Einheit in Vielfalt
Wir kennen das Wort von der "Einheit in der Vielfalt". In vielen Lebensbereichen scheint es nur schwer möglich zu sein, unterschiedliche Meinungen, Meinungsgegensätze zuzulassen, etwa in der Politik. Verschiedene Ideologien nach dem Motto "So musst du denken, so musst du handeln, dann gehörst du zu uns!" sind Feinde der Wissenschaft und des Glaubens, weil sie einengen und nur sehr sehr geringe Toleranz zulassen. Das geht vom Staat über Vereinigungen bis in die Familien hinein und zeigt sich in Vereinnahmungen aller Art: manipulierte bis brutale Höflichkeit und auch unverhohlenen Drohgebärden, die durchaus in Gewalttätigkeit ausarten können.
Die erste Lesung und auch das Evangelium sind gute Beispiele dafür. In der zweiten Hälfte des 8. vorchristlichen Jahrhunderts wird Galiläa (Sébulon und Náftali) von den Assyrern annektiert. Das ist eine sehr dunkle, schlimme Zeit für das Volk Israel. Gewalt, Kriegszustände stürzen bis heute Völker in große Not. Gier, Machtgehabe und Intoleranz fördern noch die grauenhaften Zustände, vom Gespräch zur Versöhnung miteinander keine Rede. Das Evangelium zeigt, dass Jesus besonders in dieser Gegend voller Not und Unterdrückung als Hoffnungsträger, als "helles Licht" aufscheint.
Auch die zweite Lesung aus dem 1. Korintherbrief betreibt Ursachenforschung, wenn sie der Frage nachgeht, was die Einheit in der Gemeinde von Korinth gefährdet: Gruppenbildungen und Personenkult, Prestigedenken um Vorrangstellung innerhalb der Gemeinde lassen die Botschaft Jesu vom Liebesgebot verblassen, weil Gerüchte, Vorurteile, Hinterlist, Emotionen verschiedener Art den einzelnen, aber auch die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten besetzt halten.
Zwei große Fragen lassen sich aus den Sonntagslesungen ableiten: Was vertragen wir an Pluralität, was lassen wir zu, ohne feste Standpunkte zu verlieren, ohne in all unserem Denken und Tun durchlässig (=standpunktlos) wie ein Sieb zu sein, denn das führt zu Chaos? Das ist aber ein ganz persönliches Problem.
Wie ist Einheit möglich?
Gibt die Heilige Schrift darüber Auskunft, wie Einheit aussehen soll? In der Apostelgeschichte (2,47) finden wir dazu große Richtlinien: die Gemeinde teilt Hab und Gut miteinander, sie beteten, lasen in der Schrift, sie brachen in den Häusern das Brot und hielten Mahl. Sie bemühten sich also um einen gewissen Ausgleich zwischen arm und reich. Es ist aber auch bekannt, dass diese Ideale nicht durchgehalten wurden, aber bemüht hat man sich darum. Aktualisiert wird diese Einheit in dem einen Evangelium, der einen Taufe, der einen Eucharistie, also des einen Leibes Christi. Somit ist die Kirche der eine Leib Christi mit vielen Gliedern und dem einen Haupt Christus.
Was ist aus diesem Auftrag die "Einheit des Geistes durch Frieden zu bewahren", geworden, damit sich die Kirche als ein Leib, eine gemeinsame Hoffnung zeigt (Eph.4, 2ff.), damit durch die eine Taufe spürbar wird, dass ein Gott und Vater mit uns und in uns Menschen wirkt?
Leider gab es um den Auftrag und die Botschaft Jesu Religionskriege, Ausgrenzungen, Lehrverfahren, aber auch hoffnungsvolle Zeichen in großen Persönlichkeiten, wie etwa der im Jahre 2010 selig gesprochene Kardinal Henry Newman (1801-1890), der auch von der anglikanischen Kirche heutzutage hoch geschätzt wird und der als großer Vordenker für das II. Vatikanum gilt. Das Ökumenedekret des II. Vatikanums geschah unter Mitwirkung des Wiener Kardinals und Konzilsvaters Franz König.
Angesichts des jüngsten blutigen Anschlags auf koptische Christen in Alexandrien werden wir auf die Tatsache aufmerksam gemacht: Kein Friede unter den Nationen, wenn es nicht auch Friede unter den Religionen und Konfessionen gibt (siehe auch Hans Küng: Weltethos).
Mut zum Umdenken
Leider haben wir auch in unserer Kirche Unfrieden und Krisenerscheinungen, angezeigt in Österreich durch 87 393 Austritte im Jahre 2010. Das Wort Jesu von der Umkehr, also weg von Dialogverweigerung und Ausgrenzung ist besonders aktuell. Umkehr verstehe ich im Sinn von Änderung, Anderswerden. Das heißt noch nicht, dass alles besser wird, aber die Ökumene braucht wieder weltkirchlich mehr Bewegung, keinen Beinahestillstand. In der Erzdiözese Wien herrscht aber trotz manchem Rückschritt ein sehr gutes ökumenisches Klima. Es ist schon viel geschehen: Taufe, Vater unser und Credo haben wir gemeinsam - Fast alle christlichen Kirchen. Glauben an die Realpräsenz. Wäre es jetzt nicht endlich an der Zeit den Schritt der ökumenischen Gastfreundschaft zu setzen?
Ein Volk, das im Dunklen sitzt, gilt auch für unsere heutige kirchliche Situation. Es sieht aber (trotz allem) ein helles Licht, denn das Himmelreich ist nahe. Es ist noch nicht erreicht, es hat aber schon begonnen, wenn wir die Bitte Jesu, seinen Auftrag um Einheit und die österlichen Geschenke von Taufe, Eucharistie und Sündenvergebung ernst nehmen und wach halten und nicht zum Streitobjekt für Kirchendisziplin, Zentralismuskritik, Fragen der Sexualmoral verschwenden.