Lesung aus der Apostelgeschichte.
Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war,
waren alle zusammen am selben Ort.
Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen,
wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt,
und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer,
die sich verteilten;
auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.
Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt
und begannen, in anderen Sprachen zu reden,
wie es der Geist ihnen eingab.
In Jerusalem aber wohnten Juden,
fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.
Als sich das Getöse erhob,
strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt;
denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.
Sie waren fassungslos vor Staunen
und sagten:
Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?
Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören:
Parther, Meder und Elamiter,
Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien,
von Pontus und der Provinz Asien,
von Phrygien und Pamphylien,
von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin,
auch die Römer, die sich hier aufhalten,
Juden und Proselyten,
Kreter und Araber -
wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.
Aus allen Ländern versammeln sich Menschen am Pfingsttag, zum Wochenfest, in Jerusalem. Dieses Schawuot-Fest war im Judentum ein Erntefest, wurde dann im Spätjudentum als Bundeserneuerungsfest und im Zusammenhang mit den Gedächtnisfeiern zur Gesetzgebung am Sinai begangen. Es ist anzunehmen, dass es sich bei den "fremden Sprachen” (2,4) nicht um die Muttersprachen der Fremden handelt, sondern eher um Glossolalie (Zungenrede) - vielleicht in fremden Sprachen. Als Quellen des Pfingstberichtes wird zum einen 1 Kor 12,3.10 (Apg 2 ist der Ausbruch der Ankündigung von 1 Kor) und weitere Berichte über Sprachenwunder angenommen.
In diesem Bericht wird dann schon ein Problem leise angedeutet, was dann später im Apostelkonzil noch zum Tragen kommen soll: Wer ist Empfänger des Heiligen Geistes? - Der Pfingstbericht erzählt, dass alle ohne Unterschied den Geist empfingen - später werden sich die Apostel streiten, ob, wer Christ werden will, zunächst Jude werden muss.
Die Schilderung des Pfingstereignisses ist in der Apostelgeschichte bedeutungsvoll allen anderen Berichten vom Wirken des Heiligen Geistes vorangestellt. Auch der feierliche Ton, in dem die Schilderung gehalten ist, weist auf die Bedeutung des Ereignisses hin. Es soll ein Geschehen von geschichtsmächtigem Charakter dargestellt werden. Die Herabkunft des Heiligen Geistes bewirkt, dass die Gemeinde Jesu in die Weltgeschichte eintritt und das Evangelium allen Völkern verkündet.
Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte, schildert den Vorgang in den Farben alttestamentlicher Gotteserscheinungen. Seine Erzählung trägt Anklänge an Ex 19,16-19 und 1 Kön 19,11f. Zugleich hat das erzählte Geschehen Erfüllungscharakter. Es erfüllt sich, was beispielsweise in Joel 3,1-5 prophetisch verheißen wurde und was auch Jesus angekündigt hat (vgl. die johanneischen Abschiedreden oder Apg 1,8). Der Beginn der Perikope heißt wörtlich übersetzt: "Als sich der Pfingsttag erfüllte …".
Mit dem Reden in fremden Sprachen, welches die versammelten Jünger erfüllte, ist vermutlich das Phänomen der Glossolalie gemeint. Dabei handelt es sich um jene ekstatischen Zungenrede, wie sie später auch aus der Gemeinde von Korinth bekannt ist (vgl. 1 Kor 12-14). Von dem merkwürdigen Verhalten der Geistträger angelockt oder aufgeschreckt, kommt es in Jerusalem zu einem Volksauflauf. In der Menge befinden sich auch Diasporajuden aus unterschiedlichen Sprachen und Völkern. Mit ihrer Erwähnung wird auf den universalen Zug des Geschehens nachdrücklich hingewiesen. Die als Völkerliste angelegte Aufzählung von Juden aus unterschiedlichen geographischen Bereichen verweist auf das kommende missionarische Wirken der Jesusjünger über den engen Bereich von Palästina hinaus.
Die Lesung trägt das Pfingstereignis aus der Apostelgeschichte vor. Die Apostelgeschichte enthält den einzigen ausdrücklichen und ausführlichen Bericht darüber. Was sich zum Pfingstfest in Jerusalem ereignete, ist die Erfahrung der Christen der ersten Generation: Die Ausgießung des Geistes Gottes über alle, die Jesus nachfolgen. Diese Erfahrung wird in unserem Text durch symbolträchtige Phänomene hörbar und sichtbar: das Brausen, das einem Sturm gleicht, und die Feuerzungen, welche das Sprachenwunder sichtbar machen, und schließlich das unerwartete öffentliche Auftreten der Jünger.
Das Pfingstfest wurde von den Juden fünfzig Tage nach dem Paschafest (Ostern) gefeiert. Es war ursprünglich ein Erntedankfest und wurde auch als Gedächtnis der Gesetzgebung auf dem Sinai begangen. Nach einer jüdischen Legende über die Gesetzgebung am Sinai hat sich die Stimme Gottes in die 70 Sprachen der Völker verteilt, sodaß jedes Volk die 10 Gebote in seiner Sprache vernahm.
Lukas greift dieses Motiv auf und fügt in seine Erzählung eine Völkerliste ein. Ursprünglich dürfte es sich um zwölf Völker gehandelt haben. Die in Jerusalem anwesenden Vertreter dieser Völker sind jedoch Juden. Man kann an heimgekehrte Diasporajuden denken. Die Öffnung den Heidenvölkern gegenüber findet nach Lukas erst später statt.
In der erneuerten katholischen Liturgie ist das Pfingstfest wieder fest mit dem Osterfestkreis verbunden. Ostern dauert demnach 7 Wochen. Die Auferstehung und die Ausgießung des Geistes Gottes gehören zusammen.
Martin Stewen (2011)
Martin Leitgöb (2004)
Hans Hütter (1996)