Von hinten nach vorne oder von vorne nach hinten?
Manche Zeitungen kann man auch gut von hinten nach vorne lesen, je nach Interessenslage. Es soll auch Bücherleser geben, die mit den letzten Seiten des Buches nicht warten, bis sie durch sind, sondern schon vorher wissen möchten, wie ihr Buch endet.
Beim Bibellesen kann man beginnen, wo man möchte. Aus meiner eigenen Erfahrung möchte ich weder empfehlen, bei den letzten Seiten im Buch der Offenbarungen des Johannes zu beginnen, noch bei den ersten Büchern der Bibel. Die Offenbarungen des Johannes sind von vornherein sehr kompliziert, was einige Leser zwar besonders reizt, viele jedoch auf falsche Fährten führt. Die Erzählungen vom Anfang der Menschheit lesen sich märchenhaft leicht, nähren jedoch sehr naive Gottesvorstellungen und führen viele dazu, dass sie der Kraft und Inhalt unterschätzen. Besser finde ich, ist es, irgendwo mittendrin anzufangen; bei einem Evangelium, bei den Psalmen oder der Weisheitsliteratur. Wer sich lange genug damit beschäftigt, wird nie an ein wirkliches Ende kommen.
Alle Bücher der Bibel kreisen um das große Geheimnis Gottes
Was Bibellesen spannend macht, ist die Vielzahl der Gotteserfahrungen und Gottesbildern, die darin enthalten sind. Sie sind mit keiner Logik auf einen Nenner zu bringen. Jede Epoche und jeder Autor hat sich eigene Fragen bezüglich des Wirkens Gottes gestellt und ein jeweils eigenes Gottesbild entworfen. Alle Bücher der Bibel kreisen um das große Geheimnis Gottes. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Gotteserfahrungen und Gottesvorstellungen ist natürlich sehr verwirrend. Manch einer hört nach ein paar Seiten kopfschüttelnd mit dem Lesen auf und wundert sich, wie diese Texte zur "Heiligen Schrift" werden konnten.
Gerade die Vielfalt der Gotteserfahrungen und -bilder finde ich inspirierend. Auf dem Sinai hat Gott seinem Volk verboten, sich von ihm Kultbilder zu machen. Denn jedes Bild birgt die Gefahr der Vergegenständlichung und Verniedlichung mit sich. Wir können jedoch kaum von Gott sprechen, ohne dass sich in unseren Köpfen bestimmte Vorstellungen von ihm aufbauen. Auch jedes dieser Bilder ist falsch, sobald wir uns auf eines festlegen.
Die Lesungen des Festes der Heiligsten Dreifaltigkeit präsentieren uns eine kleine Auswahl von Gotteserfahrungen und -bildern der Menschen unterschiedlicher Epochen. Da begegnen wir dem Schöpfergott, aus dem alles, was existiert, hervorquillt, der zugleich eine besondere Liebe zur Weisheit hat und spielerisch mit ihr umgeht. Daneben hören wir von einem liebenden Gott, dessen Liebe konkret geworden ist in Jesus Christus und damit Hoffnung in der Bedrängnis gibt. Schließlich wird uns der Messias vorgestellt, der den Geist der Wahrheit verheißt, welcher uns zur Erkenntnis Gottes führen wird.
Gott als Person
Den Christen wird oft vorgehalten, dass ihre Rede von Gott zu kompliziert sei. Für mich ist die Lehre von dem einen Gott in drei Personen eine weitere Stufe im menschlichen Ringen, vom großen und unfassbaren Geheimnis Gottes nicht simplifizierend daherzuschwatzen. Es beinhaltet für mich alle wesentliche Aspekte eines christlichen Gottesbildes: Gott ist Ursprung, Gott ist Kraft, Energie, Gott ist Liebe, Gott ist Fleisch - konkret und angreifbar -, Gott ist Geist, Weisheit, Sinn, Wahrheit...
Besonders kostbar ist für mich, dass Gott Person ist: Ein Du, das mich anspricht, und das ich in dreifacher Gestalt ansprechen kann. Dem liegt die Erfahrung zugrunde, dass auch ich mich selbst als Person erfahre, einmalig uns unverwechselbar; und dass es Menschen gibt, die mich als diese einmalige Person lieben, und dass ich als unverwechselbare Person lieben kann. Dieses Wissen, diese Erfahrung geht unter die Haut, ins Fleisch...
Gott aber kann nicht weniger sein als eines seiner Geschöpfe. Was für uns Menschen zu den höchsten und kostbarsten Werten gehört, muss auch in Gott sein.
Den meisten Menschen fällt es leicht, an "etwas Göttliches" zu glauben, an einen göttlichen Ursprung der Welt und des Kosmos. Dass Gott jedoch Person ist, liebt und die Gemeinschaft mit dem Menschen sucht, ist die große Herausforderung des christlichen Gottesverständnisses.
Die Größe Gottes feiern
Das Fest der Heiligsten Dreifaltigkeit folgt zeitlich auf das Pfingstfest. Es fasst alle großen Feste der Christen zusammen, in denen sie jeweils einen Teilaspekt ihres Glaubens feiern.
Zugleich steht dieses Fest am Beginn des Glaubensalltags der "gewöhnlichen" Sonntage. In unserem Glaubensalltag machen wir unsere ganz persönlichen Gotteserfahrungen und versuchen sie mit unserem Lebenswissen in Einklang zu bringen. An diesem Tag verneigen wir uns vor dem großen Geheimnis Gottes und nehmen die Gewissheit, dass er der "Ich-bin-da" ist, in unseren Alltag hinein.