Wir sind gewohnt, allem auf den Grund zu gehen, nach den Ursachen zu fragen, Hintergründe zu erforschen. Wenn wir dem Geheimnis der Geburt des Messias auf den Grund gehen wollen, müssen wir die biologische, menschliche Ebene hinter uns lassen und uns wie der Evangelist Matthäus auf eine theologische Ebene begeben. Er will den heilsgeschichtlichen Hintergrund ergründen.
Josef, lieber Josef mein
Endlich! Endlich ist Josef einmal die Hauptfigur. Wenigstens heute. In ein paar Tagen wird er als Krippenfigur wie sein eigener Großvater im Stall stehen. Alt. Ziemlich alt. So alt, dass wir mit einem blinzelnden Auge nach Maria schauen, wie sie sich in den verlieben konnte. Die beiden sind doch verlobt. Sie wohnen noch nicht zusammen. Aber sie träumen von einer gemeinsamen Zukunft.
Im Hohelied – das ist ein Liebeslied im Alten Testament, in der hebräischen Bibel – wird die Sehnsucht besungen:
„Da – die Stimme meines Freundes!
Er ist’s. Er kommt!
Hüpft. Springt.
Wie eine Gazelle, wie ein junger Hirsch.
Da – da steht er schon hinter unsrer Wand .
Sieht durchs Fenster…
Blickt durchs Gitter…
Mein Freund antwortet und spricht zu mir:
Steh auf meine Freundin, meine Schöne,
komm her!“
(Hdl. 2,8f)
Bei Josef hat Maria Herzklopfen. Und Josef ist kein Weg zu weit. Um zu ihr zu kommen. Ob die beiden das Lied kannten? Vielleicht.
Irgendwann fällt es dann aber auf. Maria ist schwanger. Zählen wir eins und eins zusammen, gibt es auch einen Vater. Nur: Josef weiß von nichts. Was mag wohl durch seinen Kopf gehen, sein Herz zerreißen?
Matthäus, der die Geschichte in einem ungeheuren Schwung erzählt, hält sich nicht einmal damit auf, ein Gespräch, gar einen Streit zwischen den beiden zu berichten. Josef, heißt es nur, sei lieb zu ihr gewesen – im Text „gerecht“ – und wollte sich zurückziehen. Josef, lieber Josef mein!
Ein Traum
Dann die Nacht. In der Nacht, wenn sich Gedanken verheddern, wenn Ängste hoch kommen und Zweifel, wenn die Erde wankt, wenn ein Mensch ganz alleine ist mit sich - dann wird ein Engel kommen mit einem neuen Gedanken, er wird das Herz aufschließen, er wird den Himmel öffnen..
Matthäus erzählt von einem Traum.
„Josef, Sohn Davids,
fürchte dich nicht,
Maria als deine Frau zu dir zu nehmen;
denn das Kind, das sie erwartet,
ist vom Heiligen Geist.
Sie wird einen Sohn gebären;
ihm sollst du den Namen Jesus geben;
denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“
Ein Traum! So ein Traum? Die Wahrheit - ein Traum?
Ein Traum wird es immer sein: Gott möchte Mensch werden. Er birgt sich in einem Bauch. Er lässt sich streicheln. Er wird wohl auch aufmüpfig. Ein Kind, das die Welt erobert. Erst mit kleinen Schritten, dann mit großen. Mitten in seinem Volk fängt Gott neu an. Als Kind. Ein unbeschriebenes Blatt. Mehr Zukunft als Vergangenheit. Offene Augen – jeden Tag etwas Neues. Gott hat sich Maria ausgesucht – und den Josef auch. Josef soll dem Kind sogar einen Namen geben – wie alle Väter ihren Kindern einen Namen geben. Dieses Kind soll den Namen Jesus haben. Jehoschua oder Jeschua ist eigentlich ein gewöhnlicher Jungennamen – nichts Heiliges ist an ihm. Aber wird der Name übersetzt, ist Gott der Retter. Ein alter Traum. Größer als alle Träume sein können.
Doch hätte es damals schon eine Geburtsurkunde gegeben, ständen auf ihr der Name des Kindes: Jesus und die Namen der Eltern: Maria und Josef. Mit Siegel. Den Traum kennt der Standesbeamte nicht. Auf die Idee, Gott als Vater einzusetzen, kann er nicht kommen. Wie glücklich wir uns schätzen können, das zu wissen. Jetzt aber ranken sich die schönsten und größten, aber auch die unheimlichsten und befremdlichsten Geschichten um diesen Namen – um den Namen Jesus. Die einen lieben ihn über alles, für andere ist er nur ein Hassobjekt. Matthäus wird auch das erzählen: die Geschichte von der Flucht nach Ägypten – und dass Jesus ans Kreuz geschlagen wird. Jesus – Gott rettet!
Jungfrauengeburt
Darf ich raten, welche Gedanken Ihnen durch den Kopf gehen? Unter dem Namen „Jungfrauengeburt“ hat sich eine lange Geschichte angestaut, die kein moderner Mensch mehr glauben könne. Sagt man. Vielleicht reden wir auch deswegen so verschämt darüber – oder irritiert?
Falsch verstanden, wird man schnell einsam. Ich weiß. Glücklicher wird man, wenn man einem Geheimnis nahe kommt. Wie wird Gott denn Vater? Er wird Vater – mit seinem Wort. Sein Wort nimmt Gestalt an in einem Menschen, es wächst in einem Menschen, es wird von einem Menschen geboren. Die jüdische Überlieferung, die im Evangelium zu finden ist, weiß zu erzählen, dass es eine Empfängnis durch das Ohr gibt – ein Mensch geht schwanger mit dem Wort, das zu ihm kommt. Im Johannesevangelium heißt es, ganz am Anfang, vor allem anderen: Das Wort wurde Fleisch.
In mittelalterlichen Bildern sieht man den Engel Gabriel, wie er zu Maria kommt. Seinem Gewand sieht man den Schwung an. Die ganze Szene ist Bewegung – und Begegnung. Aus dem Himmel schaut Gott auf Maria (und uns) – und eine fast unsichtbare Taube, sie steht für den Heiligen Geist – fliegt zum Ohr der Maria. Oder ist schon ganz dicht an ihrem Ohr. Maria wird in der Regel mit einem Buch dargestellt. Sie liest – und was liest sie? Sie liest die alten Verheißungen, das Versprechen Gottes, mit seiner Liebe sein Volk, alle Menschen zu retten. Die alte Wendung lautet: von ihren Sünden zu erlösen. Es ist eine große Sehnsucht. Sie ist bis zum heutigen Tag nicht erloschen. Die Sehnsucht, dass die Welt heil wird, dass die Zerrissenheit ein Ende findet, dass der Hass keinen Raum mehr hat. Dass Gott kommt!
Gleichzeitig wird das Geheimnis sichtbar, dass Jesus von Gott kommt, mehr, sein Sohn ist. Diese Beziehung ist es, die Göttliches und Menschliches verbindet. In dem Kind, auf das wir uns freuen, kommt Gott zu uns – wird uns Gott fremd, lächelt uns ein Mensch an. Jesus. Redet er, hören wir den Vater. Heilt er, sehen wir den Vater.
In einem Mariengebet heißt es:
Maria, ich nenne dich Schwester
Ich sehe dein junges Gesicht
Ich spüre dein Sehnen und Träumen
Wir trauen gemeinsam dem Licht
Wir tragen gemeinsam das Wort der Verheißung
Wir bringen es zur Welt.
(GL 10, Christa Peikert-Flaspöhler)
Ich sehe, ich spüre dich – wir trauen, wir tragen. Das Wort der Verheißung.
Immanuel
Im Evangelium hören wir:
"Dies alles ist geschehen,
damit sich erfüllte,
was der Herr durch den Propheten gesagt hat:
Siehe: Die Jungfrau wird empfangen
und einen Sohn gebären
und sie werden ihm den Namen Immanuel geben,
das heißt übersetzt: Gott mit uns."
Typisch Matthäus: „damit sich erfüllte“. Matthäus, gerade er, führt uns in die Gemeinschaft der Menschen, die den Verheißungen Gottes trauen. Über alle Fragen und Zweifel, die Menschen teilen oder verschweigen. Dabei fällt auf, dass das, was sich erfüllt, wörtlich bei dem Propheten Jesaja zu finden ist. Hat Matthäus abgeschrieben? Das auch. Matthäus zitiert! Oder, neudeutsch, Matthäus hat die Texte verlinkt! Heute merken wir das in der alttestamentlichen Lesung und im Evangelium.
Immanuel! Gott mit uns. Hier schließt sich ein Kreis. Wir sehnen uns mit den vielen Menschen, die vor uns gelebt und geglaubt haben, nach einem Zeichen, dass wir geliebt sind, nicht verloren gehen, gar Gottes neuen Anfang feiern können. Die Menschen, mit denen wir leben – die Welt, die wir lieben, hat eine Zukunft. Wir sehnen uns danach, dass die vielen verhängnisvollen Entwicklungen, die Schuldverstrickungen, die Hasstiraden überwunden werden. Wir sehnen uns nach einem Zeichen – der Liebe.
Gottes Zeichen, Gottes Machtwort ist: Ich werde Mensch.
Am Morgen
Endlich! Endlich ist Josef einmal die Hauptfigur. Wenigstens heute. Er wacht auf. Die Sonne geht auf. Und was macht er? Er nimmt Maria in den Arm, er sagt „ja“ zu ihr, sie werden heiraten. Sie werden eine Familie. Dass es bei ihnen zu einer „heiligen Familie“ gereicht, war ihnen nicht in die Wiege gelegt. Ich darf jetzt aber einen schönen und jungen Josef an der Krippe sehen. Und die glücklichen Gesichter der beiden.
Das war der Traum! Josef, fürchte dich nicht!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Norbert Riebartsch (2006)
Martin Stewen (2004)
Anna und Alois Mantler-Schermann (1998)