Mächte des Unheils
Das heutige Evangelium, in dem von einem Exorzismus, d.h. von der Befreiung eines Menschen von einem Dämon die Rede ist, möchte ich zum Anlass nehmen, mit Ihnen darüber nachzudenken, wie wir Menschen von heute einen Zugang finden können zu diesem uns fremd anmutenden Geschehen. Sehr häufig hören wir in den Evangelien, besonders im Markusevangelium, von Berührungen Jesu mit bösen Mächten. Es fällt selbst Bibelwissenschaftlern schwer zu beurteilen, ob diese Dämonen nach damaligem Verständnis als eigenständige, zerstörerische Mächte gesehen wurden und ob Jesus und seine Zeitgenossen sogar in ihnen eine personifizierte widergöttliche Macht - Satan genannt - am Werk sahen. Darüber sollten wir uns jedoch nicht zu sehr den Kopf zerbrechen. In jedem Fall haben wir es mit Mächten des Unheils zu tun, die dem Menschen schaden wollen, die ihn von Gott abbringen wollen. Besessenheit könnte man umschreiben als ein Besetzsein vom Bösen. Zweifellos gibt es ein solches Gefangensein, das den Menschen nicht mehr oder doch nur sehr schwer innerlich frei werden lässt für das Gute und für die Liebe.
In welchem Ausmaß diese dunklen Mächte widergöttlich sind, mit welcher Intensität sie sich Gott widersetzen und zerstörerisch auf den Menschen einwirken, dies wird in seiner ganzen Abgründigkeit deutlich, wenn wir hinsehen, wie sie auf Jesus reagieren. Zunächst einmal mag es merkwürdig erscheinen, dass es nach den Berichten des Markusevangeliums, des ältesten Evangeliums, ausgerechnet diese Dämonen oder unreinen Geister sind, die als erste in Jesus den "Heiligen Gottes" (Mk 1,24), den "Sohn Gottes"(Mk 5, 7) erkennen, ja ihn als solchen geradezu bekennen müssen. Dies war aber alles andere als ein Bekenntnis des Glaubens an Jesus oder die Hoffnung auf ihn als den gekommenen Messias Gottes. Nein, es war Abwehr, panische Angst.
Einer von ihnen, ein Mann, der in der Synagoge saß und von einem unreinen Geist besessen war, begann zu schreien: "Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns ins Verderben zu stürzen." Überall, wo Jesus in Erscheinung tritt, will er heilend und heiligend auf die Menschen einwirken. Und dann kann es doch so sein, dass der Mensch dies nicht an sich geschehen lassen will, sich dem innerlich widersetzt. Dies nimmt dramatische Züge an, wenn ein Mensch, wie es im Evangelium geschildert wird, innerlich hin und her gezerrt wird, weil er völlig in sich zerrissen ist.
Begegnung mit der heilenden Macht Jesu
Für den Evangelisten Markus sind dies Zeichen für den fürchterlichen Zusammenprall zwischen heiligen und unheiligen Mächten. Der Mann in der Synagoge ahnt, trotz seines in Beschlag genommen seins vom Bösen, dass ihm in Jesus eine gute, eine heilende Macht begegnet. Obwohl er in diesem Menschen etwas Heilendes und Heilbringendes wahrnimmt, bäumt er sich dennoch dagegen auf. In ihm liegt das Böse im Widerstreit mit dem Guten. Er spürt in der Tiefe seines Herzens die Sehnsucht nach Heil, nach innerem Frieden und wehrt sich doch dagegen. Diese seine ganze innere Not schreit er aus sich heraus.
Befremden
Ich möchte nicht verhehlen, dass diese und andere Berichte in den Evangelien über Dämonen und über ihre Austreibung aus den von ihnen besessenen Menschen einiges Befremden in mir auslösen. Ich versuche dann jedoch zu unterscheiden zwischen der damaligen zeit bedingten Einschätzung dieser Phänomene und dem, was uns damit gesagt sein soll. Durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch bis in unsere heutige, sich so aufgeklärt dünkende Zeit sehen wir uns mit fürchterlichen, Menschen zerstörenden Auswirkungen des Bösen konfrontiert.
Entfremdung, Zerrissenheit
Es wäre zu einfach, würden wir das alles auf die Macht der Gene, auf falsche Erziehung oder auf unheilvolle Einflüsse gesellschaftlicher Art zurückführen. Der Krankheitsherd liegt viel tiefer. Nämlich dort, wo der Mensch sich radikal, an die Wurzel seines Menschseins gehend, entscheiden muss, wohin er gehören will: auf die Seite des Guten oder auf die des Unheilvollen und Bösen. Das bedeutet unter religiösem Aspekt: Will ich mich dem heilenden, befreienden Tun Gottes anvertrauen oder will ich mich Kräften in mir über-lassen, die mich nicht nur Gott entfremden, sondern auch mir, meinem eigenen Selbst.
Entscheidung. Lebenswahl
Was damals die von unreinen Geistern Besessenen aufschreien und zittern ließ, war nichts anderes als diese innere Zerrissenheit zwischen dem Guten und Bösen in ihrem Herzen. Und das wurde ihnen erschreckend bewusst, als sie Jesus begegneten. In ihm lebt das ganz und gar göttlich Gute und Heilige. Und deshalb kann er den Menschen Heil bringen, vermag er sie zu heilen und zu befreien. Wenn wir an diese heilende Macht glauben, dann kann, ja dann muss das Böse in uns zurückweichen, selbst wenn es sich dagegen zur Wehr setzt. Man könnte es auch so sagen: Die Entscheidung wird gefällt und fällt auch heute noch zwischen dem Glauben an Gottes heilende Macht oder dem Unglauben, der sich dem Heil, das von Gott kommt, verweigert.
Goethe hat einmal geschrieben (in den Anmerkungen zum "West-östlichen Diwan"): "Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und des Glaubens." Ob er das im eigentlich religiösen Sinne verstanden hat, weiß ich nicht. Doch aus der Sicht des Glaubens stellt sich die fundamentale Frage: Gebe ich dem Dunklen und Unheilvollen in mir Raum oder dem heilenden und befreienden Wirken Gottes.
Was Gott bewirkt, ist indes kein magisches Geschehen, sondern ein von Gottes Heilswillen getragenes Tun am heilungsbedürftigen Menschen. Er will jeden von uns - in der inneren Auseinandersetzung zwischen dem Guten und dem Bösen - zu sich hin ziehen, in seine Liebe hineinziehen. Entscheidend ist, wohin ich mich orientieren will, was meine Lebenswahl ist. Es kann nicht darum gehen, dass ich sozusagen im Schnellverfahren von allem, was in der Tiefe meiner Seele noch krank ist, geheilt werde. Der Widerstreit in meinem Innern ist nicht von heute auf morgen zu überwinden.
Das Böse, das ich nicht will
Paulus ist diesem inneren Widerstreit nicht ausgewichen, er hat dieses sein innerlich hin und her Gerissensein sich selbst eingestanden. Und er bekennt dies sogar in aller Offenheit vor der Christengemeinde von Rom: "Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde"(Röm 7, 19-20). Paulus spricht nicht von Dämonen oder von unreinen Geistern. Er spricht von der Erfahrung, die wir alle machen können: Dass nämlich etwas Unheilvolles in unserem Innern nistet, das uns vom Guten wegreißen will.
Paulus fährt dann fort: "In meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderer Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft in Streit liegt und mich gefangen hält im Gesetz der Sünde, von dem meine Glieder beherrscht werden. Ich unglücklicher Mensch! Wer wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten?"(Röm 7, 22-24). Und diese schmerzvolle Erfahrung lässt er dann dankend und vertrauend einmünden in den Glauben an das rettende Tun Gottes in Jesus Christus: "Dank sein Gott durch Jesus Christus, unserem Herrn!"(Röm 7, 25).
Vertrauen auf Gottes heilende Macht
Ich möchte mich in diesem Paulus wiedererkennen. Und dies in zweifacher Hinsicht. Das eine: Mit Paulus darf ich mir eingestehen, dass manches in mir mich noch unfrei sein lässt, dass ich oft das tue, was ich gar nicht tun will. Aber dann auch das andere: Dass ich an Gottes Kraft in menschlichen Schwachheit glauben darf. Dieses Vertrauen auf Gottes heilende Macht lässt Paulus sprechen: "Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark"(1 Kor 12, 10)
Paulus setzt dabei sein ganzes Vertrauen auf Jesus Christus. Denn in ihm ist auf eine einzigartige Weise Gottes rettende und heilende Macht offenbar geworden ist. Er ist der Heiland der Menschen. Dies wollen uns auch die Dämonenaustreibungen auf ihre uns schwer zugängliche Art sagen. Indem Jesus den unheilvollen Mächten Einhalt gebietet, will er offenkundig machen, dass die Herrschaft Gottes in dieser Welt schon angebrochen ist und dass in ihm, dem erwählten und zu Gott erhöhten Messias, einmal der endgültige Sieg über alle gottfeindlichen Mächte errungen wird. Dann wird einmal Gott alles in allem sein.
Martin Leitgöb (2006)