Eine Frau verschwindet
In dieser Geschichte wirbelt alles. Maria von Magdala, ganz früh am Morgen, findet ein geöffnetes Grab, rennt zu Simon und Johannes, ist ganz aufgeregt, fast aufgelöst - und verschwindet dann. Ich höre schon die klugen Ausleger: typisch Frau! Sie sagen es zwar ein wenig feiner, auch ein wenig gebildeter, aber auffällig ist es schon, wie ein Mensch aus seiner Geschichte verschwindet. Aus dieser Geschichte. Von Maria von Magdala ist dann auch nicht mehr die Rede. Weder von ihrem Glauben noch von ihrem Zweifel. Verwundert reibe ich mir die Augen. Das hat doch Markus, immerhin der erste der Evangelisten, ganz anders erzählt! Drei Frauen hören die Botschaft des Engels, drei Frauen sollen die Botschaft zu den Jüngern bringen, drei Frauen fliehen entsetzt vom Grab! Aber sie sind die ersten Zeugen! Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Sie sind jetzt ganz verschwunden. Maria, wo bist du? Es kann nicht lange dauern - irgendwann muss sie wieder auftauchen.
Wettlauf
Wie es weitergeht? Wir sehen zwei Jünger um die Wette laufen. Simon, Petrus, Fels genannt - und Johannes, einfach der "Lieblingsjünger". Wo die anderen sind, verrät der Evangelist nicht. Ich vermisse sie jetzt auch nicht, ich bin ganz fasziniert von dem Wettlauf der beiden. Petrus hechelt hinterher, Johannes flitzt davon. Er könnte "Erster" rufen, tut es aber nicht - er lässt Petrus sogar den Vortritt.
Ich muss jetzt an die Szene denken, in der Jesus seine Jünger fragt, für wen ihn die Leute halten. Sie erzählen dann, was sie schon gehört haben - über ihn. Meinungen, Gerüchte, Vermutungen. Klar, die Menschen machen sich ein eigenes Bild. Von dem, was sie hören, was sie sehen, was ihnen begegnet. Dann fragt Jesus seine Jünger: Und ihr - für wen haltet ihr mich? Wir hören Simon dann sagen: Du bist Christus, du bist der Messias. Jesus nennt ihn dann: Fels. Petrus.
Als erster darf er nachsehen, seine Autorität wird gestärkt. Aber was sieht er? Was kann er bezeugen, wenn er gefragt wird? Eben nur, dass das Grab leer ist. Ich bin überrascht, wie leer die ganze Geschichte wird. Es ist nicht einmal ein Engel da, der redet, eine Botschaft übermittelt, einen Auftrag erteilt. Den anderen Evangelisten war das so wichtig - jetzt begnügen wir uns mit, Entschuldigung, Leichentüchern, die in der Ecke liegen.
Was mag den Evangelisten dazu bewogen haben, die Geschichte so zu erzählen? Auffällig ist das schon: In einer Ecke liegen - wie hastig zurückgelassen - die Leinenbinden, abseits von ihnen dann, säuberlich zusammengelegt, das Schweißtuch. Nur noch Überbleibsel, Reste, Erinnerungsstücke. Wo Jesus jetzt ist? Noch weiß kein Mensch, so früh am Morgen, was geschehen ist. Petrus nicht, Johannes nicht, ich auch nicht. Es wird etwas dauern, bis Jesus sagt: Ich habe Hunger. Kinder, habt ihr etwas zu essen? Da ist er dann wieder einer von uns. Das kleine Holzkohlenfeuer, von dem der Evangelist später erzählt, ist mir lieber als das leere Grab. Obwohl der Evangelist uns dort lange festhält! Für ihn ist das leere Grab Zeuge eines entmachteten Todes. Nicht einmal an diesem Ort kann er seine Herrschaft aufrecht erhalten! Leer! Einfach leer! Darum muss Petrus dort rein, darum muss sich Johannes ihm zugesellen! Von dem Lieblingsjünger heißt es dann auch, dass er sieht - und glaubt. Ich vermute, Ihnen liegt die gleiche Frage auf dem Herzen wie mir: Und - was glaubt er?
Bewegung
In dieser Geschichte geht alles ganz schnell. Das Spiel der Augen, ein Lauf um die Wette, der keuchende Atem. Gemächlich ist hier nichts. Meditative Stimmung stellt sich nicht ein. Der Evangelist weiß, was er macht: Zum Geheimnis von Ostern müssen Menschen eilen, laufen, rennen - Ostern bringt Herzen und Füße in Bewegung. Wir spüren das Leben. Wie wir hastig ein- und ausatmen, uns den Schweiß von der Stirn wischen, langsam zur Ruhe kommen. Wie ich den Evangelisten doch bewundere! Petrus, der mit der Zunge immer so schnell war, kommt mit hängender Zunge an. Wenn etwas zu Ostern passt, dann dieser Wettlauf!
Wettlauf! Was die Jünger an diesem Morgen umtreibt - oder auf die Palme bringt - führt zu den vielen Wettläufen, auf die wir uns einstellen, die von uns gefordert, in denen wir im Stich gelassen werden. Es ist der Wettlauf mit dem - Tod. Er darf nicht schneller sein als wir. Wir müssen ihm zuvorkommen. Auf der Straße rast ein Rettungswagen. Im OP kämpft ein großes Team eine ganze Nacht lang um das Leben eines Menschen. Im Gespräch ringen Menschen um eine, um ihre Zukunft. In harten Auseinandersetzungen werden Entscheidungen getroffen, die einem Land ein Überleben sichern - wie jetzt erst für Zypern. Der Tod hat viele Gesichter. Er macht Menschen klein, traurig, hilflos. Er vergreift sich an der Zukunft. Er wühlt in alten Geschichten. Er gewährt keine Vergebung. Er kennt kein Pardon. Als Herrscher spielt er sich auf. O Gott, wie allmächtig er ist ...
Johannes läuft, rennt, Johannes ist gut drauf. Petrus hechelt ihm nach, kommt kaum mit, bleibt ihm aber an den Fersen. Was sie sehen: Leere! Ein leeres Grab! Binden - achtlos zurückgelassen. Es war ein Wettlauf - mit dem Leben. Endlich: der Tod ist nicht allmächtig. Schaut in sein Loch! Seine Höhle ist - leer.
Ich weiß: Das Bild vom leeren Grab verunsichert viele Menschen. Sie können das (!) nicht glauben. Aber: Gibt es ein größeres, schöneres Bild vom Leben - als eine leere Stelle - mitten im Leben, die von einem überwundenen Tod kündet? In dieser Leere kann Hoffnung wachsen. In dieser Leere lebt Liebe auf. Liebe schafft diese - Leere.
Fassen kann ich es aber auch nicht: Geben sich die Jünger mit einem leeren Grab zufrieden? Fragen sie nicht einmal, wie das kommt? Haben sie die Aufregung von Maria vergessen? "Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat" - diese Frage ist doch noch offen, oder? Coole Jungs, die Jünger! Ob der Evangelist noch etwas vor hat? Etwas zurückhält? Das kann doch nicht alles sein!
Eine Frau kommt wieder
Die Überraschung am Morgen! Während die beiden Jünger gemächlich nach Hause gehen - der Evangelist erzählt das tatsächlich so, findet der Evangelist Maria von Magdala weinend am Grab. Haben die Jünger sie nicht gesehen? Haben sie sie - übersehen? - Sie ist also doch da! Das wäre auch nicht mit rechten Dingen zugegangen. Ob sie mein Rufen gehört hat? Maria, wo bist du?
Die Fortsetzung - wir können sie uns ausnahmsweise nicht für ein andermal aufheben. Maria sieht Jesus als erste wieder. Als erste redet sie mit ihm. Und, kaum zu glauben: sie soll den Jüngern von Jesus sagen, dass er zu seinem Vater zurückgehen wird. Was das für eine Wendung ist! Ich hätte im Traum nicht daran gedacht! Maria sagt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen -und das hat er zu mir gesagt.
Der Evangelist ist doch ein Fuchs: Die Jünger dürfen das leere Grab studieren - mit Maria spricht Jesus. Ihr gibt er sich zu erkennen. Nein, Gärtner ist es nicht. Dass sie ihn dann nicht berühren, anfassen soll - was macht das schon? In dieser Begegnung gibt es keine Leere. Nur: Nähe und Liebe. Sage jetzt niemand etwas über Rollen, Mannsbilder und Hierarchien: Ostern bringt so ziemlich alles durcheinander, was durcheinander zu bringen ist. Gott liebt das Leben! Wie er es geschaffen hat!
Bei dem Evangelisten muss ich mich dann doch entschuldigen. Ich dachte schon, er hätte die Maria aus dieser Geschichte herausgeholt, um Petrus den Löwenanteil zu sichern. Jetzt bin ich wieder versöhnt. Können Sie das verstehen? Ob wir vielleicht einen Brief nach Rom schreiben sollten? Aber die kennen die Geschichte doch auch!
Frohe Ostern!
Der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn