Jesu unbegreifliches Gottesbild
Die "Schriftgelehrten und Pharisäer" damals und heute halten das Verhalten Jesu gegenüber den Sündern für falsch. Sie nehmen daran Anstoß, wie sich Jesus mit ihnen abgibt und sogar mit ihnen isst. Jesus will in drei Gleichnissen sein Verhalten gegenüber den Sündern rechtfertigen. Ohne Gott beim Namen zu nennen, will er zeigen, dass er sich so zu den Sündern verhält, wie Gott sich zu ihnen verhält.
Jesus zeichnet dabei ein Gottesbild, das ungewohnt und vielen unbegreiflich ist. Gott ist vergleichbar mit einem Mann, der 100 Schafe besitzt und eines verliert. Gott ist vergleichbar mit einer Frau, die 10 Drachmen besitzt und eine verliert. Gott ist vergleichbar mit einem Vater, der zuerst den jüngeren und dann den älteren Sohn verliert. Gott zeigt sich nicht als der Mächtige, der Starke, der erfolgreich seine Ziele durchsetzt, sondern als der Schwache, der die Verluste hinnimmt.
Gott wird dadurch nicht von Zorn erfüllt und versucht nicht seine Ziele mit Gewalt und Zwang zu erreichen. Er verliert nicht die Liebe; im Gegenteil er geht auf die Suche, das Verlorene zu finden. Er sucht das verlorene Schaf und die verlorene Drachme. Er wartet in Geduld auf die Heimkehr des verlorenen Sohnes.
Gott wird geschildert als einer, der sich unendlich freut, wenn er das oder den Verlorenen findet, der ein Fest veranstaltet, als der verlorene Sohn heimkehrt.
Der barmherzige Vater ist Vorbild Jesu
Dieser Gott, der barmherzige Vater, ist das Vorbild für das Verhalten Jesu zu den Sündern. Diesen Gott will Jesus durch sein Verhalten unter den Menschen greifbar und sichtbar machen.
Das Gleichnis vom barmherzigen Vater ist zweifellos eine Frohbotschaft für alle Menschen, die schuldig geworden sind und den Weg zur Heimkehr finden. Gott liebt den Menschen und er kündigt diese Liebe nicht auf, wenn der Mensch sündigt. Im Gegenteil: er verstärkt sie, er sucht die Verlorenen und ist bereit sie umsonst ohne jede Wiedergutmachung aufzunehmen.
Aber ist dieses Gleichnis eine Antwort auf die Fragen und Bedenken der "Schriftgelehrten und Pharisäer" damals und heute?
Der ältere Sohn, der nicht am Fest teilnehmen will, bringt jene Probleme zur Sprache, die die Schriftgelehrten und Pharisäer mit dem Verhalten Jesu haben. Der ältere Sohn kann das Verhalten des Vaters nicht verstehen, Er kann nicht verstehen, dass der Vater tatenlos zuschaut, wie sein Bruder das Haus des Vaters verlässt, sein Erbe verprasst und vielen Menschen Leid zufügt. Er kann nicht verstehen, dass der Vater auf jede Strafe und Wiedergutmachung verzichtet. Der ältere Sohn, der in Treue zu Hause geblieben ist, fühlt sich betrogen und ungerecht behandelt.
"Gerechtigkeit und Liebe küssen sich"
Im Gleichnis versucht der Vater sich zu rechtfertigen. Er sichert ihm seine Liebe zu: "Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist dein". Und er wirbt um Verständnis. für sein Verhalten. "Jetzt müssen wir uns freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder! Er war verloren und ist wiedergefunden worden". Dem älteren Sohn gehen diese Worte scheinbar nicht zu Herzen. Er hat in seiner Rechtschaffenheit die Liebe verloren
Im Gleichnis bleibt offen, ob dieser Versuch einer Versöhnung gelingt. Gerechtigkeit und Liebe küssen sich offensichtlich nicht (vgl. Ps 85,11).
Die Einwände der Schriftgelehrten und Pharisäer gegen das Verhalten Jesu bleiben bestehen. Am Horizont zeigt sich das Kreuz. Jesus wird wegen Gotteslästerung angeklagt. Und er stirbt zur Vergebung der Sünden.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn und barmherzigen Vater hat viele Aspekte und wirft viele Fragen auf. Beide Söhne verlieren ihre Heimat, beide bedürfen der Umkehr und der Heimkehr. In beiden Fällen ist das Gottesbild von entscheidender Bedeutung.