Religiöse Phänomene heute
Sicher - es ist über zwei Jahre her, als Papst Benedikt XVI Deutschland besuchte. Viele Menschen haben sich auf den Weg gemacht, ihn zu sehen, von ihm ein Foto zu schießen. Berühmte Menschen ziehen andere in ihren Bann. Auch bei seinem Besuch in Österreich kamen Massen, um Benedikt live zu erleben. Ja, es gibt sie - die religiösen Phänomene. Das trifft nicht nur auf Menschen zu. Es gilt genauso für Orte. So liegt auf meinem Schreibtisch ein Prospekt vom bayerischen Pilgerbüro. In diesem wird ausdrücklich auf das 150-jährige Jubiläum des Wallfahrtortes Lourdes hingewiesen. Dieser Ort hat Millionen von Menschen angezogen. Etliche haben ihren Glauben hier vertieft, oder haben ihn wiedergefunden. Ein neueres Phänomen in unserer Zeit ist der Jakobusweg. Er ist in aller Munde. Es wird einem gesagt, dass man, um wirklich ein Christ zu sein, auf diesem Weg oder zumindest auf einem Teil von ihm gewandert sein muss. Wir Menschen brauchen diese außergewöhnlichen Erscheinungen für unseren Glauben. Sie sind gut, wenn sie uns zu Christus führen, wenn sie uns Ansporn sind, unseren Glauben im alltäglichen Leben zu praktizieren. Sie können sein wie notwendige Tankstellen, wie Oasen, die uns weitergehen lassen. Sie dürfen nur nicht als unbedingtes Muss hingestellt werden. Das wichtigste für unseren Glauben ist Jesus Christus, seine Worte, seine Taten, seine Liebe.
Religiöse Phänomene zur Zeit Jesu
Jesus Christus: er ist es "der da kommen soll!" Wir müssen nicht auf einen anderen warten. Damit greife ich die Frage des Johannes auf. Doch es ist von unserer Warte aus sehr einfach diese Frage zu bejahen. Die Menschen zur Zeit des Johannes hatten ihre eigenen Erwartungen an eben diesen Messias. Die Menschen erwarteten einen Messias, der sie von der Fremdherrschaft und von der Unterdrückung durch die Römer befreit. Sie erwarteten einen Messias, der ein neues Reich errichtet. Doch Jesus handelt ganz anders. Sicher sind seine Taten, die er auf die Frage der Johannesjünger aufzählt, schon sehr viel. "Blinde sehen wieder, Taube hören wieder, Lahme gehen wieder, Aussätzige werden rein, den Armen wird die frohe Botschaft verkündet." Von dem Messias aber erwarteten die Menschen noch mehr.
Selbst Johannes scheint in Jesus einen außergewöhnlichen Menschen gesehen zu haben. Ob er jedoch wirklich der ist, der von Gott gekommen ist, die Welt zu befreien, das konnte er nicht sagen. Dennoch zeigt Johannes: er legt den Messias auf seine Erwartungen nicht fest, sondern er ist offen für Gott: Gott ist anders als wir es erwarten. Vielen ergeht es ähnlich. Menschen bejahen, was Jesus sagt, was Jesus tut. Ist er aber wirklich der Sohn Gottes für sie? Ist er der Heiland, dessen Geburt wir Menschen in wenigen Tagen feiern werden.
Wer mit den Augen des Glaubens sieht, der sieht anders
Wir feiern ja nicht bloß die Geburt Jesu, eines besonderen Menschen. Wir feiern: Gott ist in Jesus Christus auf die Welt gekommen. Seine Worte und seine Taten sollen unser Leben verändern, sollen unser Leben wirklich befreien. Doch das geschieht auf eine andere Weise, als wir erwarten. Jesus hat die Juden, die von den Römern unterdrückt wurden, nicht politisch befreit. Seine Befreiung war eine andere. Ich werfe hier einen Blick auf die erste Lesung aus dem Buch Jesaja. Sie ist gesprochen zu den Israeliten, die in babylonischer Gefangenschaft lebten. Ihnen wird Befreiung verkündet. Ich darf als Glaubender diese Befreiung auch anderes verstehen. Wer sein Leben auf Gott aufbaut, auf Jesus, der da kommen soll, der erfährt Befreiung. Inmitten von Sinnlosigkeit kann er das Leben als sinnvoll erfahren. Ein Mensch kann wieder Mut bekommen, kann anderen Mut machen, wo Mutlosigkeit herrscht, weil er an die Macht und an das Wirken Gottes glaubt. Wer mit den Augen des Glaubens sieht, wer mit den Ohren des Glaubens hört, der sieht und hört anders, der sieht und hört, was Gott will.
Für meinen Glauben kann ich da vieles lernen. Es sind nicht die außergewöhnlichen Taten und Zeichen, die mich zum Glauben führen müssen. Sicher, wenn einem Blinden das Augenlicht geschenkt wird, ist das schon ein wichtiges Zeichen. Doch wie viele Zeitgenossen Jesu haben von diesen Taten gewusst, und haben doch nicht zum Glauben an ihn gefunden? Der Glaube kann mir geschenkt werden durch das gute Beispiel von Mitmenschen, die in überzeugender und positiver Weise ihren Glauben bezeugt haben. Doch kann ich auch hier wieder einschränken. Alle haben das Lebensbeispiel einer Mutter Theresa gekannt. Doch sind auch alle zum Glauben an Gott gekommen? Warum lässt Gott das ganze Leid nur zu? Die einen finden durch den Glauben Kraft und Trost im Leiden, andere hadern mit Gott, der doch so ungerecht ist. Logisch zu erklären, warum ich glaube, warum ich Priester und Ordensmann geworden bin, das kann ich nicht. Ich bin jedoch dankbar für meinen Glauben, durch den ich Halt und Orientierung bekomme, der meinem Leben einen Sinn verleiht. Wenn ich meine eigene Glaubensgeschichte anschaue, dann spüre ich: der Glaube an Gott, dass Jesus für mich der ist, der da kommen soll, ist nicht mein Verdienst. Ich habe die Antwort gegeben.
Doch Gott ist auch für mich oft ganz anders als ich es erwarte! Viele Fragen, gerade die Frage nach dem Warum von ungerechtem Leid, kann ich nicht beantworten. Wer als Christ kennt sie nicht die Phasen und Stunden, wo man sich im Stich gelassen fühlt. Es gibt Phasen und Stunden des Zweifelns. Aber ebenso gibt es auch die anderen Zeiten, die anderen Stunden, die anderen Fragen. Es gibt sie, die Zeiten, in denen mir der Glaube Freude und Hoffnung macht. Ich merke einfach: ich kann mich um meinen Glauben mühen. Dann wird er tiefer und fester. Ich kann um den Glauben beten mit den Worten eines Charles de Foucauld: "Gott, wenn es dich gibt, dann lass mich dich erkennen."
Nicht ohne mein Bemühen
Ja, mein Bemühen ist dabei sehr wichtig. Zu diesem werde ich aufgefordert in der Lesung aus dem Jakobusbrief. Jakobus ermutigt, auszuhalten, das Herz stark zu machen, geduldig zu sein wie ein Landwirt. Offensichtlich wusste der Schreiber dieses Briefes, dass der Glaube immer wieder Gefährdungen ausgesetzt ist, immer wieder Zeiten, in denen es Zweifel gibt. Denn wir Christen sind nun einmal nicht herausgenommen aus der Welt. Der Glaube bewegt sich in der Welt. Sensationszeichen oder gar Beweise für den Glauben gibt es nicht. Doch wir können immer tiefer unser Herz Gott schenken. Vielleicht entdecken wir immer mehr die Kraft der frohen Botschaft Jesu. Denn die Botschaft Jesu drängt sich niemanden auf. Wir sind eingeladen, Jesus nachzufolgen, als Christen zu leben.
Inmitten einer Welt, die bestimmt ist von Hass, von Unglauben, von Egoismus, gibt es ebenso auch Zeichen von Liebe, von Sorge füreinander, es gibt ebenso auch Zeichen Hoffnung. Diese sind im Stillen zu finden. Das Reich Gottes tritt nicht in einer sensationellen Manier auf. Die Menschen werden eben nicht durch außergewöhnliche Zeichen zum Glauben geführt.
In 9 Tagen feiern wir die Geburt Jesu. Viele Millionen Menschen bereiten sich auf unterschiedliche Weise auf dieses Fest vor. Wir feiern die Geburt von Gottes Sohn. An ihn gilt es zu glauben, auf ihn wollen wir hoffen. Jesus wirkt, sicher auch in außergewöhnlichen Menschen, an außergewöhnlichen Orten, in außergewöhnlichen Ereignissen, mehr noch im Gewöhnlichen und Verborgenen. Wachsen wir immer tiefer in den Glauben an ihn hinein. Er ist es, "der da kommen soll!" Amen.