Die erste Kerze
Heute haben wir die 1. Kerze angezündet. Es ist 1. Advent. Eine schöne Zeit liegt vor uns, reich an Gerüchen und Liedern. Weihnachtsmärkte laden ein. Viele von uns freuen sich auf den Glühwein, auf die kleine Verabredung am Abend, auf die Stimmung in der kleinen Lichterstadt in der Nacht. Dass heute auch ein neues Kirchenjahr beginnt, könnte fast untergehen. „Wir sagen euch an, den lieben Advent“ – singen wir. Tore und Türen gehen auf. Eine alte Melodie: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Eine frohe Erwartung liegt in der Luft. „Es kommt ein Schiff geladen“. Es ist, als ob wir am Strand stehen und den Horizont absuchen … Seht! Mit den Worten Jochen Kleppers: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“...
Die Adventslieder singen von einer großen Hoffnung. Sie sind besinnlich, aber auch kämpferisch, sie erzählen von den Erfahrungen der Nacht, aber auch von dem anbrechenden Morgen. Die Adventszeit braucht Lieder, alte und neue. Heute werden wir auch mit dem neuen Gotteslob beschenkt. Heute halten wir ein neues Gebet- und Gesangbuch in Händen. Zum ersten Mal. Viele Gemeinden, viele Kirchgänger müssen leider noch warten, weil Papier- und Druckqualität zu wünschen übrig ließen. Aber singen können wir – singen müssen wir. Von einer großen Hoffnung.
Kommt, wir ziehen hinauf
Von der Hoffnung weiß der Prophet Jesaja viel zu sagen, so viel, dass er den Mund mehr als voll nimmt. Sein Mund läuft förmlich über. Haben Sie noch im Ohr? „Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum des Gottes Jakobs“. Aufbruch liegt in der Luft! Ich rieche das regelrecht. Es ist, als ob die Welt in Bewegung gerät. Endlich. So vieles liegt im Argen, ist verbraucht, will nicht mehr auf die Beine. Klein gemachte Menschen, unterdrückte Völker, aufgehetzte Stimmungen – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Dass ich nicht fertig werde, fürchte ich sowieso.
Was Jesaja sieht, gleicht einem Traum aus dem Himmel: Gott spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Die Krönung: Menschen üben nicht mehr für den Krieg – sie üben Frieden. Die Frage, wie realistisch das ist, müssen wir nicht stellen – es ist realistisch! Vor gar nicht so vielen Jahren haben wir gesehen und gehört, wie Menschen aus unserer Mitte skandierten: Schwerter zu Pflugscharen – danach fiel eine Mauer. Die Mauer. Von einer großen Hoffnung singen heißt, sich nicht länger einmauern zu lassen – und wenn es nur die Mauer von Vorurteilen, Ängsten und Befürchtungen sind. Kommt, wie ziehen hinauf!
Aufstehen vom Schlaf
Der Apostel Paulus – wir hörten von ihm in der zweiten Lesung – schreibt der kleinen christlichen Gemeinde in der Weltstadt Rom (die sich für den Nabel der Welt hält), wie eine Hoffnung anfängt. Doch, auch Hoffnung muss anfangen. Sie fällt nicht vom Himmel, sie liegt nicht auf der Straße, sie ist bei Ebay nicht zu ersteigern. Hoffnung beginnt mit dem – Aufstehen. Das ist ein mutiger Akt. Paulus denkt an die Nacht, die wir zurücklassen. Bewusst, gewollt, gewagt. Seine Begründung: Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe! Der Tag! Schon für die Propheten war „der Tag“ ein Ausdruck dafür, dass Gott kommt – „der Tag“ ist sein „Tag“. Sein Morgen. Seine Zukunft. Auch sein Gericht. Jetzt gilt es, die Nacht hinter sich zu lassen. Aufstehen. Sich anziehen. Nicht mit den Alltagsklamotten. Mit dem Festgewand. „Legt als neues Gewand den Herrn Jesus Christus an“. Es ist auch ein Bild für die Taufe. Eine Erinnerung. Ein Versprechen. Ich gehöre zu ihm – er gehört zu mir. Wir gehen jetzt gemeinsam. Ohne dass Paulus das sagen muss: Jesus hat die Finsternis mit seiner Liebe hell gemacht. Den Streit und die Eifersucht auch. Wir können aus dem Bann des Bösen heraustreten. Alles, was uns gefangen nimmt, hält uns nicht. Von einer großen Hoffnung singen heißt, mit anderen in dem Licht glücklich zu sein, dass uns mit Wahrheit und Liebe beseelt. Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf.
Wachsam
Der größte Feind der Hoffnung ist die Müdigkeit, der Schlaf. Wir Menschen, auch wir Christen, werden müde. Wir merken das, wir beschreiben das. Beklagen oder bedauern müssen wir das nicht. Wir legen es in Gottes Hand. Auch Christen können hart sein, hart gegen sich selbst. Dann bekommt das Schuldgefühl das letzte Wort – und macht alles klein, was wir machen. Auf dem ersten Blick scheint sogar unser Evangelium aus der Feder des Matthäus diesen unerbittlichen Ton anzuschlagen. Seid also wachsam! Bedenkt! Haltet euch bereit! Ein Ausruf nach dem anderen. Bedrängend. Geradezu angstmachend. Der Tag Gottes wird sogar mit einem Dieb verglichen, der einfach – einbricht. Ich bin fassungslos und bestürzt. So viele apokalyptische Züge! Ich bitte aber um Mut, Verständnis, Vertrauen.
Hinter der harten Schale, die uns das Evangelium zeigt, verbirgt sich ein Kleinod: Jesus kommt. Keine Frage: Er kommt! Er wird als Menschensohn bezeichnet – ganz nach der Art der alten Verheißung. Er ist einer von uns – und dann doch ganz mit der Herrlichkeit und Schönheit Gottes bekleidet. Auf ihn kann ich schauen, mich an ihm halten, mich ihm anvertrauen. Dass Jesus zu einer Zeit kommt, in der ich ihn nicht erwarte, überrascht mich nicht. Ob Matthäus gedacht hat, ich wüsste, ich ahnte es nicht? Aber ich soll – endlich – mit ihm rechnen. In immer neuen Wendungen wird mir das an’s Herz gelegt. Er ist der Herr.
Im Evangelium wird müden Menschen eine Hoffnung geschenkt. Wir haben das Heil der Welt nicht in Händen. Unsere Verantwortung bleibt nur menschlich. Wir können nur tragen, was in unsere Hände passt. Aber: Er kommt: Er hat das letzte Wort. So, wie er auch das erste hatte. „Es werde Licht“ – und: siehe, es ward Licht. Von der Hoffnung singen heißt, nicht kleine Brötchen zu backen, sondern es mit Tod und Teufel aufzunehmen. Können wir etwas anderes sein als – wachsam? Wach sind kleine Menschen sehr groß! Wir reden nicht von Zwergen – wir reden von Riesen!
Erster Advent
Heute haben wir die erste Kerze angezündet. Es ist 1. Advent. Eine schöne Zeit liegt vor uns. Mit vielen kleinen und großen Hoffnungsgeschichten. Mit Leckereien für die Seele. Mit dem Geschmack des Lebens auf der Zunge. Diese Geschichten fallen uns nicht immer gleich ein, manchmal verstecken sie sich auch hinter angeschlagenen Mienen. Aber wir sollten sie erzählen, ihnen eine Gelegenheit geben, anderen Mut zu machen. Jede, jeder von uns hat viel zu sagen!
Dann freut sich Jesaja: Kommt, wie ziehen hinauf!
Dann freut sich Paulus: Stehen wir doch auf!
Dann freut sich Jesus: Ihr erwartet mich!
Wir freuen uns auch: Für eine neue Geschichte sind wir nicht zu alt.
Es ist 1. Advent. Ein bescheidener Anfang. Eine zweite, dritte, vierte Kerze wird sich dazu gesellen. Das Licht wächst. Danach können wir von einem Kind singen, das alle Welt erhält und trägt. So heißt es in einem Weihnachtslied.
Das neue Gotteslob wird uns helfen, von einer großen Hoffnung zu singen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.