Die kleine Herde
Ich will heute eine sommerlich leichte Predigt halten. Ohne viel Gepäck – ohne zu viel Leute im Schlepptau. Einfach lostigern! Kein großes Hin und Her! Keine Flausen im Kopf!
Ob das wohl geht? Eine kleine Herde kann schlagkräftig sein, schnell, beweglich. Jeder kennt jeden. Alle ziehen an einem Strang. Eigentlich ideal. Ideal unterwegs. Ein gemeinsames Ziel! Ein Weg! Ein Lachen!
Ob Lukas mit uns jetzt übereinstimmt? Uns die Worte in den Mund legt? Wenn ich an kleine Herde denke, denke ich – meistens – an abnehmende Zahlen: Weniger Kirchen, weniger Glaubende, weniger Geld, weniger Bedeutung. Und dann ist die gute Stimmung schnell dahin. Oder auch nicht. Aber alles andere als sommerlich leicht. Eher dunkel getönt. Fast herbstlich. Wie bei Regenwetter im Sommer.
Ich möchte aber eine sommerlich leichte Predigt halten! Und Lukas schaut mal kurz bei uns vorbei – und macht es uns leicht!
"Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben!" Es ist, als ob uns ein Testament eröffnet wird. Mein letzter Wille – oder so. Wir erben das Reich! Wir erben das Reich Gottes! Wir sind Königskinder, Gotteskinder! In der Zeitung steht das nicht. Es würde sich auch kaum jemand trauen, so etwas in die Welt zu setzen.
Wenn das Thema Kirche kommt – oder das Thema Glauben – sind viele Menschen eher peinlich berührt. Oder wissen nichts zu sagen. Es ist nicht modern, nicht hipp, Liebe zu Christus, zu Gott, zu der Kirche öffentlich zu machen. Selbst im kleinen Raum nicht. Wenn es doch geschieht, ergeben sich immer tolle Gespräche. Kein Grund, sich zu schämen! Schließlich backen wir Menschen, kleine Brötchen – oder große Brötchen! Aber die kleine Herde geistert durch die Köpfe.
Ob das was mit der sommerlich leichten Predigt wird?
Erben des Reiches
Zuerst einmal: Der Evangelist entpuppt sich als richtiger Seelsorger. Statistiken kennt er nicht, braucht er auch nicht. Als Zeitgenosse beobachtet er. Er geht einfach ein Stück mit uns. Lukas hört zu. Sein Kennzeichen: große Ohren. Was er wahrnimmt, ist, dass die Christen sich tatsächlich als kleine Herde fühlen. Sie liegen nicht im Trend. Aber sie haben einen großen Glauben. Der Versuchung, immer nur auf sich zu schauen, erliegen sie nicht. Ein anderer spricht für sie, steht für sie ein, führt sie. Eigentlich ein schönes Bild: kleine Herde. Im Hintergrund ist auch der Hirte zu sehen. Auch wenn von ihm nur andeutungsweise die Rede ist. Es reicht, alle Blicke auf die kleine Herde zu richten!
Ich erzähle das jetzt so, als ob zwischen Lukas und uns überhaupt keine Distanz wäre. Jahrhunderte überspringen wir. Auch die Jahrhunderte, in denen die Kirche groß und mächtig wurde, leider nicht zu ihrem Segen. Machthaber wurden geboren und in die Ornate gesteckt! Der Allherrscher wurde in die Kuppeln gemalt – versteckte aber nur den Anspruch des Kaisers. Des allerchristlichsten. Und nicht zuletzt: der Glaube wurde mit dem Schwert nicht nur verteidigt, er wurde mit dem Schwert als „alleinseligmachender“ Menschen aufgezwungen. Jetzt schauen wir zurück: auf große Meisterwerke der Kunst, auf große Werke der Literatur, auf ein christliches Abendland, aber auch auf Unterdrückung, Kolonialismus und Machtmissbrauch.
Dass die Kirche für viele Menschen, weltweit, ein Zeichen der Hoffnung ist, erscheint mir manchmal wie ein Wunder. Das Wunder einer kleinen Herde! Das Wunder einer großen Liebe. Die machtvollen Instanzen der Macht sind uns als Krücken genommen. Nicht einmal als Volkskirche können wir uns noch sonnen. Aber das Wesentliche wird sichtbar, hörbar, heute: "Euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben." Wenn wir leer sind, wird uns die Fülle geschenkt. Wenn wir klein sind, werden wir groß gemacht. Wenn uns die Worte ausgehen, wachsen uns Flügel zu.
Auf Größe, Bedeutung, Prestige und Geld ruht der Blick nicht. Von Anfang an: nicht! Verstehe ich Lukas richtig? Er hält eine Lob-, eine Dankrede auf die kleine Herde – und die große Sehnsucht, den großen Glauben, den großen Himmel. Auf die kleine Herde? Lukas korrigiert: für die kleine Herde! Für!
Handgepäck
Zuerst einmal: Der Evangelist entpuppt sich als richtiger Seelsorger. Er versteht etwas von uns – und das ist nicht wenig. Wo wir doch komplizierte Menschen sind und manches gar nicht kompliziert genug machen können. Aber – wenn schon sommerlich leicht, dann auch mit wenig Gepäck. Wir wollen einmal weniger schleppen als sonst!
Wie hört sich das jetzt an? "Verkauft eure Habe, und gebt den Erlös den Armen! Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz."
Ich weiß – und manchmal habe ich auch Angst davor: Viele Stellen im Evangelium spülen wir weich, nehmen ihnen die Spitze, berauben sie ihrer Weite. Dabei schenken sie uns nicht nur den Blick auf die Armen, sie zeigen uns auch, wie gebunden und festgehalten wir sind. Was Lukas Habe nennt, nennen wir Besitz – und rennen ihm hinterher. Manchmal lassen wir uns sogar blenden – und haben am Ende doch nichts als den schönen Schein. Einen Schatz, der nicht abnimmt, der im Himmel angelegt ist - den brauchen wir! Was könnte das sein? Was findet kein Dieb, was frisst keine Motte? Raten wir einmal – Lukas legt viele Spuren! Ist es die Liebe? Ist es der Glaube? Die Hoffnung? Unsere Worte kommen vielleicht nicht mit. Unsere Vorstellungen auch nicht. Aber es ist die Welt Gottes, die sich hier auftut. Oder sollen wir es einmal von der Seite sehen? Verliebte nennen sich »Schatz!« »Mein Schatz!« Was, wenn das auch die Kurzform eines Glaubensbekenntnisses ist? Gott: Schatz! Christus: Schatz! Kirche: Schatz! Mein Schatz! Manchmal setzen wir Worte neu zusammen und alles, alles, hört sich neu an!
Heimat
Lesen wir – und dann ist es auch genug – in einem Brief. Er heißt Hebräerbrief und ist eigentlich ein unbekannter unter den Briefen des Neuen Testaments. Dabei erzählt, erinnert er menschliche Geschichten, die von Aufbruch, von Neuanfang, von Hoffnung geprägt sind. Wir können unsere Namen da getrost einsetzen oder mit in die Reihe nehmen, die von Abraham, Isaak, Jakob und Sarah erzählen. Was wissen wir eigentlich von ihnen? Dass sie alt sind, vergangen, überholt? Diese Einsicht wäre nicht gut. Sie verheißt für uns nichts Gutes. Außer, dass wir alt werden, vergehen und überholt werden. Nein: sie – und wir – suchen eine Heimat. Eine Heimat, die mehr ist als Haus und Hof, Wohnung und Garten. Zu fromm? Wir suchen Gott! Wir suchen das Reich, sein Reich. Das ist noch einmal ein anderer Blick auf das Evangelium. Wo wir doch Erben sind. Und auf der Suche!
Darum schämt sich Gott unser nicht,
er schämt sich nicht, unser Gott genannt zu werden;
denn er hat für uns eine Stadt vorbereitet.
Dass ich ein paar Worte geändert habe, haben Sie bemerkt? Ich habe den Satz, der für die anderen – Abraham, Isaak, Jakob, Sarah – gedacht war, auf uns gemünzt – und dabei nicht gelogen! Wo „ihrer“ stand, stehen „wir“.
Ob es eine sommerlich leichte Predigt geworden ist? Ich kann mich daran freuen, dass wir als kleine Herde gut geführt sind, mit leichtem Gepäck unterwegs und mit dem Evangelium im Rucksack. Kein schlechter Gedanke: wir sind als Erben einer großen Verheißung auf dem Weg. Uns bleibt nur die Bitte: Dein Reich komme!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.