Ein Schatz für Kopf und Herz
Wir bezeichnen uns mit dem Kreuz. Dann sagen wir: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Hand bewegt sich. Wir legen Gottes Geheimnis auf Kopf und Herz. Wir legen Gottes Namen auf uns. Aber wir denken darüber nicht nach. Nicht, wenn wir es tun. Im Gottesdienst tun wir es auch nicht alleine. Das Kreuzzeichen verbindet uns. Es ist wie ein Ritual. Vertraut – und doch auch fremd. Eingeübt – und doch auch geheimnisvoll. Was sich wie eine Formal anhört, für viele gar wie eine Leerformel, verbirgt einen großen Schatz. Ein Geheimnis. Das Geheimnis Gottes.
Im Evangelium heißt es:
Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit,
wird er euch in die ganze Wahrheit führen
Wir versuchen, uns Gott vorzustellen, aber keiner von uns kann ihn fassen. Alleine nicht, gemeinsam auch nicht. Wenn wir alle Erfahrungen zusammenlegen, alle klugen Bücher zusammenfassen, alle Träume aneinander fügen, entzieht sich uns Gott dann doch. Mit unseren Worten geraten wir schnell auch an Grenzen. Wir wollen etwas erklären, wir wollen etwas geklärt haben, aber unsere Gedanken verlieren sich irgendwann. Dann sind wir Gott vielleicht am nächsten. Wenn wir „leer“ geworden sind.
Das Kreuzzeichen legt eine Spur. In meinem Gesicht. Auf meinen Schultern. Über meinem Herzen: Ich bin Teil dieses Geheimnisses. Das Vater, Sohn und Heiliger Geist genannt wird. Wir bergen uns in seinem Namen.
Kein Zweifel: Der Geist der Wahrheit kommt. Er führt uns in Gottes Geheimnis.
Falten
Heute, am Sonntag nach Pfingsten, feiern wir das Fest der Dreifaltigkeit Gottes. Die Geschichte dieses Festes ist so reich, vielseitig und widersprüchlich, dass wir uns da lieber nicht verlieren. Schön ist aber, dass es viele Gedanken, Bilder und Theorien gibt. Gott ist nicht ein-fach, Gott ist drei-faltig. Voller Leben, Dynamik und Kraft. Von Anfang an. Das fordert natürlich Kopf und Herz heraus. Die Vielfalt, das Durcheinander, die Widersprüche unseres Lebens fordern uns doch auch heraus. Jeden Tag. Es gibt nicht nur eine Meinung, einen Weg, einen Traum. Ich bin doch auch nicht ein-fach! So komplex, spannungsgeladen und erfahrungsreich mein Leben ist.
Ein kleines Wortspiel gefällig? Falten. Falten gibt es im Gesicht. Sie sind nicht immer beliebt, aber sie erzählen von dem Reichtum des Lebens. Falten gibt es im Kleid, im Anzug. Sie können zur Mode gehören, aber unabhängig davon zeigen sie, dass wir Kleid und Anzug tragen. Der Alltag ist falten-reich, das Leben ist falten-reich. Denken wir dann daran, dass wir etwas „entfalten“, merken wir, dass sich ein Gedanke, ein Text, ein Bild so richtig zu Gehör bringen. Schließlich, damit mag es dann auch gut sein, entfalten sich eine Blüte, ein Blatt. In den letzten Tagen und Wochen konnten wir das bewundern – und bewundern es immer noch.
Gott entfaltet sich
Im Evangelium steht, dass uns Jesus noch so vieles zu sagen hätte. Aber wir bringen es nicht auf die Reihe. Dann hilft uns sein Geist und führt uns in die ganze Wahrheit. Das ist freilich ein großes Wort: ganze Wahrheit. Wir haben schon Schwierigkeiten mit den vielen Einzelteilen und Resten. Aber Gott entfaltet sich. Ent-faltet sich.
Johann Scheffler, später Angelus Silesius genannt, „schlesischer Engel“, dichtete 1657 ein Lied. Eine Frage bewegte den Hof- und Leibarzt Herzog Sylvius Nimrods von Württemberg: wie ist Gott zu uns? Und er hat sich von einem Wort leiten lassen: Liebe. So ist es geschrieben in der Heiligen Schrift. Gott ist die Liebe – so einfach und so vielseitig in nur einem Wort! Und da Liebe immer ein Gegenüber hat, immer eine Geschichte erzählt, immer schnell auf den Punkt kommt, sah der Dichter sich Gott ent-falten:
Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht,
Liebe, die du mich so milde nach dem Fall hast wiederbracht:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Liebe, die du mich erkoren, eh ich noch geschaffen war,
Liebe, die du Mensch geboren und mir gleich wardst ganz und gar:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Liebe, die für mich gelitten und gestorben in der Zeit,
Liebe, die mir hat erstritten ewge Lust und Seligkeit:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Liebe, die du Kraft und Leben, Licht und Wahrheit, Geist und Wort,
Liebe, die sich ganz ergeben mir zum Heil und Seelenhort:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Das ist die Geschichte, die Gott mit uns hat, und wir mit ihm. „Vater“ kommt nicht vor, „Sohn“ nicht, “Heiliger Geist“ auch nicht, und doch sind sie so lebendig und gegenwärtig wie die Liebe. Von ihr wird erzählt, was sie macht, was sie ist, wohin sie führt. In vier Versen hat Johann Scheffler, der in einer Zeit großer Konflikte lebte - Dreißigjähriger Krieg, konfessionelle Rechthaberei und menschliche Niedertracht - die Worte gefunden, die dem Geheimnis Gottes nahe kommen. Wenigstens nahe! Immer wieder: Liebe, die du mich... Es ist ein Hohelied für mich. Ich bin Gottes Bild. Von ihm gefunden. Von ihm erkoren. Geliebt. Vor meiner Geburt. Von Anfang an. So sehr geliebt, dass die Liebe Mensch wird, stirbt, ewige Lust und Seligkeit erkämpft. Ganz dicht an meinem Leben formuliert, alles Unwichtige weggelassen:
Liebe, die du Kraft und Leben, Licht und Wahrheit, Geist und Wort,
Liebe, die sich ganz ergeben mir zum Heil und Seelenhort.
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Scheffler besingt die Schöpfung des Vaters, die Erlösung durch den Sohn, das Wirken des Geistes, und es ist doch nur die Liebe, die das alles tut und zusammenhält. Die Liebe ent-faltet sich!
Johann Scheffler, der in seinen letzten Lebensjahren ein sehr streitbarer und verbitterter Mensch war, konnte die Dreifaltigkeit Gottes rühmen, ohne das Wort „dreifaltig“ in den Mund nehmen zu müssen oder auf Papier zu bannen. Schon das Wort „dreifaltig“ hat eine sehr bittere Geschichte hinter sich, eine Geschichte der Trennungen und Ängste. Aber von der Liebe erzählen und was sie aus mir macht, überwindet Missverständnisse und Vorurteile. Erzählen wir doch unsere Geschichte mit Gott – und Gottes Geschichte mit uns: Liebe, die du mich... Juden und Muslime können dann auch gut zuhören. Ist nicht der eine Gott der, der sich in der Liebe entfaltet?
Ich werde entfaltet
Das Lied, das Johann Scheffler schrieb, hat aber mehr als 4 Verse. 7 sind es. 7 Verse müssen es sein, das ist die vollendete Zahl. Und die 3 Verse, die am Schluss stehen, sind wie ein Ausblick. Sie hören sich so an:
Liebe, die mich hat gebunden an ihr Joch mit Leib und Sinn,
Liebe, die mich überwunden und mein Herz hat ganz dahin:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Liebe, die mich ewig liebet und für meine Seele bitt’,
Liebe, die das Lösgeld gibet und mich kräftiglich vertritt:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Liebe, die mich wird erwecken aus dem Grab der Sterblichkeit,
Liebe, die mich wird umstecken mit dem Laub der Herrlichkeit:
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.
Jeder Vers schließt mit der Gewissheit „ Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich“. Aber spannend ist, was von der Liebe noch gesagt wird:
- Sie nimmt mein Herz gefangen, Leib und Sinne,
- sie vertritt mich vor Gott – das hat Johannes Scheffler Paulus abgelauscht –
- und sie schenkt mir Unsterblichkeit.
Es sind drei Sätze. Sätze also, die, weil sie von der „Liebe“ ausgehen, einen Schatz erschließen. Darf ich das jetzt so sagen? Ich bin dreifaltig – in der Liebe: Überwältigt und hingenommen, vor Gott gut vertreten, auferweckt und mit Leben beschenkt.
Johann Scheffler hat das alles sehr existentiell zugespitzt. Wir könnten uns auf eine kleine Übung einlassen: Was haben andere Menschen davon, dass ich „dreifaltig“ bin? - Drei Sätze genügen:
- Die Liebe bindet mich an andere Menschen,
mit Haut und Haaren, ganz.
- Ich trete für andere Menschen ein und vertrete sie,
wenn sie nichts mehr sagen können.
- Ich lasse mich nicht vom Tod einschüchtern,
sondern kämpfe für das Leben.
In den Falten ein Schatz
Im Evangelium haben wir gehört, was Jesus seinen Jüngern sagt: "Er [der Geist] wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden."
Die Liebe ist sein größter Schatz. Die Liebe ist sein größtes Geschenk. Die Liebe ist auch sein größtes Geheimnis. Der Schatz des Vaters, der Schatz Jesu, der Schatz des Geistes. Liebe. Damit Jesus verherrlicht wird. Beim Vater und vor den Augen der Welt.
Über die sogenannten innertrinitarischen Beziehungen müssen wir uns keinen Kopf zerbrechen. Über unser Leben eigentlich auch nicht. Mit unseren Worten geraten wir schnell auch an Grenzen. Wir wollen etwas erklären, wir wollen etwas geklärt haben, aber unsere Gedanken verlieren sich irgendwann. Dann sind wir Gott vielleicht am nächsten. Wenn wir „leer“ geworden sind.
Gott entfaltet sich. Gott entfaltet die Liebe. Das feiern wir heute. Am Fest der Dreifaltigkeit.
Bevor wir in unseren Alltag gehen, bezeichnen wir uns mit dem Kreuz. Es ist d a s Zeichen der Liebe.
Wir sagen: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Wir legen Gottes Geheimnis auf Kopf und Herz. Und auf die beiden Schultern.
Wir legen Gottes Namen auf uns.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus
unserem Herrn.
Manfred Wussow (2004)
Gabi Ceric (1998)