Offenes Geheimnis
Wenn irgendwo ein Skandal öffentlich wird, kommen viele auf den Plan, die sagen: "Ich hab so was schon lange geahnt. Das war doch vorherzusehen!"
Vielleicht übertreiben solche Zeitgenossen. Auf der anderen Seite deuten sie an, dass eine gute Beobachtung manche Rückschlüsse zulässt. Wer will und das richtige Auge hat, kann sehen und wissen. Wer will und das richtige Herz hat, kann spüren und wissen.
Offenbarung geschieht
Vor diesem Hintergrund hört sich das Evangelium neu an. Jesus steht mit seinem Wort und seinem Tun für die Treue Gottes. Er steht für die konkrete Erfahrung mit der Selbstaussage Gottes: "Ich bin der ich bin da für dich" (Ex 3,14) Wer aber sucht das? Es sind die Menschen, denen diese Erfahrung fehlt. Es sind die Menschen, die Geborgenheit vermissen. Es sind die Menschen, denen man keine Zukunft gibt.
Sie suchen und wollen finden. Das macht sie hellhöriger. Es macht sie aufmerksamer. Es macht sie zu bewusst handelnden Menschen. In dieser besonderen Situation können sie das Wesen Jesu besser erfassen. Sie können sensibler wahrnehmen, was mit Jesus und in ihren Herzen geschieht. Diese Menschen können Jesus erleben und fragen: "Warum geschieht das? Aus welcher Kraft heraus tust du das? Wer schickt dich? Was hat das auf sich mit deinem Vater?" In jeder Antwort und in jedem Verstehen steckt dann etwas von der Offenbarung, die Jesus in seinem Gebet anspricht: "Ich preise dich, Vater (…), weil du all das (…) den Unmündigen offenbart hast" (Mt 11,25)
Offen für Wege mit Gott
Ein Sprichwort sagt: "Man soll keinen Hund zum Jagen tragen!" Dieses Wort hilft auch im Verständnis des Evangeliums weiter. Wer sagt: "Ich weiß über Gott bescheid. Ich brauche nicht mehr suchen!" ist wie der müde Hund. Die Weisen und Klugen hielten oder auch halten sich manchmal dafür. Sie haben die Theologie gut studiert. Sie kennen die wichtigen Lehrsätze des Glaubens. Das gilt es zu bewahren. Und in den Grenzen, die dieses System bietet, bewegt man sich. Es gibt Sicherheit. Die Kehrseite der Medaille ist das Fehlen von spontaner Gotteserfahrung. Die hat keinen Platz und daher auch keinen Begriff.
Anders ist es bei den "Unmündigen". Sie haben die Sicherheit nicht. Sie können sich viele Dinge nicht so erklären. Aber sie sind Suchende. Sie suchen nach dem Wort, das ihnen die aktuelle Zeit verstehen hilft. Sie sind - um im Bild zu bleiben - Hunde auf der Jagd. Sie suchen und stöbern. Sie finden und nehmen das auf. Ihnen kann jedes Geschenk des Tages das Wunder der Liebe Gottes werden. Die Suchenden sind nicht nur einfach Suchende, sie müssen Suchende sein. Denn es fehlt ihnen einiges. Nur durch ihre Suche könne sie verändern, was rund um sie herum geschieht. Und ihnen will Jesus zeigen, was sie noch nicht kennen.
Im zweiten Teil des Evangeliums steckt eine große Einladung: "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen!" (Mt 11,28) Der Satz tut gut. Noch wichtiger ist aber die Erfahrung damit. Wer einmal in einer Kirche geweint hat, weiß das. Es ist die Chance, mit aller Trauer zu Gott zu kommen. Dann darf man sich ausheulen und merken, wie Ruhe ins Herz kommt. Diese Erfahrung prägt und ermutigt zugleich, es noch einmal zu versuchen.
Aus der Zeit Jesu sind viele Momente dieses Lebens bekannt. Die vielen Kranken und Besessenen suchten ihn. Nikodemus konnte seine Fragen los werden. Sie erlebten, was die Ruhe in Jesus ist und wie sie sich auswirkt. Die Frau am Jakobsbrunnen kann sich zu ihrer Lebensgeschichte bekennen.
Liebe sucht eine Antwort. So ist es auch hier. Aus der Einladung zur Ruhe in Jesus wird die Bitte zur Nachfolge. Es ist wie eine Nachfrage: "Willst du mir auch etwas gutes tun?" Damit die Antwort leichter fällt, ist sie verbunden mit dem Versprechen: "Meine Last ist leicht!"
Ein ermutigender Ausblick
"Ich hab’s ja immer gewusst" - diesen Satz sollten wir als Christen nicht so oft nutzen. Einige Dinge um Gottes Treue und Sorge weiß jeder. Viel wichtiger ist es aber, zu sagen: "Ich erfahre eine neue Wirklichkeit Gottes!" Denn das, was der einzelne dann erfährt, kann er aus seinem Alltag heraus verstehen. Und er merkt, dass Gott es für sinnvoll hält, mit dieser Erfahrung zu zeigen: "Ich bin der ich bin da für dich!"