Im Zeugnis tritt der Mensch für etwas ein, was andere nicht in gleicher Weise erfahren können. Der Zeuge bringt etwas zur Sprache, was uns gewöhnlich verborgen ist. Wenn es uns, wie wir sagen, überzeugt, dann können wir es uns auch zu Eigen machen. Je verborgener die im Zeugnis an den Tag gebrachte Wahrheit ist, wie zum Beispiel die Liebe der Menschen untereinander oder die Wirklichkeit Gottes, um so notwendiger bedarf es eines Zeugnisses, das diese Verborgenheit überwindet und die Wahrheit lichtet.
Auf den Zeugen kommt es an. Er tritt ganz und gar, total engagiert für die Wahrheit der Sache oder der Person ein, um die es geht. Der Zeuge spielt nicht mit der Sache, er probiert nicht bloß. Er kann sich nur entschieden und ohne Zweideutigkeit für seine Sache verwenden. Es kommt auf den Zeugen an in seiner Einmaligkeit, seiner Unabhängigkeit und seiner Verbindlichkeit. Wir fordern von ihm ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Sonst trauen wir ihm nicht. Dieses »Ich« des Zeugen ist wichtig. Darum möchten die Gegner eines bestimmten Zeugnisses den Zeugen selbst als Person vernichten. Es ist darum kein Zufall, dass der Märtyrer das Urbild des Zeugen darstellt, der unter Einsatz seines Lebens und unerschrocken vor Drohungen für die Wahrheit bürgt. Aber es ist wichtig zu sehen, dass es dabei nicht um die Person des Zeugen für sich allein geht. Der Mensch wird nicht Zeuge um seiner selbst willen. Er tritt ganz zurück hinter der Wahrheit, für die er einsteht. Darum gibt es bei jedem Zeugen zwei Dinge, die sonst kaum zusammenpassen: Leidenschaft und Gelassenheit. Der Eifer, mit dem jemand für seine Sache kämpft, hat freilich nichts zu tun mit einem unerleuchteten Fanatismus. Er kann gelassen sein, weil das, was im Zeugnis ans Licht kommt, großer ist und am Ende sich selbst durchsetzen kann.
Ein wirklicher Zeuge hat etwas Unwiderstehliches an sich. So wie der Zeuge alles auf eine Karte setzt, macht er auch alle, die das Zeugnis trifft, betroffen. Ein Zeuge von Rang weckt diejenigen, die es sehen und hören, auf, wirft ein eigenes Licht in ihr Herz und bringt sie neu zu sich selbst. Wir sind - und dies ärgert uns manchmal - gegenüber einem wirklichen Zeugen ein Stück weit ohnmächtig und müssen uns vom Licht der Wahrheit überwältigen lassen. Dies gilt für einen Zeugen und für die bezeugte Sache. Darum ist mancher Zeuge ärgerlich.
Die Diktatoren aller Art möchten ihn darum gerne aus der Welt schaffen. Er stört sie bei ihrem Spiel mit der Macht und den Interessen. Ein echter Zeuge steht immer in Lebensgefahr. Denken wir nur an Johannes den Täufer.
Die Formen dieses Zeugnisses können verschieden sein. Nicht immer stehen das Wort und das Sprechen im Vordergrund. Das gelebte Zeugnis, das keine großen Worte macht, darf nicht gering geschätzt werden. Es gibt Orte in unserer Welt, wo das faktisch gelebte Zeugnis mehr Eindruck und vielleicht auch mehr Glaubwürdigkeit schafft als viele Erklärungen. Ich denke an die stille Hilfe, die jemand einem anderen leistet, an die treue Solidarität kranken und behinderten Menschen gegenüber, an die Verlässlichkeit am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft. Der barmherzige Samariter macht nicht viele Worte, er verbindet zielstrebig die Wunden. Die Kraft zu diesem Zeugnis hängt auch nicht zuerst oder allein ab von einer Ausbildung, sondern hat ihren Grund in einer oft verborgenen Herzensbildung. Wo ein Christ in seinem Beruf unbestechlich ist, Verantwortung übernimmt, sich für die anderen und das Gemeinwohl einsetzt, ist er ein solcher Zeuge. Es kommt vielleicht nicht immer sofort an den Tag, woraus einer lebt. Aber die Menschen spüren bald, dass hier einer die Überzeugung hat: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Ähnlich ist es auch in der Lebensgemeinschaft von Ehe und Familie. Hier findet im Alltag oft ein wortarmer Austausch des Glaubenszeugnisses statt. Die Zeichen und
Gebärden, zum Beispiel das Reichen der Hand zur Versöhnung nach einem Streit und das Kreuzzeichen, sind ebenso zu nennen wie das gemeinsame Beten bei Tisch oder das besinnliche Gespräch am Abend. Mütter und Väter, die ihrem Kind den Glauben vermitteln und es an ihrer eigenen Hoffnung teilhaben lassen, geben ein wesentliches Zeugnis. Aber auch Kinder können die besten Missionare ihrer Eltern sein, wenn sie zum Beispiel von den religiösen Erfahrungen im Kindergarten zu Hause erzählen, Freude und Zuversicht ausstrahlen und weitere Fragen Vorbringen. Ich nenne hier aber auch das heute oft unterschätzte Zeugnis des Christen im öffentlichen Leben, bis hinein in die politische Mitverantwortung in Parteien. Politik ist nicht einfach ein »schmutziges Geschäft«, vor dem man sich in die wirkliche oder auch vermeintliche Sauberkeit des privaten Lebens zurückziehen dürfte, vielmehr ist der Einsatz des Christen in allen Fragen der Gestaltung der Gesellschaft in ganz besonderer Weise herausgefordert. Auch dies kann ein Zeugnis sein, wenn es nicht zuerst um der eigenen Karriere willen oder gar durchsichtiger Interessen wegen ausgeübt wird, sondern wirklich ein Dienst am Ganzen ist. Ein solcher Auftrag wird heute in der Kirche viel zu wenig geschätzt.
Es gibt freilich nicht nur dieses Zeugnis im Alltag unseres Lebens. Es muss auch in solchen Situationen den Mut zum Bekenntnis geben. Wir dürfen nicht verschweigen, wo unsere Hoffnung gründet. Man kann auf die Dauer nicht aus einer Quelle leben, die man stets verleugnet. Darum heißt es in der Heiligen Schrift: »Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig« (1 Petr 3,15b. l6a). Der öffentliche Mut zum Bekenntnis gehört in die Mitte des Glaubens. Es gibt viele Übergänge in diesem Zeugnis des Wortes. Dazu gehören Geduld und Takt, aber man darf sie nicht verwechseln mit falscher Scham und Feigheit. Dieses Zeugnis beginnt bereits beim offenen geschwisterlichen Gespräch über den Glauben. Hier tun wir uns immer noch sehr schwer. Aber wie wollen wir anderen Zeugnis geben, wenn wir nicht wenigstens in unseren engsten Lebenskreisen über den Glauben zu sprechen lernen!
Der Glaube braucht Mut zum öffentlichen Bekenntnis wie der Fisch das Wasser. Es ist sicher eine Sache derer, die Verantwortung tragen in der Kirche, ein solches Wort zur rechten Zeit deutlich zu sagen. Auch die Verkündigung und die Glaubensunterweisung aller Spielarten verlangen stets von allen, die von der Kirche zu diesem Dienst bestellt sind, Entschiedenheit und das, was der heilige Paulus »Freimut« (par- rhesia) nennt. Dies ist nicht nur Zivilcourage, sondern auch Treue zum Evangelium, ob es anderen passt oder nicht.
Es wäre jedoch falsch, hier immer alles von den Amtsträgern zu erwarten. Kirche ist nicht »Amtskirche«. Jeder hat aufgrund von Glaube, Taufe und Firmung eine innere Verpflichtung zum Bekenntnis und auch zum Wort. Dieses öffentliche Zeugnis für den Glauben vonsei- ten aller Christen fehlt uns heute ganz besonders. Ich denke an Stellungnahmen zum Beispiel für das Leben des ungeborenen Kindes, die Würde von Kranken, Behinderten und Sterbenden, aber auch an die meist schweigende Mehrheit, wenn es um der Freiheit der Kunst und der Medien willen nicht selten um eine Verunglimpfung der Kirche und eine Diskriminierung der Glaubenden geht. Der Glaube darf keine Angst haben vor solchen Einmischungen und Eingriffen in das öffentliche Gespräch. Der Christ als Zeuge darf sich dabei freilich nicht über Unverständnis, Widerstand und vielleicht auch Spott und Hohn wundern.
Aus: Karl Kardinal Lehmann, Frei vor Gott. Glauben in öffentlicher Verantwortung. Herder Verlag, Freiburg Basel Wien 2003.
Karl Gravogl (1998)