1. Lesung vom Dreifaltigkeitssonntag, Lesejahr C:
Spr 8,22-31
Lesung aus dem Buch der Sprichwörter:
So spricht die Weisheit Gottes:
Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege,
vor seinen Werken in der Urzeit;
in frühester Zeit wurde ich gebildet,
am Anfang, beim Ursprung der Erde.
Als die Urmeere noch nicht waren, wurde ich geboren,
als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen.
Ehe die Berge eingesenkt wurden,
vor den Hügeln wurde ich geboren.
Noch hatte er die Erde nicht gemacht
und die Fluren und alle Schollen des Festlands.
Als er den Himmel baute, war ich dabei,
als er den Erdkreis abmaß über den Wassern,
als er droben die Wolken befestigte
und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer,
als er dem Meer seine Satzung gab
und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften,
als er die Fundamente der Erde abmaß,
da war ich als geliebtes Kind bei ihm.
Ich war seine Freude Tag für Tag
und spielte vor ihm allezeit.
Ich spielte auf seinem Erdenrund,
und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.
Der Abschnitt aus dem Buch der Sprichwörter führt zurück auf die Geschichte der Schöpfung. Die priesterschriftliche Überlieferung in Gen 1,1-2,4 setzt ein mit: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser." Im Hebräischen ist dafür der weibliche Begriff "ruach" verwendet, das ist der Atem, der Lebenshauch Gottes.
Im Buch der Sprichwörter ist es die Weisheit, welche die "ruach" beerbt und sich in einem Gedicht als erstes Geschöpf Gottes vorstellt. Liebevoll und variantenreich dargestellt, begegnet uns hier die Schöpfungsgeschichte neu geordnet: "Als er den Himmel baute, war ich dabei, als er den Erdkreis abmaß über den Wassern ... als er die Fundamente der Erde abmaß, da war ich als geliebtes Kind bei ihm." Davor und dazwischen: Urmeere und Quellen, Berge und Hügel, Erde, Fluren und Schollen.
Höhepunkt der weisheitlichen Rede ist, dass das "geliebte Kind" allezeit vor IHM spielt, auf "seinem Erdenrund", und von sich sagt: "und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein." Eine schöpferische Leichtigkeit liegt in dem Wort "spielen". Frau Weisheit geht überhaupt spielerisch mit der Schöpfung um, weil das "geliebte Kind" aus den befestigten Wolken und abgemessenen Fundamenten noch etwas anderes bewirkt: "So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört die Mahnung und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind! Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore! Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom Herrn. Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod." (Spr 8:32-36) - Die Schöpfungsgeschichte wird zu einer Wegweisung verdichtet, in der Menschen Halt finden.
Im Buch der Sprichwörter tritt die Weisheit auf die Bühne. Der Evangelist Johannes wird dann den Logos vorstellen: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen." (Joh 1,1-5)
Das Buch der Sprichwörter (im Alten Testament zwischen den Psalmen und Kohelet zu finden) hat in einem ersten Teil zehn Lehrreden über die Weisheit gesammelt. Dabei wird die Weisheit oft als personifizierte Frau dargestellt, die auch selbst zu Wort kommt, wie es unser Abschnitt zeigt. Unsere Frau Weisheit hat für uns ihre Botschaft von Gott. Die Rede der Frau Weisheit setzt mit V. 12 ein und endet mit Mahnungen (Verse 32-36).
In unserem Abschnitt werden folgende Aussagen zur Weisheit gemacht: Sie stammt von Gott und ist das erste seiner Geschöpfe - noch bevor alles andere war. Damit hat sie eine herausragende Stellung: Sie ist Gottes Begleiterin in seinem Schaffen und gleich seinem geliebten Kind. Im letzten Vers unserer Lesung teilt uns die Weisheit ihrerseits ihre Vorliebe mit: Ihre Freude war es, bei den Menschen zu sein. Gottes liebstes Kind, die Weisheit, ist bei den Menschen zu finden! Aus diesem Grund gilt es für den Menschen, sich um die Weisheit zu sorgen, sie zu pflegen und auf ihre Mahnungen zu achten.
Manfred Wussow (2004)
Gabi Ceric (1998)