Das Ende der Welt – ein endgültiges Ende?
Jesus spricht im heutigen Evangelium von geschichtlichen Ereignissen, die darauf hindeuten, dass die Gestalt dieser Welt vergehen wird. „Doch jenen Tag und jene Stunde“, sagt Jesus, „kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater“ (Mt 24,36). Dennoch gib es Zeichen, dass unsere Weltzeit nicht ewig dauern wird. Jesus kleidet dies in ein Bildwort: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Äste saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr das alles seht, dass das Ende vor der Tür steht“ (Mt 24,32f.).
Was danach kommt
Verbreitet war früher die Vorstellung, die Seele des Menschen existiere bis zum „Jüngsten Tag“ gewissermaßen in einem Zwischenzustand, und erst am Ende dieser Welt geschehe die Auferstehung der Toten. Nein, schon an unserem Lebensende werden wir mit Leib und Seele, mit unserem ganzen Selbst, zu einem neuen Leben auferstehen.
Wer nicht in den Tag hinein lebt, wird sich dann die Frage stellen, wie wir uns nach dem Ende unseres irdischen Lebens die überirdische Welt vorstellen. Und da stoßen wir an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens, weil wir nur in den Kategorien von Raum und Zeit zu denken vermögen. Das, was nach dem Ende unseres Lebens kommt, ist mit räumlich-geographischen Kategorien nicht zu erfassen. Auch die Zeit, verstanden als Ablauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wird es in der jenseitigen Welt nicht mehr geben. Das Leben nach dem Tod ist keine Aneinanderreihung von Zeitabläufen.
Die Heilige Schrift ist sehr zurückhaltend, wenn sie über das spricht, was wir jenseits des Todes erhoffen dürfen. „Jetzt sind wir Kinder Gottes“, lesen wir im ersten Johannesbrief, „aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist“ (1 Joh 3,2). Und Paulus sagt: „Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2,9). An einer anderen Stelle des Korintherbriefes heißt es: „So ist es mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, ist herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib“ (1 Kor 15,42f.).
Ich bleibe nicht, wie ich war
Es hat einmal jemand gesagt: „Ich bleibe, der ich bin, der ich war – aber ich bleibe nicht, wie ich war.“ Ich bleibe der, der ich war, der ich bin: dieser von Gott geschaffene unverwechselbare, einmalige Mensch. Aber ich bleibe nicht so, wie ich mich in meinem irdischen Leben vorfinde. „Nun könnte einer fragen“, sagt Paulus, „Wie werden die Toten auferweckt, was für einen Leib werden sie haben? Was für eine törichte Frage! Auch das, was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Was du säst, hat noch nicht die Gestalt, die entstehen wird; es ist nur ein nacktes Samenkorn, zum Beispiel ein Weizenkorn oder ein anderes. Gott gibt ihm die Gestalt, die er vorgesehen hat, jedem Samen eine andere" (1 Kor 15,35-38). Wie diese neue Gestalt aussehen wird, in die hinein wir verwandelt werden, wissen wir nicht. Bilder aus dem Verwandlungsprozess in der Natur können dies nur andeuten. Aus dem Samenkorn wächst ein Baum, aus der Larve entsteht ein Schmetterling.
Von dem Apostelschüler Ignatius von Antiochien stammt das Wort: „Dort angekommen, werde ich ganz Mensch sein“ (an die Römer 6,1-2). Ganz Mensch. Ganz ich selbst. Ganz Mensch, auch in der untrennbaren Einheit von Leib und Geist. Anders als die Engel bleiben wir Menschen auch im Leben nach dem Ende unseres Lebens eingebunden in die Materie. Wie dieser Bezug zur Materie sein wird, welche Gestalt unser Leib in der kommenden Welt haben wird, übersteigt wiederum unser Denkvermögen, unsere Vorstellungskraft. Selbst die Naturwissenschaft stößt hier an die Grenzen des Vorstellbaren. So sagt Werner Heisenberg: „Die kleinsten Einheiten der Materie sind nicht natürliche Körper im gewöhnlichem Sinne, sondern Formen, die nur mathematisch ausgedrückt werden können.“
Bilder der Hoffnung
Wir sind, solange wir in dieser Welt leben, auf Bilder aus unserem Erfahrungsbereich angewiesen, um etwas von dem erahnen zu können, was uns einmal in der Welt Gottes zuteil wird. Vor allem in den prophetischen Büchern des Ersten Testamentes sowie in der Offenbarung des Johannes finden wir solche Bilder der Hoffnung. Jesaja spricht vom Frieden in der Schöpfung: „Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange (Jes 11,8). „Wolf und Lamm weiden zusammen, der Löwe frisst Stroh wie das Rind“ (Jes 65,25).
Und es gibt das Bild vom Zion, dem heiligen Berg: „Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg, spricht der Herr“ (Jes 11,9). Der Berg Gottes ist ein Bild für Eintracht und Frieden unter den Völkern. Jesaja spricht, wie wir heute in der alttestamentlichen Lesung gehört haben, von der Völkerwallfahrt: „Am Ende der Tage wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg; sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berge des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen“ (Jes 2,2-3). Gott „zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die Decke, die alle Völker bedeckt. Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wäscht die Tränen ab von jedem Gesicht“ (Jes 25,7f.). Alle diese irdischen Bilder sind ein Vorschein einer überirdischen Welt. In der Fachsprache ausgedrückt, sie sind analog.
Die Wohnung Gottes unter den Menschen
Johannes, der Seher auf Patmos, spricht in verheißungsvollen Bildern von der heiligen Stadt Jerusalem, wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkommt (Offb 21,10). „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein. Und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen wegwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keinen Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen“ (Offb 21,3f.). Es wird keine Nacht mehr geben (Offb 21,25) In der Stadt Gottes gibt es keinen Tempel mehr, weil Gott ihr Tempel ist. Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, weil die Herrlichkeit Gottes sie erleuchtet (Offb 21,22f.). In ihr fließt ein Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall. Es stehen dort Bäume des Lebens. Zwölfmal tragen sie Früchte, jeden Monat einmal. Die Blätter der Bäume dienen zur Heilung (Offb 22,1f.). Und Gott sagt: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (0ffb 13).
Die Sehnsucht nach Gott
In der sechsten Seligpreisung werden von Jesus diejenigen glücklich gepriesen, die ein lauteres Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Lebt nicht auch in uns die Sehnsucht, einmal Gott zu schauen, zu unserem Ursprung zurückzukehren. Nach aller Entfremdung von Gott und von uns selbst zurückzufinden in ein ewiges Zuhause. „Du, Gott, hast uns auf dich hin geschaffen. Und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir", so verleiht Augustinus dieser Sehnsucht Ausdruck. Wenn wir Gott einmal unverhüllt schauen, dann nur wie durch Feuer hindurch. Bei Jesaja lesen wir: "Wer von uns hält es aus neben dem verzehrenden Feuer, wer von uns hält es aus neben dem ewigen Gott?" (Jes 33,14). Was verbinden wir nicht alles mit dem Wort »Fegfeuer«? Es ist ein Purgatorium. Kein Ort der Bestrafung, sondern das lauter werden, um einmal Gott zu schauen, wie er ist. Es ist uns verheißen, dass wir Gott sehen werden, wie er ist (1 Joh 3,2).
„Wenn das Vollendete kommt“, so bekennt Paulus seinen Glauben, „vergeht alles Stückwerk ... Jetzt schauen wir wie in einem Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin“ (1 Kor 13,12). Erkennen bedeutet in der biblischen Sprache nicht ein verstandesmäßiges Erkennen, sondern meint das Vertrautwerden von Menschen, die sich lieben. Hier übertragen auf das Eins werden von Gott und Mensch. Die Sehnsucht, einmal Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen, findet Ausdruck im Psalm 27: „Mein Herz denkt an dein Wort: Sucht mein Angesicht! Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. Verbirg dein Angesicht nicht vor mir!“ In einem anderen Psalm betet jemand mit sehnsüchtigem Herzen: „Wie der Hirsch lechzt nach frischen Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?“ (Ps 42,2f.).
Alfons Jestl (1998)