Lesung aus dem Buch Jesaja:
So spricht der Herr:
Ich kenne die Taten und die Gedanken aller Nationen und Sprachen
und komme, um sie zu versammeln,
und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen.
Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf
und schicke von ihnen einige, die entronnen sind,
zu den Nationen, zu den fernen Inseln,
die noch keine Kunde von mir gehört
und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben.
Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Nationen verkünden.
Sie werden alle eure Brüder aus allen Nationen
als Opfergabe für den Herrn herbeibringen
auf Rossen und Wagen,
in Sänften, auf Maultieren und Kamelen,
zu meinem heiligen Berg nach Jerusalem, spricht der Herr,
so wie die Söhne Israels
ihre Opfergabe in reinen Gefäßen zum Haus des Herrn bringen.
Und auch aus ihnen
nehme ich einige zu levitischen Priestern, spricht der Herr.
Die Lesung aus dem dritten Teil des Buches Jesaja ("Tritojesaja", Jes 55-66) schenkt uns einen Blick in die prophetische Verkündigung der nachexilischen Zeit.
Wie bescheiden war doch der Neuanfang nach der babylonischen Ära, die so tiefe Spuren hinterlassen hatte - Spuren in den Biographien, aber auch in den Dörfern und Landschaften der alten Heimat. Vieles war kaputt gegangen. Auch Hoffnungen waren zerbrochen. Mit ihnen der Glaube vieler. Doch der Prophet, geistig verwandt mit seinen Vorgängern, spiegelt nicht nur die Enttäuschungen und Anstrengungen, sondern wagt einen weiten Blick. Jahwe ruft alle Völker zusammen. Sie werden kommen und seine Herrlichkeit sehen. Gemeint ist auch, dass sein Volk in einem neuen Licht erscheint. Niederlage und Schmach sind verwandelt.
Schon der zweite Jesaja ("Deuterojesaja", Jes 40-54) hatte in der Verbannung unter den Exilierten die alten Verheißungen neu ausgelegt. In einer Vision sieht er die Völker zum Zion wallfahren. Jahwe versammelt die ganze Welt um sich. Die (Götter der) Völker können keine Einwände erheben.
Beim dritten Jesaja fällt besonders auf, wie sensibel er die Zerstreuung (Diaspora) wahrnimmt, die für viele Menschen seines Volkes inzwischen die Lebensperspektiven bestimmt. Sie leben unter den anderen Völkern. Ein Phänomen, das die jüdische Geschichte bis in die Gegenwart bestimmt. Für diese Menschen sieht der Prophet den Auftrag Jahwes, seine Größe unter den Völkern zu verkünden. Für sie bewahrt er aber auch die Hoffnung einer prächtigen Rückkehr auf. Israel, das an lange und beschwerliche Fußmärsche zurückdenkt und an Trennungen, die Familien und Dörfer zerrissen haben, sieht sich in Jerusalem zusammenkommen. Das Ziel: Gottes heiliger Berg, der Zion.
Der Schlusssatz enthüllt, dass Jahwe auch Menschen, die nicht mehr in ihrer alten Heimat mit ihren Überlieferungen zu Hause sind, in seinen Dienst beruft. Der Prophet greift das Bild einer Opferprozession auf, die neue Züge bekommt Die Brüder aus der Fremde werden als Opfergabe für Jahwe vorgestellt. Es ist eine mutige Verkündigung, für Menschen in historischen Umbrüchen Bund und Treue Jahwes auszulegen.
Die vorliegenden Verse wurden redaktionell angefügt, um das Gesamtbuch abzuschließen. Alle Völker werden sich bekehren und die Verstreuten Israels nach Jerusalem als Opfergabe für Gott zurückführen, aber die ewigen Verheißungen empfängt Israel.
Zwei Bewegungen greifen hier ineinander: Die exklusive Erwählung des Volkes Israel durch den Herrn und das alle Völker der Erde einschließende Schauen der Herrlichkeit Gottes. Mehrfach geht es bei Jesaja darum, dass alle Völker sich zu Gott bekehren, ja dass die ersten "Missionare" Gottes, von denen in Jes 66,19 die Rede ist, Heiden waren. Das Motiv, dass Jerusalem den Mittelpunkt des messianischen Reiches und somit auch den Mittelpunkt aller Völker bildet, findet sich bereits in Jes 2,3. In Jes 25,6 wird für alle Völker auf dem Berg Zion ein Festmahl gegeben, und auch in Jes 60,3 wandern alle Völker zum Licht des Herrn.
Wenn Jesus davon spricht, dass man aus allen Himmelsrichtungen kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen wird (vgl. Lk 13,29), dann ist eine Assoziation zum Jesajabuch nicht ausgeschlossen. Die Botschaft vom Reich Gottes geht in die ganze Welt. Gott kennt die Gedanken der Völker aller Sprachen (vgl. Jes 66,18). Entscheidend ist und bleibt, dass auch die Menschen sein Wirken in der Geschichte wahrzunehmen wissen und das eigene Handeln danach ausrichten.
Armin Hoppe
Die Lesung ist dem Schluss des Tritojesaja (Jes 56-66) entnommen. Von 56,1-8 ist der Bogen gespannt nach 66,18-24; das Grundthema ist die Verheißung Jahwes, sein Volk zu versammeln aus allen Völkern. Nach den Worten vom Gericht durch das Feuer Jahwes (66,16), das zum vorangegangenen Sonntag passt (vgl. Lk 12,49-53 vom 20. Sonntag im Jahreskreis), ist das Hauptmotiv der letzten Verse des Jesaja das "Kommen": der Herr wird kommen - und die Völker werden zum Herrn kommen.
Es ist der große Schluss des apokalyptischen Gerichtes: Der Herr schickt Missionare aus, um allen Völkern seine Herrlichkeit bekanntzumachen und um alle Völker zusammenzuholen. Diese kommen und beten an. Die, die zuvor verfolgt waren, werden am Ende triumphieren über ihre Verfolger (vgl. Vers 24).
Es sollten alle Schlussverse (18-24) (siehe ungekürzte Fassung) gelesen werden, trotz der abschreckenden Schlußworte in Vers 24; die große jüdische Tradition wiederholt Vers 23 nach Vers 24, um in positiver Grundstimmung zu schließen.
Manfred Wussow (2004)
Gastautor*in (2001)
Johann Pock (1998)