Der Heilige Geist führt uns in die ganze Wahrheit ein, legt Zeugnis für Christus ab und befähigt uns, dass auch wir Zeugnis ablegen.
Advokat Gottes
Dies ist ein großer Tag! Ein Fest! Ein neuer Anwalt ist bestellt. Amtlich. Die Zulassung ist veröffentlicht. Heute sind wir Ehrengäste. Ein Festessen gibt es nachher auch noch. Das Besondere: Der Anwalt ist für uns bestellt! Ein Advokat. Einer, der für uns spricht. Ein Fürsprecher. Das ist eine schöne und in vielen Ländern auch übliche Bezeichnung für einen Anwalt. Es gibt so viele Gegensprecher. Ein Fürsprecher tut gut.
Ist das jetzt für Sie eine Überraschung? Womöglich ein Überfall? Sie wissen gar nichts davon? Wohl wahr, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht wissen, die aber – sozusagen mit himmlischer Weite – in unser Leben kommen. Der gute Geist Gottes gehört dazu. Zu Pfingsten feiern wir das. Ausgeschüttet hat Gott seinen Geist. Wie der Prophet sagt: über alles Fleisch. Über alle Menschen. Nichts hält Gott zurück. Nicht einmal sich selbst. Jetzt neugierig? Der Geist Gottes ist der Beistand, verheißen, mit der Kraft versehen, für uns zu sprechen. Für uns einzutreten. Für mich einzutreten. Manchmal bin ich ein schwieriger Fall!
Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Rom: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wie beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt“ (Röm 8.26.f)
Dass jetzt ein Abenteuer beginnt, können Sie ahnen. Und die Heiligen, von denen Paulus spricht – das sind wir!
Fürsprecher der Liebe
Wenn wir dem Evangelium nachsinnen, finden wir eine Spur. Der Geist Gottes – unser Fürsprecher – wird als Geist der Wahrheit tituliert. Ein sehr großes Wort! Wo wir nicht einmal genau wissen, was Wahrheit ist. Das ist die erste Etappe eines Abenteuers: ein großes Wort neu entdecken. Über die Vielfalt der Begriffe, ihrer Geschichte, wollen wir heute nicht reden. Obwohl das schöne Themen für einen Empfang sind. Erzählen wir lieber, wie es uns mit Wahrheit ergeht.
Viele Menschen spüren deutlich, dass wir mit konkurrierenden Wahrheitsansprüchen täglich herausgefordert werden. Religiös besonders. Die einen sagen das – die anderen dies. Wir werden mit Gegensätzen konfrontiert. Mit Lügen auch. Kaschiert als Wahrheit. Da blickt kein Mensch mehr durch. Immer, wenn Menschen etwas rechtfertigen wollen, nehmen sie die Wahrheit in Geiselhaft, traktieren sie, bis sie tot ist, und setzen ihr dann ein Denkmal. Wenigstens ein Schnäpschen ist dann noch drin – bei der Einweihung. Wir spüren die Angst, die Unsicherheit. Viele Menschen sagen, dass das früher anders gewesen wäre. Aber da früher sowieso alles besser gewesen sein soll, lassen wir uns lieber nicht verführen.
Jeder Mensch muss in seinem Leben herausfinden, was ihn trägt und birgt. Vorgefertigte Antworten taugen nicht viel. Wenn aber der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, sein Plädoyer hält, legt er Zeugnis von Jesus ab. Von seiner grenzenlosen Liebe. Von der Vergebung, die alles neu macht. Von der Auferstehung, die dem Tode trotzt. Wahrheit ist eine Beziehung, eine Liebesbeziehung, eine Begegnung, die alles verändert. Zwischen uns und Gott. Über Sätze lässt sich trefflich streiten, über Begriffe auch, aber Liebe öffnet unser Leben, macht uns frei, lässt uns mit den Engeln neue Lieder singen. Spannenderweise sagt Jesus im Evangelium sogar, dass der Geist der Wahrheit uns in die ganze Wahrheit führen wird. Die ganze Wahrheit! Die ganze Wahrheit ist aber kein geschlossenes System, von dem die Gelehrten träumen (und geträumt haben), sondern die Heimat Gottes. Die ganze Wahrheit ist auch keine geschlossene Akte, in der alles steht (sogar das, was Menschen denken, aber nie gesagt haben), sondern die Liebe Gottes. Die ganze Wahrheit – das ist die Wahrheit, die uns „ganz“, die uns „heil“ macht. Wahrheiten, die gegeneinander gehalten werden, die um Köpfe gehauen werden, die Menschen von Menschen trennen – sie mögen sich auf Gott berufen, aber von ihm kommen sie nicht.
Jesus sagt: "Der Geist der Wahrheit wird mich verherrlichen; Denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden."
Verkünden heißt: Wir bekommen etwas von ihm. Wir werden freigesprochen, frei gemacht, zur Freiheit berufen. Es ist die Freiheit der Liebe.
Zeugen der Liebe
Zu Pfingsten, Geburtstag der Kirche, werden auch in vielen ökumenischen Gottesdiensten die großen Taten Gottes verkündigt und gerühmt. Es ist nicht schön, nur unter sich zu sein. Sich mit sich zufrieden zu geben. Nichts Größeres mehr zu erwarten. In diesem Jahr haben wir ein besonderes Jubiläum: 500 Jahre Reformation. Für viele ist es – wieder – nur ein Lutherjahr. Doch der Horizont ist viel weiter, die Farben viel prächtiger, die Geschichten viel größer. Über Gräben, Verwerfungen und Rechthabereien müssen wir reden (eben auch über konkurrierende Wahrheitsansprüche), aber der Geist der Wahrheit bringt uns dazu, das zu machen, was Jesus versprochen – und zugesagt – hat: "Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid."
Auf der Zunge zergeht: Weil wir von Anfang an bei ihm, Jesus, sind, legen wir für ihn Zeugnis ab. Von Anfang an! Wir sind seine Zeugen. Jetzt ist der Geist der Wahrheit in seinem Element. Er wirkt wie Feuer, er wirkt wie Sturm. Die alte Geschichte erzählt davon. Von dem Wunder, dass sich alle verstehen. Mehr noch: ihn, Jesus, verstehen. Ganz einfach gesagt: Liebe, seine Liebe.
Ein Dienst der Liebe ist es, wenn Christen, unabhängig von Konfession und Tradition, für Wahrheit und Gerechtigkeit eintreten, Worthülsen aufstechen und den Stummen und Verstummten eine Stimme, ein Gesicht geben. Der Geist der Wahrheit kann manchmal nicht mehr machen – als Zeugnis ablegen. Aber ein Wort kann die ganze Welt aufbrechen. Und ein neuer Geist die Welt verwandeln.
Eine neue Rolle
Dies ist ein großer Tag! Ein Fest! Neue Anwalt sind bestellt. Amtlich. Die Zulassung ist veröffentlicht. Heute sind wir mehr als Gäste. Ein Festessen gibt es nachher auch noch. Am Tisch des Herrn. Das Besondere: Wir werden als Anwälte bestellt! Advokaten. Menschen, die für andere sprechen. Fürsprecher. Es gibt so viele Gegensprecher. Ich möchte ein Fürsprecher sein!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus, unserem Herrn.
Wolfgang Jungmayr (2003)