der Tempel in Jerusalem zur vorrangigen Stätte entwickelt, Jahwe zu danken, ihn zu preisen und sich ihm in den Schlacht- und Brandopfern zu weihen, um so das eigene Leben mit all seinen Freuden und Leiden Gott anzuvertrauen.
Mit dem Erscheinen Christi in unserer Welt begann ein neuer Abschnitt der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Jesus öffnet den Blick dafür, dass Gott das Heil aller Menschen, aller Völker will. Und: Gottes Beistand erstreckt sich nicht nur auf die sogenannten Gerechten und Frommen, wie die Juden glaubten. Nein, gerade auch die Menschen mit Verfehlungen, dazu die Schwachen, die Kleinen und alle, die in den Augen der Menschen nichts gelten, sollen sich von Gott anerkannt, geliebt, geschützt und umsorgt wissen. Diese Botschaft in die Welt und unter die Menschen zu bringen, war den Christen von Anfang an wichtig, zumal sie sich von Jesus eigens dazu beauftragt wussten.
Anbruch einer neuen Zeit
Auf diesem Hintergrund schreibt Lukas sein Evangelium. Drei Anliegen sind ihm dabei wichtig, die er daher besonders hervorhebt.
Erstens: Es gibt die Ablösung vom Alten zum Neuen Bund - unabhängig davon, ob die Israeliten dies wahrhaben wollen oder nicht. Der Wechsel beginnt mit der Ankündigung der Geburt des Täufers. Diese fand noch an dem für die Israeliten besonders heiligen Ort statt - im Tempel von Jerusalem. Auf der rechten Seite des Rauchopferaltars erscheint ein Engel dem Priester Zacharias, um ihm die Geburt seines Sohnes Johannes anzukündigen.
Im Kontrast dazu steht die Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel an Maria im unbedeutenden und kleinen Ort Nazaret. Die etablierte Kultordnung des Alten Bundes wird damit durchbrochen. Das bisher unbeachtete Galiläa wird Ausgangspunkt der neuen Heilsgeschichte. Die Bedeutung Jerusalems und des Tempels für den Glauben an den einen Gott endet mit der Kreuzigung Jesu in Jerusalem, der Erschütterung des Tempels, sodass der Vorhang des Allerheiligsten zerreißt, und mit der Auferstehung Jesu. Der Auferstandene begegnet den Jüngern nicht im Tempel, an heiliger Stätte der Juden, sondern an Orten ihres Alltags, an Orten, wo sie sich zum Gebet und Gedenken des Herrn versammelt haben.
Und auch die Sendung der Jünger in die Welt vollzieht sich nicht an einem geweihten Ort aus der Vergangenheit. Mit Christus beginnt ein wirklich neuer Abschnitt der Heilsgeschichte, die auf den Tempel und Schlachtopfer verzichten kann. Einen geistigen Tempel aufbauen in Verbundenheit untereinander und mit Christus als Eckstein, das ist das Ziel des Neuen Bundes.
Neubeginn
Mit dem zweiten Anliegen, das Lukas verfolgt, möchte er darauf verweisen, dass es im Verhalten Gottes trotz der sich wandelnden Heilsphasen keinen Bruch gibt. Wie im Alten Bund so handelt Gott im Neuen Bund. Offenbar erwählt er immer wieder gerade auch die Kleinen, um sie Großes wirken zu lassen. Ein Mose hat nicht als Prinz das Gottesvolk aus Ägypten geführt. Erst als er nach seiner Flucht vierzig Jahre Schafe in der Wüste gehütet hatte, erging Gottes Auftrag an ihn. David ist ein Bauernjunge, im Feld beschäftigt, als Gottes Ruf ihn trifft. Maria gehört nicht zum Adel, hat keine besonderen Leistungen vorzuweisen außer ihrem Ja. Alle drei können bei ihrer Berufung nicht im Geringsten erahnen, zu welch einzigartigem Segen sie für die Menschheit werden. Es ist ihr Vertrauen in Gott, das sie ihr Ja sprechen lässt. Und genau hierfür sollen wir unsere Augen öffnen. Maria verhandelt nicht mit dem Engel, stellt keine Bedingungen, erbittet nicht einmal Bedenkzeit. Zu wissen, dass es Gottes Wille ist, was ihr geschehen soll, genügt ihr, um ihr Ja zu sprechen.
Offen für das Wirken Gottes
Dies vor Augen möchte Lukas uns mit seinem dritten und wohl vorrangigen Anliegen als glühender Seelsorger dazu bewegen, die Haltung Mariens nachzuahmen. Lukas vertraut darauf, dass wir wissen: Gott wird uns nicht einen Engel senden, der uns die Aufträge mitteilt, die Gott uns übergeben will. Denn dies ist nicht mehr nötig, seit Christus in die Welt kam und uns durch sein Leben in Wort und Tat gezeigt hat, worin Gottes Wille besteht. Wer für die Botschaft Jesu nicht offen ist, wird sich auch göttlicher Botschaft durch einen Engel nicht öffnen. Und umgedreht: Wer sich der vorliegenden Botschaft Jesu öffnet, der erkennt ohne himmlische Erscheinung, welche Aufgaben ihm angetragen werden.
Dies können äußerlich sehr kleine Dinge sein, die aber für das Leben im Alltag von nicht geringer Bedeutung sind. Zum Beispiel:
- Spannungen oder einen Streit nicht durch das Aufstellen von Bedingungen länger aufrechterhalten. Nicht neu Öl ins Feuer gießen, wenn sich ein Lösungsweg im Augenblick noch nicht findet.
- Dem anderen zutrauen, dass er nicht stolz auf sein Versagen ist und sich innerlich schämt. Ihm entgegenkommen ohne lange Vorhaltungen und ihn wieder hineinnehmen in das Streben zum Guten.
- Trotz guten Willens und großer Bereitschaft zum Helfen sind wir in unseren Kräften begrenzt. Wir können nicht überall Hilfe anbieten, wo sie nötig ist. Aber wir können auch dadurch Beistand leisten, indem wir die Mühe und den Einsatz anderer anerkennen und sie wissen lassen, dass wir ihr Tun begrüßen, gutheißen und auf ihrer Seite stehen - eine indirekte, aber in manchen Situationen eine enorm wichtige Hilfe.
Lukas möchte, dass wir wach die Anrufe an uns wahrnehmen, ob sie klein sind oder groß, einfach oder schwieriger. Schon die drei, bewusst einfach gewählten Beispiele zeigen, wie hilfreich und wertvoll selbst gering Erscheinendes sein kann.
Von Maria lernen
Was wir von Maria und allen Berufenen, die sich auf Gott einließen, lernen und übernehmen sollen, ist ihr Gottvertrauen. Wir spüren und erkennen vielleicht plötzlich: Da kommt eine Aufgabe auf mich zu, der fühle ich mich auf Anhieb überhaupt nicht gewachsen. Das kann ich nicht, geht mir als Erstes durch den Kopf. Bevor wir in einem ersten Schreck völlig und endgültig ablehnen, sollen wir erst noch einmal auf Elisabeth schauen und in Ruhe bedenken: Für Gott ist vieles möglich. Sie, die unfruchtbar ist und im hohen Alter steht - also in doppelter Weise eigentlich nicht mehr schwanger werden kann - wird durch Gott Mutter.
Das Gottvertrauen einer Elisabeth und einer Maria sollen wir uns zu Eigen machen, möchte uns Lukas ans Herz legen. Er sagt uns: Wag doch im Gottvertrauen immer wieder Schritte, deren Bewältigung und Ausgang du noch nicht abschätzen kannst. Vielleicht will Gott durch dich einen Anstoß geben, etwas ins Rollen bringen, ohne dass du die Aufgabe selbst vollenden musst. Auch bei Maria war ihr Ja nur der Anfang, Anstoß zur neuen Heilsgeschichte, deren Weiterführung Jesus und seine Anhänger übernahmen. Ähnliches könnte sich für dich ereignen.
Auch Du bist begnadet
Welche Aufgabe hat Gott eigentlich mir, der ich hier vor ihnen stehe, für diese Stunde aufgetragen? Es kam kein Bote vom Himmel mit einer Weisung, aber der Gedanke: Ich soll sie, jeden einzelnen, von Gott grüßen. Und ich soll jedem ausrichten: Auch du bist begnadet; denn der Herr ist mit dir. Ob du zu den Großen zählst oder zu den Kleinen gehörst, Gott will durch dich in unsere Welt kommen. Dich hat er erwählt, Zeuge und Botin seiner Liebe zu allen Menschen zu sein. Fürchte dich nicht, die Aufgabe anzunehmen; denn du stehst in Gottes Gnadenstrom. Hl. Geist wird dich mit seiner Gnade überschatten und dich stärken für deine Aufgaben.
Martin Stewen (2014)
Bernhard Zahrl (1996)