Damit der Himmel offen bleibt...
Im Frankfurter Flughafengebäude konnte man vor einigen Jahren auf der Absperrwand einer Baustelle lesen: „Damit für Sie der Himmel offen bleibt, haben wir auf Erden viel zu tun: Ihre Lufthansa!“
Dieser Slogan eröffnet mir einen Zugang zu dem heutigen Fest des Heiligsten Erlösers: Damit der Gottes-Horizont offen bleibt, hat Jesus auf der Erde alles getan.
Erlöst sein heißt, im Glauben an Jesus Christus zum Glauben an Gott befreit zu sein. Und unsere Aufgabe als Christen ist es, die Sehnsucht der Menschen nach dem Himmel, nach Gott aufzuspüren, die Glut der Asche freizulegen und zu entfachen, die indirekten oder direkten Fragen nach Gott zu hören und zu verstehen und darauf die Antwort zu geben, das heißt die Antwort zu leben, so wie sie Jesus gelebt hat.
Krise des Fortschrittsglaubens
Die geistige Situation unserer Zeit ist der Frage nach Gott und der Antwort der Christen darauf keineswegs derart verschlossen wie einige meinen. Die zu Ende gedachte und gelebte Aufklärung und Ver-Weltlichung des 20. Jahrhundert haben ja keineswegs ihre Versprechungen einer neuen, schönen Welt und einer glücklichen Menschheit eingelöst. Die Krise des Fortschrittsglaubens ist ja durch die Entdeckungen des Mikrokosmos der Bausteine des Lebens und der Möglichkeit ihrer Beeinflussung keineswegs überwunden, sondern im Gegenteil ist diese Krise noch verschärft.
Die Frage: Dürfen wir in der Forschung alles tun, was wir können? Diese Frage stellt uns in neuer Dringlichkeit vor die Verantwortung für das Leben des einzelnen von seinem Beginn bis zu seinem Ende; und damit stellt sich unausweichlich die Frage nach dem, den wir Gott nennen. Erlöst sein bedeutet für uns Christen: Befreit zu sein von der Angst, von Menschen manipuliert zu werden, dem Menschen absolut ausgeliefert zu sein. Und Christen haben hier als Erlöste die Aufgabe, sich dafür einzusetzen, dass alles Tun am Menschen vor Gott, dem alleinigen Herrn über Leben und Tod, zu verantworten ist. Erlöst sein, bedeutet befreit zu sein vor der Angst, „in die Hände des Menschen zu fallen“, weil jeder absolut geborgen ist in Gott.
Die über hundertjährige marxistisch-leninistische Vision einer vollkommenen und endgültig befriedeten Gesellschaft ohne jede Transzendenz, ohne einen Glauben an Gott ist zusammengebrochen. Das müsste uns ermutigen, mit mehr Zuversicht gegen alle sich ausbreitende Resignation den Gott Jesu Christi durch unser Leben glaubwürdig zu bezeugen:
Als den Gott des Lebens, den Gott der Güte und Menschenfreundlichkeit – im Leben miteinander und füreinander in verantworteter Freiheit, die ihre Wahrheit in der Treue erweist; in kritischer Reaktion auf alle Versuche und Verheißungen, die angeblich vollkommene, weltweite Gesellschaft hier auf Erden schon herbeizwingen zu können.
Christus hat uns befreit aus der Unfreiheit einer in sich verschlossenen Welt
Den Himmel, den „Gottes-Horizont“ endgültig zu öffnen, dazu ist Jesus Christus gekommen, dazu hat er uns befreit aus der Unfreiheit einer in sich verschlossenen Welt, einer geschlossenen Gesellschaft, eines sinnlosen Wartens auf einen nie kommenden menschlichen Erlöser.
Wir Christen sind erlöst vom Zwang, von der Versklavung, uns selbst rechtfertigen zu müssen vor uns selbst und vor dem anderen, uns rechfertigen zu müssen für eine endgültig gute Zukunft. Vom Zwang dieser Selbst-Rechtfertigung sind wir befreit. Von welch tödlicher Überforderung sind wir durch Jesus Christus, sind wir im Glauben an ihn erlöst!
„Damit uns der Himmel offen bleibt“, deswegen hat Jesus Christus mit uns gelebt, ist an uns gestorben und hält nun in der Herrlichkeit Gottes endgültig den Himmel, endgültig Gott offen für uns. Dies ist keine weltabgewandte, den Menschen vergessende, religiöse Schwärmerei, sondern gerade dieser Glaube verpflichtet uns; Gott als den Gott des Lebens mitten in unserer vom Tod bedrohten Welt zu bezeugen.
Wertschätzung des Lebens
Ist nicht auch und gerade in unserer gegenwärtigen Gesellschaft eine zunehmende Entwertung des Lebens zu beobachten, des fremden Lebens, aber auch des eigenen Lebens. Ich zitiere den Erfurter Bischof Joachim Wanke: „Wir tolerieren die Toten und Verletzten im Straßenverkehr; die Leben zerstörenden Suchtabhängigkeiten nehmen zu; Lebensgefährdung wird um ihrer selbst willen als Nervenkitzel gesucht; die Abtreibungspraxis wird akzeptiert, über die Möglichkeit der Euthanasie offen diskutiert, und zum Teil wird sie schon praktiziert; menschliche Nöte und Grenzerfahrungen werden im sogenannten reality-TV vermarktet; brutale Gewalt ist zunehmend mitten unter uns allgegenwärtig.
Lebensqualität
Das Menschenbild unserer Fernsehreklame macht es deutlich:
Lebensqualität wird gemessen an den Konsum- und Genussmöglichkeiten, Menschliches Leben auf der Schattenseite gerät zunehmend unter Legitimitäts-druck: Warum bist du nicht stark und gesund? Vielleicht bist du gar selbst daran schuld? Für manche Mitbürger wird diese Angst schon sehr konkret, nicht mehr erwünscht, nicht mehr daseinsberechtigt zu sein. Eine Verlängerung dieser Liste von Todeszeichen in unserer Gesellschaft wäre leicht möglich.“ So weit der Erfurter Bischof. (in Gul. Heft 3, 2000, S. 199)
Sicher, kann man hier, Gott sei Dank, auch viele notwenige Gegenreaktionen, und nicht zuletzt von Christen in unserer Zeit benennen. Aber gerade um die Notwendigkeit der Reaktionen des Lebens auf die Todeszeichen unserer Zeit herauszuheben, muss auf die von vielen einfach nur hingenommene Wirklichkeit, gerade in ihren dunklen Seiten, hingewiesen werden.
Es fällt mir immer schwerer, nur die Inhalte unseres Glaubens zu benennen, manchmal nimmt das bei einigen Verkündigern geradezu die Form magischer Beschwörungen an, ohne die konkrete Lebens-, sprich Alltagswirklichkeit wahr und ernst zu nehmen.
Redemptoristen – Zeugen des „offenen Himmels“
Wir Redemptoristen feiern heute das Fest des Heiligsten Erlösers, als unser Namensfest, als Fest aller Christen: Wir glauben, und wir sind bemüht, diesen Glauben durch unsere Seelsorge und durch unser Leben auch – hoffentlich in etwa glaubwürdig zu bezeugen, unseren gemeinsamen Glauben an den durch Jesus Christus „offenen Himmel“, an den in Jesus Christus uns nahen und heilend liebenden Gott, auch und gerade in seiner bleibenden Unbegreiflichkeit.
Jesus Christus hat uns, wortwörtlich begreiflich gemacht, dass Gott ein Gott des Lebens ist, nicht nur allgemein, sondern konkret im Leben eines jeden Lebewesens, eines jeden einzelnen der zur Zeit ca. 6 Milliarden Menschen. So sehr hat Gott die Welt, unsere Welt, geliebt, dass er seinen einzigen Sohn, also sich selbst in seiner göttlichen Beziehung zu seinem ihm eigenen Gegenüber, hingab in unsere Welt, an uns hineingab, hineingab bis in den Tod, damit jeder einzelne von uns das „ewige Leben“, Leben gegen unsere Todesverfallenheit, Leben im Tod – in nie endender Erfüllung habe. In Jesus Christus, in unserem Glauben in ihn, sind wir endgültig zum Leben befreit, sind wir erlöst.
Diesen Glauben durch das Leben bezeugen
Dieses heutige Fest feiern, bedeutet, wie es der Sinn eines jeden Festes ist, das Leben zu feiern. Wir Christen glauben, und wissen uns in unserem Leben dazu befreit, diesen Glauben durch unser Leben zu bezeugen.
Das ist für jeden einzelnen ein Geschenk Gottes, und zwar ein durch und durch gutes Geschenk unabhängig vom Leistungsvermögen oder der mehr oder weniger gelungenen Selbstverwirklichung des einzelnen Menschen. Die Annahme meines Lebens, mit meiner Lebensgeschichte in allen damit gegebenen Licht- und Schattenseiten, mit allen erlittenen Grenzen und mit seiner letzten Grenze der des Todes, diese Annahme ist mir nur möglich im Glauben an Jesus Christus, und diese ureigene Lebensannahme ist die einzige von Gott erwartete Grund-Tat des Menschen, weil Gott als Gott der Liebe der Gott des absoluten Lebens ist. Diese Grund-Tat des Menschen ist die Antwort der Liebe des Menschen auf die Liebe Gottes.
Zum Abschluss dieser Verkündigung des Erlösers, Jesus Christus, und als Übergang zur zeichenhaften wirkmächtigen Erinnerung an seinen Tod und seine Auferstehung, worin wir erlöst sind zum Leben, ein Text des niederländischen Theologen und Dichters Huub Osterhuis:
Wir haben ein Ziel, das vorausliegt,
wir spielen uns ein auf deine Zukunft,
sagen und sind:
Alles ist gut, was Du gemacht hast.
Mühselig, langsam, in Hoffnung und Furcht
gestalten wir Deine Verheißung aus,
bauen wir an der Stadt des Friedens, an der neuen Schöpfung,
wo Du uns Licht bist, alle in allem.
Gib uns die Kraft dazu, bring uns an ein glückliches Ende – Gott.
Martin Leitgöb (2004)