Niemand möchte vergessen werden
Die Seelsorge in unserem Altenpflegeheim wird vor allem von einem Team ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter getragen. Sie besuchen die Bewohner des Heimes regelmäßig und sind ihnen behilflich, dass sie die Gottesdienste in der Hauskapelle mitfeiern können. Sie bringen sie mit den Rollstühlen in die Kapelle und begleiten sie nach dem Gottesdienst wieder zurück in die Zimmer.
Einmal ist es passiert, dass eine Frau nach der Gottesdienstfeier in der Kapelle einige Minuten warten musste, bis eine Mitarbeiterin sie in ihr Zimmer zurückbringen konnte. Dieses Alleinsein löste in dieser Frau eine Panik aus. Es überkam sie plötzlich die Befürchtung, man habe sie vergessen. Seitdem meidet sie die gemeinsamen Gottesdienste aus Angst, sie könne vergessen werden. Sie legt jedoch Wert darauf, dass man ihr nach dem Gottesdienst die hl. Kommunion in ihr Zimmer bringt. Ich kann mir die Panik dieser Frau nur damit erklären, dass durch diese Panne bei ihr eine menschliche Urangst ausgelöst wurde. Die Urangst vergessen zu werden.
Durch den Propheten Jesaja lässt Gott seinem Volk ausrichten: "Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände." (Jes 49,15-16a). Diese Zusage Gottes gilt auch für uns. Schließlich sind wir durch die Taufe Kinder Gottes geworden, Schwestern und Brüder seines Sohnes Jesus Christus.
Darauf gründet sich auch unsere Hoffnung, dass unser Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist. In diesem festen Glauben hat Jesus sich selbst seinen Gegnern ausgeliefert und hat sich kreuzigen lassen. Er war sich gewiss, sein Vater vergisst ihn nicht und überlässt ihn nicht dem Tod.
"Der Tod ist mit Abstand die beste Erfindung des Lebens..."
Der Evangelist Johannes erzählt uns (Joh 11,1-44) von einer tiefen Freundschaft zu Martha, Maria und Lazarus, drei Geschwistern, in deren Haus er immer wieder einkehrte. Als Lazarus todkrank war, schickten seine Schwestern Boten zu Jesus in der Hoffnung, dass er komme und ihren Bruder vor dem Tod bewahre. Jesus lässt sich aber viel Zeit, bevor er aufbricht, um die Schwestern aufzusuchen. Zu viel zeit, um ihn vor dem Tod zu bewahren. Als er bei den Schwestern ankam, lag Lazarus bereits vier Tag im Grab. Jesus setzt ein Zeichen und holt ihn aus dem Grab zurück ins Leben. Er demonstriert damit: er hat seinen Freund nicht vergessen, auch wenn er ihm das Sterben nicht erspart hat.
Auch wir dürfen gewiss sein, dass Gott unsere Toten nicht vergessen hat, auch wenn er ihnen das Sterben nicht erspart hat. Tod und Sterben sind ein wichtiger Teil unseres Lebens. Wir können uns nicht ausdenken, wie es wäre, wenn die Menschen nicht sterben müssten.
Steve Jobs, der legendäre Erfinder und Begründer des Computerkonzerns Apple, ist vor wenigen Tagen an einer unheilbaren Krebserkrankung gestorben. Vor einigen Jahren, als er selbst schon von seiner Krankheit gezeichnet war, sagte er vor einer Versammlung von Studierenden: "Niemand will sterben." Aber: "Der Tod ist mit Abstand die beste Erfindung des Lebens...", und: "Er räumt das Alte weg, damit Platz für Neues geschaffen wird." Solche Sätze tun weh, wenn wir an den Tod unserer Lieben denken. Und dennoch beinhalten sie eine Wahrheit, mit der wir leben müssen.
Gott vergisst nicht, die er liebt
Als gläubige Menschen brauchen wir aber nicht an dieser Stelle stehen bleiben. Die Schranke, die wir selbst nicht überwinden können, wird aufgehoben vom Schöpfer, der uns das Leben geschenkt hat, weil er uns liebt. Er vergisst nicht, die er liebt.
Und deshalb vergessen auch wir unsere Lieben nicht. Wir wissen sie gut aufgehoben bei Gott, dem Erfinder des Lebens.