Heilige Orte
Es ist mir noch wohltuend in Erinnerung, wie ich in Lourdes den heiligen Bezirk erlebte. Die beeindruckende Krankensegnung, wo ich jedes Gebet über Lautsprecher bestens mit verfolgen konnte. Gruppen, die auf je ihre Weise den Kreuzweg beteten und vor allem die stille und von Gebet angereicherte Atmosphäre an der Erscheinungsgrotte. Noch nach Jahren erzählten einzelne Pilgerinnen und Pilger von der Gnadenstunde, die sie nach Mitternacht vor der Madonna ungestört im Gebet verbringen durften. In Lourdes ist es gelungen, vom heiligen Bezirk den Verkaufstrubel, die Getränke- und Essensbuden sowie das Bettelunwesen fernzuhalten. Das dankbare und flehende Beten so Vieler aus aller Herrenländer steckt an, dringt näher zum Herzen und entwickelt heilende Kräfte.
Eigentlich müssten solche Erfahrungen auch ohne Lourdes möglich sein, und auch öfter im Laufe des Jahres, wenn ich mich bemühe, im Alltag für mich wenigstens einen kleinen heiligen Bezirk zu schaffen.
Zu sich finden durch Stille
Die Londoner Kommunikationswissenschaftlerin Felicity Mellor erklärte vor Jahren: „Der Zwang zum Dauerreden, Diskutieren und massenhaften Veröffentlichen lähmt inzwischen die Wissenschaften. Natürlich brauchen Forscher Austausch. Aber sie haben kaum noch Zeit, das Gesagte zu verdauen. Eine Publikation jagt die nächste. Große Ideen sind immer in der Zurückgezogenheit entstanden. Einstein und Darwin galten als stille Charaktere. Newton veröffentlichte nur sehr widerwillig. Die bedeutendsten und originellsten Ideen werden meistens abseits der Betriebsamkeit geboren.“
Um nicht auszuleiern, ist es notwendig, dass sich der Mensch in eine gewisse Einsamkeit einübt. Das bewahrt vor leeren Worten und erleichtert es, ein neues Verhältnis zu Gott, den Mitmenschen und den Dingen zu finden. Im Schweigen der Einsamkeit kehren die umherschweifenden Gedanken zu dem zurück, was wichtig und vorrangig ist.
Heiligung des Sonntags
In der heutigen Lesung hörten wir von den zehn Geboten. Jahrhundertelange Erfahrungen sind hier gebündelt. Die zehn Gebote sind die Vorfahren der Menschenrechte. Wer sich um sie bemüht, baut mit an einer guten Zukunft. Auffallend ausführlich wird der 7. Tag als geheiligte Zeit geschildert, weil es allzu leicht passiert, dass Gott und die Grundwerte unseres Lebens aus dem Blick geraten.
Auf uns bezogen heißt das: Wir brauchen den Sonntag, um in Betriebsamkeit und Hetze einen Ausgleich zu finden. Unsere Arbeit wird gezielter und gediegener, wenn es wöchentlich möglich ist, uns Abstand zu verschaffen und Überblick zu gewinnen. Diese Lebensqualität möchte der christliche Sonntag fördern. Wo das religiöse Leben im Alltag abnimmt, ist der vom Glauben geformte Sonntag umso nötiger. So wie die Händler und Geldwechsler es den Tempel-Wallfahrern schwerer machten, sich auf Gott zu konzentrieren, so behindern heute verkaufsoffene Sonntage und Beschäftigungen, die in die Arbeitswoche gehören, das zu sich selbst Finden und ein Vorankommen auf dem Weg zu Gott.
Zu sich finden durch christliche Feste
Ich kenne keine zweite Stelle in den Evangelien, wo Jesus so zornig wird wie bei der Tempelreinigung. Das Haus des Gebetes verkommt zur Räuberhöhle. Die selten gewordenen heiligen Orte werden von Lärm und Betriebsamkeit gefährdet. Wir werden uns selber immer fremder und oberflächlicher, wo wir Wichtigeres, als wir selber sind, nicht mehr an uns heranlassen, wo uns nichts mehr in Frage stellen und verändern darf.
Das Weihnachtsfest z.B. hinterlässt dort innere Leere, wo man bei köstlicheren Mahlzeiten, bei Schmuck und Festtagsliedern steckengeblieben ist. Auch Ostern wird enttäuschen, wenn wir in der Fastenzeit kein Wort Jesu in uns eindringen lassen und weder die Palmbuschen noch das Osterei den biblischen Hintergrund näherbringen.
Gott zu uns sprechen lassen
Mutter Teresa verteidigt das Vorgehen Jesu, wenn sie betont: Es ist nicht wesentlich, was wir sagen, sondern was Gott uns sagt und durch uns sagen will. In der Stille wird Jesus zu unserem Herzen sprechen. Die innere Stille ist schwer, aber wir müssen uns Mühe geben zu beten. In dieser Stille werden wir neue Kräfte und eine wirkliche Einheit finden. Es geht um das Einswerden unserer Gedanken mit seinen Gedanken, das Einswerden unserer Gebete mit seinen Gebeten, das Einswerden unserer Handlungen mit seinen Handlungen... Alle unsere Worte werden nutzlos sein, wenn sie nicht aus der Tiefe des Herzens kommen. Worte, die nicht das Licht Christi ausstrahlen, vermehren die Dunkelheit.
Der Theologe Wunibald Müller, der auch als Psychotherapeut tätig war, erzählt von einem idyllischen Plätzchen, das seiner Seele guttut. Erst nach zwanzig Jahren ist ihm aufgegangen, was dieser Schatz für ihn bedeutet. Er schreibt dazu: „Viele, viele Kilometer habe ich zurückgelegt und zahlreiche Enttäuschungen durchgemacht. Inzwischen weiß ich, dass ich meinen Schatz nur finde, wenn ich - bildlich gesprochen - unter meinem eigenen Haus nach ihm grabe. Je weiter ich von mir weggehe, desto mehr entferne ich mich von meinem Schatz. Das ist das Geheimnis der Menschen, die zufrieden und erfüllt ihren Alltag leben... Sie reiben sich nicht auf, verzetteln sich nicht im vergeblichen Bemühen, ihn anderswo zu finden.“
Es gibt heute mehr Möglichkeiten, sich zu zerstreuen, sich ablenken zu lassen und sich durch Dutzende von Medien vollstopfen zu lassen. Hier gegenzusteuern ist eine Kunst. Mit der Tempelreinigung macht Jesus aufmerksam, sich das Heilige nicht zuschütten zu lassen. Erhaltet euch Orte der Stille, wo man sich ungestört niederlassen kann. Haltet den Sonntag heilig, damit dieser freie Tag euch heiligen kann. Schätzt Gnadenorte, wo Glaube mehr gespürt wird. Habt Mut, euch selbst und eurem Lebensziel nicht davonzulaufen. Nützt die Gelegenheiten, eure Arbeiten und euer Planen auf Gott hin durchsichtiger zu machen.