Der Wunsch, in den Himmel, ins Paradies zu kommen, gehört zu den Grundsehnsüchten, auf welche viele Religionen eine Antwort geben. Und sie bieten Rituale an; sie geben Gebote und Regeln vor, an die man sich halten muss. Daher liegt der junge Mann im Evangelium ganz im Trend, wenn er Jesus fragt: "Was muss ich tun?" Oder noch besser: "Was soll ich noch alles tun?" Diese Frage hat mir zu denken gegeben - und ich möchte ihr entlang weiterdenken.
Kann man das ewige Leben gewinnen?
Da ist ein junger Mann, der hat alle Gebote befolgt. Und er erkennt, dass Jesus ein weiser, ein guter Mensch ist, ein "guter Meister", wie er ihn bezeichnet. Vielleicht kann er ihm helfen in seiner Sinnfrage, in seiner Suche nach einem gelingenden Leben, das in das ewige Leben mündet? Und so fragt er Jesus: "Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?"
Für mich ist dies nicht nur eine Frage, sondern auch eine Aussage über sein Gottesbild und sein Glaubensverständnis: Denn er meint offensichtlich, dass er nur genügend tun muss, um das ewige Leben zu erlangen; dass es darauf ankommt, möglichst alle Gebote zu halten, dann ist das Himmelreich verdient. Dabei vergisst er aber, dass man das ewige Leben eigentlich gar nicht gewinnen, sondern nur verlieren kann, denn es gehört uns ja schon! Er glaubt an einen Gott, der eine Leistung von ihm verlangt, an einen Gott, der mitrechnet, ob er wohl genug gute Taten aufweist - doch dieser Gott hat ihm vor aller Leistung schon das Leben geschenkt. Er hält sich an die Gebote - und vergisst, dass der Übergabe der Gebote an Moses und das Volk die Rettung Israels am Schilfmeer vorausging. Das Halten der Gebote ist somit die Bedingung, um gerettet zu werden, sondern die Antwort auf Gottes Handeln.
Was mich an unserem christlich-jüdischen Glauben so fasziniert ist: Ich muss gerade nicht zuerst was leisten, um von Gott geliebt zu werden; ich muss ihn auch nicht besänftigen, gnädig stimmen ... - sondern (wie Jesus es sagt): Gott ist der Gute; er ist die Liebe; er liebt mich, einen jeden, eine jede von uns - und zwar vor aller Leistung; nicht, weil ich so gut, so brav bin, sondern weil ich sein Kind, weil ich Kind Gottes bin!
Die Gefahr des Besitzes
Nun gibt es also keine Leistung, mit der man sich den Himmel verdienen könnte. Dennoch ist es nicht ganz egal, wie man handelt. Und daher gibt Jesus dem Mann doch einen Auftrag, mit dem dieser nicht gerechnet hatte. Er fordert ihn auf: "Geh, verkauf alles was du hast, und gib das Geld den Armen!" Es ist eine Forderung, die dem jungen Mann bei all seiner Gesetzestreue und all seinem Wunsch nach dem ewigen Leben zu extrem ist. Er möchte die Sicherheit des Lebens nicht aufgeben für die Unsicherheit der Gefolgschaft Jesu.
Es wäre nun leicht, mit dem Finger auf ihn zu zeigen, weil er dazu nicht bereit ist. Doch steht er stellvertretend für die meisten Christen seit der Urkirche. Denn damit ist der Stachel der Besitzlosigkeit dem Christentum von Anfang an eingesetzt. Es wurde nie das generelle Lebensprinzip der Christen, völlig besitzlos zu sein. Und nur wenige Menschen haben es geschafft, diese Radikalität aufzubringen, wirklich alles für ein Leben in der Nachfolge herzugeben: vor wenigen Tagen haben wir einen davon, Franz von Assisi, gefeiert.
Jesus sagt aber auch nicht, dass nur die Besitzlosen ins Himmelreich kommen; er meint nur: Besitz und großer Reichtum stellen eine Gefahr dar. Die Gefahr lautet: Der Besitz könnte dazu führen zu meinen, ich kann mir selber alles leisten oder alles richten; ich bin nicht abhängig von anderen. Und das kann zur Frage führen: Wozu brauche ich da einen Gott?
In ähnlicher Weise heißt es in Lk 12,33f: "Verkauft eure Habe, und gebt den Erlös den Armen! Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz." Damit ist der Reichtum nicht grundsätzlich als schlecht eingestuft. Aber er ist relativiert: Denn die Hauptfrage ist, was man mit den jeweiligen Besitztümern macht. Letztlich stellt Jesus die Frage, woran denn das Herz des Menschen eigentlich hängt.
Die doppelte Befreiung Jesu
Deshalb sehe ich in diesen Worten Jesu eine doppelte Befreiung grundgelegt. Denn Jesus meint, dass es ohne (oder mit wenig) Besitz leichter ist, frei zu sein für andere - und letztlich auch frei zu sein für Gott. Die eine Befreiung ist somit jene aus falschen Abhängigkeit; eine Befreiung davon, an seine Besitzungen und die Bewahrung des Besitzes zu denken, die frei macht, sich um andere Menschen zu sorgen und den Blick auf sie und ihre Bedürfnisse zu richten.
Die zweite Befreiung, die Jesus dem Mann anbietet, ist die Befreiung aus dem Leistungsdruck des Glaubens: Er bietet dem Mann an, dass er nicht so sehr penibel auf die Einhaltung aller einzelnen Gebote achten muss, sondern sich auf das Wesentliche konzentrieren kann. Aus diesem Grund fasst Jesus auch die Vielzahl der zu haltenden Gebote zusammen im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe (Mt 22,37-40).
Verleihe mir Weisheit!
Wie es anders auch gehen kann, das zeigt uns schließlich die Lesung aus dem alttestamentlichen Weisheitsbuch. Sie nimmt Bezug auf den König Salomo, dem zu Beginn seiner Regierung Gott in der Nacht erscheint und sagt: "Sprich eine Bitte aus, die ich dir gewähren soll." (2Chr 1,7) Und Salomo verlangt nicht Ruhm, oder Macht, oder Geld - sondern er sagt: "Verleih mir Weisheit und Einsicht." -
Und der Beter in der heutigen Lesung (in dem die Tradition Salomo wiedererkennt) sagt dasselbe: Weisheit und Klugheit zieht er allem Gold und allem Besitz vor. Er hat nichts einzuwenden gegen Geld - aber noch viel wichtiger ist ihm Weisheit, weil sie unvergänglich ist; weil sie nicht verfallen kann.
Die wahre Weisheit ist es, sein Herz an die richtigen Dinge zu hängen. Weisheit hilft, mit dem Besitz so umzugehen, dass man nicht von ihm besessen ist. Damit wird der Reichtum nicht abgewertet - ganz im Gegenteil: Die Bibel schätzt Reichtum und Besitz an sich sehr hoch ein und er gilt als Geschenk Gottes und als Erweis, dass jemand von Gott geliebt ist. Doch die große Frage ist eben, wie klug man mit dieser Gabe Gottes umgeht.
Ein solcher weiser Umgang wird von Sannyasi, einem indischen Wandermönch, berichtet:
"Der Sannyasi hatte den Dorfrand erreicht und ließ sich unter einem Baum nieder, um dort die Nacht zu verbringen, als ein Dorfbewohner angerannt kam und sagte: 'Der Stein! Gib mir den kostbaren Stein!' 'Welchen Stein?' fragte der Sannyasi. 'Letzte Nacht erschien mir Gott Shiwa im Traum', sprach der Dörfler, 'und sagte mir, ich würde bei Einbruch der Dunkelheit am Dorfrand einen Sannyasi finden, der mir einen kostbaren Stein geben würde, so dass ich für immer reich wäre.' Der Sannyasi durchwühlte seinen Sack und zog einen kostbaren Stein heraus. 'Wahrscheinlich meinte er diesen hier', als er dem Dörfler den Stein gab. 'Ich fand ihn vor einigen Tagen auf einem Waldweg. Du kannst ihn natürlich haben.' Staunend betrachtete der Mann den Stein. Es war ein Diamant. Wahrscheinlich der größte Diamant der Welt, denn er war so groß wie ein menschlicher Kopf. Er nahm den Diamant und ging weg. Die ganze Nacht wälzte er sich in seinem Bett und konnte nicht schlafen. Am nächsten Tag weckte er den Sannyasi bei Anbruch der Dämmerung und sagte: 'Gib mir den Reichtum, der es dir ermöglichte, diesen Diamanten so leichten Herzens wegzugeben.'"
Wo dein Schatz ist, da ist dein Herz
Nochmals die Eingangsfrage: "Was muss ich tun um das ewige Leben zu erlangen?" - Die entlastende Antwort der heutigen Schriftstellen auf diese Frage lautet: Ich muss Gott nicht erst gnädig stimmen, denn er liebt mich wie ich bin. Ich muss mir auch den Himmel nicht verdienen, denn er gehört mir grundsätzlich als Kind Gottes ja schon.
Dennoch ist damit nicht einem Relativismus das Wort geredet: dass es sowieso gleich ist, was man tut. Denn ich kann mir mit meinem Tun den Weg zu diesem Himmelreich auch verbauen; ihn mühsam machen oder auf Abwege geraten. Die Gefahr zu solchen Abwegen sieht Jesus in großem Besitz gegeben, weshalb er dazu rät, diesen abzulegen bzw. für die Armen einzusetzen.
Wenn auch für die meisten von uns wohl nicht die radikale Besitzlosigkeit einzelner Heiliger oder Ordensleute den gangbaren Weg darstellt, so bleibt dennoch die Frage als Stachel und Mahnung bestehen, die da lautet: Woran hänge ich mein Herz? Denn dort, wo mein Schatz ist, da ist auch mein Herz.
Martin Stewen (2000)
Reinhard Gruber (1997)