Eines der kürzesten Bücher der Bibel enthält die Erzählung vom Propheten Jona. Bedeutung erlangt hat diese Geschichte vor allem durch Jesus. Als er aufgefordert wurde, Wunder zu wirken, um sich als Prophet oder Messias auszuweisen, hat er zur Antwort gegeben: Euch wird kein anderes Zeichen gegeben werden als das des Jona (Mt 16,4, Mt 12,39-42 und Lk 11,29-32).
Jona wollte vor der Aufgabe, die Stadt Ninive zu bekehren, davonlaufen. Auf der Flucht gerät er in einen Seesturm und landet in Bauch eines großen Fisches. Dies ist ein Bild für das Abstürzen in die äußerste Dunkelheit des Lebens. Im Bauch des Fisches geht Jona in sich, er wendet sich Gott zu und beginnt zu beten. Gott erhört sein Gebet, und der Fisch speit Jona an Land. Widerwillig geht er an seine Aufgabe und siehe da: Ninive bekehrt sich. Und so ist Jona zum Retter für diese große Stadt geworden.
Was Jesus mit dem Zeichen des Jona gemeint hat, ist erst im Nachhinein verständlich geworden. Er selbst ist in die äußerste Dunkelheit menschlichen Lebens hinabgestiegen: In die Erfahrung von Gottverlassenheit, des Scheiterns, des Sterbens in Verachtung und Schande. Doch Gott hat ihn nach drei Tagen wieder ans Licht des Lebens geholt und ihn zum Licht des Lebens gemacht.
Die beiden Jünger, von denen wir heute im Evangelium gehört haben, wissen das alles noch nicht. Sie wurden selbst vom Absturz Jesu mit hinunter gerissen in eine Verdunkelung ihres Lebens. Mit der Hinrichtung Jesu sind alle ihre Hoffnungen geplatzt: Ihre Zukunftsträume vom Reich des Messias und Friedenskönig haben sich als Illusion erwiesen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen und dort ihr altes Leben fortzusetzen. Noch haben sie keine Ahnung davon, dass Jesus sein Messias-sein ganzanders verstanden hat.
Depression
Viele Menschen, die mit der Kirche mitleben und mitfühlen, sind in den letzten Wochen auch in ein dunkles Loch hinab gerissen worden. Was da an Fehlern geistlicher Würdenträger bekannt geworden ist, ist für sie unfassbar. Viele wurden in ihrem Vertrauen in die Katholische Kirche tief erschüttert.
In gewisser Weise durchfluten sie ähnliche Gefühle wie die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus. Erst im Gespräch mit dem Fremden lernen diese das bisher Erlebte und Gehörte in einem neuen Zusammenhang zu sehen und zu deuten. Beim gemeinsamen Mahl mit dem Fremden gehen ihnen die Augen auf und sie begreifen, dass der Messias lebt und dass ihre Hoffnungen nicht tot sind. Sie werden noch einige Zeit der Aufarbeitung brauchen, bis ihnen klarer wird, dass sie die Idee vom Messias und Friedenskönig in einem viel größeren Zusammenhang sehen und denken müssen.
Was können wir uns von den Emmausjüngern abschauen?
Erstens: Den Mut zur Wahrheit.
Ein Teil der derzeitigen Kirchenkrise scheint mir zu sein, dass wir uns gerne mit den schönen und angenehmen Wahrheiten zufrieden geben. Den dunklen Wahrheiten weichen wir gerne aus, wir blenden sei aus oder verdrängen sie gar. So machen wir es mit dem Tod, dem Leiden, mit den persönlichen Schwächen. . . So haben wir - mit "wir" meine ich weite Teile der Kirche - es gemacht mit den dunklen Seiten der Sexualität, mit der unheiligen Allianz von Religion und Macht.
Sicherheitshalber haben wir in der Vergangenheit (und manche halten auch heute noch verbissen daran fest) fast alles im Bereich der Sexualität zur schweren Sünde erklärt, bis niemand mehr die gepredigt Moral ernst nahm, bzw. man aufhörte, in diesem Zusammenhang auch über Moral zu reden. So viel Beschäftigung mit allen Möglichkeiten der Sexualität wäre ja auch schon wieder Sünde gewesen. . .
Und mit Machtausübung hatte doch niemand etwas auf dem Hut. Die Sanftheit hatten wir alle von Jesus persönlich ins Herz geschrieben. Nur mit der Gewissenskontrolle im Rahmen der Beichte und der Sozialkontrolle "der Gemeinde" hatten wir alle unsere Not.
Wer nicht rechtzeitig lernt, um mögliche Abgründe ausreichend zu wissen und mit den dunklen Seiten des Lebens umzugehen, kann allzu leicht stolpern. Wie leicht naiver Umgang mit Sexualität und mit familiärer oder religiöser Autorität zum Verhängnis werden kann, lehren uns die Märchen. Doch wer glaubt noch an Mächen? Wir sind ja aufgeklärt.
Jesus ist hinabgestiegen in das "Reich des Todes", in die Hölle - einschließlich die menschlichen Höllen, von denen das Fernsehen und andere Medien leben -, in das Reich der Unterwelt und hat durch seine Auseinandersetzung mit dem Bösen das Böse überwunden. Der vielbeschworene "Mut zur Wahrheit" beinhaltet für mich neben dem Offenlegen von Unrecht auch die Auseinandersetzung mit allen menschlichen Kräften und Abgründen.
Was können wir uns von den Emmausjüngern abschauen?
Zweitens: Den Mut zum offenen und persönlichen Gespräch.
Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus diskutierten nicht nur darüber, was geschehen war und was das bedeuten könnte. Sie teilen sich auch in ihrer ganz persönlichen Betroffenheit mit: "Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde." Sie sprechen ganz konkret über ihre ganz persönlichen Hoffnungen und Enttäuschungen.
In der Seelsorgsarbeit stoße ich immer wieder auf die Unfähigkeit, über das zu sprechen, was uns im Innersten persönlich bewegt. Was wir in unserem Herzen wirklich glauben, denken, fühlen, verbergen wir sehr oft sogar vor jenen Menschen, die uns am nächsten stehen und mit denen wir das Leben teilen. Wir haben Scheu, über unsere Not mit dem Glauben oder gar über unsere Not mit der Moral zu sprechen, weil dadurch das schöne Bild, das sich andere von uns machen sollen, beschädigt werden könnte.
Ich sehe eine große seelsorgliche Aufgabe darin, gesprächsfähig und gesprächsbereit zu werden, das wirklich persönliche Miteinander-Reden zu erlernen. Dazu braucht es Vorbedingungen wie Vertrautheit, wechselseitige Akzeptanz und nicht zuletzt Diskretion. In der Kirche wird zwar viel geredet. Aber selten reden wir miteinander. Meist reden wir aufeinander ein, werfen einander an den Kopf, was die jeweils anderen tun sollten. Wir sichern uns voreinander ab, denn alles, was wir äußern, kann unter Umständen gegen uns verwendet werden.
Wo Menschen vorbehaltlos wie die Emmausjünger einander anvertrauen können, was sie bewegt, entsteht Verbundenheit, Gemeinschaft. Nicht selten werden solche Gespräche als heilsam erlebt.
Was können wir uns von den Emmausjüngern abschauen?
Drittens: Den Mut, einen eigenen, persönlichen Weg zu gehen.
Das Gehen ist in der Erzählung von den Emmausjüngern nicht eine zufällige Nebensache. Im Gehen verändert sich ihre Sichtweise wer Welt und des Lebens. Im Vorangehen wächst auch unser Glaube. Im Miteinandergehen, im Aufeinanderzugehen ergeben sich Begegnungen, begegnet uns, wenn die Zeit dazu reif ist, der Auferstandene.
Der Weg der beiden Jünger führt zunächst weg von Jerusalem. Das bereitet denen Sorge, die alle zusammenhalten wollen/sollen. Auch von den anderen Jüngern wird erzählt, dass sie zurück nach Galiläa gegangen seien. Erst dort begegneten sie dem Auferstandenen. Früher oder später kehren alle nach Jerusalem zurück als im Glauben Gereifte, Verwandelte.
Die Chance der Krise
In diesem Sinne vertraue ich darauf, dass die gegenwärtige Krise eine Chance ist, dass der Weg aus der Depression uns zu größerer Klarheit führt und dass sie eine Gelegenheit ist, dem Auferstandenen in unserer Zeit zu begegnen.