Lesung aus dem Hebräerbrief.
Er, der heiligt,
und sie, die geheiligt werden,
stammen alle aus Einem;
darum schämt er sich nicht, sie Brüder zu nennen
und zu sagen:
Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden,
inmitten der Gemeinde dich preisen;
und ferner:
Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir geschenkt hat.
Da nun die Kinder von Fleisch und Blut sind,
hat auch er in gleicher Weise daran Anteil genommen,
um durch den Tod den zu entmachten,
der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel,
und um die zu befreien,
die durch die Furcht vor dem Tod
ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren.
Denn er nimmt sich keineswegs der Engel an,
sondern der Nachkommen Abrahams nimmt er sich an.
Darum musste er in allem seinen Brüdern gleich sein,
um ein barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott zu sein
und die Sünden des Volkes zu sühnen.
Denn da er gelitten hat und selbst in Versuchung geführt wurde,
kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden.
Eine gut und wohl durchfeilte Rede ist dieser Hebräerbrief und wird somit zu Recht als Predigt bezeichnet. Mit einem Brief im direkten Sinne hat er demnach nichts zu tun. Der Verfasser hält sich auch nicht an das antike Briefmuster. Weil der Text ständig Bezug nimmt auf Schriftstellen des Alten Bundes, meinte man, es sei ein an Judenchristen adressierter Brief. Somit die Bezeichnung: Hebräerbrief. Der Verfasser wendet sich an eine Gemeinde, in der es mit dem Glauben an Christus nicht mehr zum Besten bestellt ist. Laxheit, ja sogar Glaubensabfall haben sich eingeschlichen. Den gemeinsamen Gottesdienst besuchen anscheinend viele nur mehr oder gerade noch aus Gewohnheit. Der Heilsbotschaft stehen die Christen nur mehr schwerhörig gegenüber. Der Schreiber befürchtet, die Gemeinde könnte überhaupt zu Fall kommen, wie dies bereits das Volk des Alten Bundes mehrfach vorexerziert hat. Dem wird nun die Wesensverwandtschaft von Erlöser und Erlösenden gegenübergestellt. Jesus gehört zum Seinsbereich Gottes und zugleich zu den Menschen. Er stammt von Gott und kann sich zugleich zu den Menschen / Brüdern bekennen. Die Wesensverwandtschaft zwischen Erlöser und Erlösenden wird unterstrichen. Ich und Kinder meint die Zusammengehörigkeit zwischen Jesus und den Glaubenden. Durch diese Beziehung wirkt sich der universale Heilswille Gottes auf die Menschen aus. Durch die Annahme von Fleisch und Blut und somit auch des Todes gelangt er zum Heil und dies ist auch der Weg der Menschen. Dadurch redet der Verfasser des Textes wider einen herrschenden Heils- und Lebenspessimismus. Durch den Tod und die Auferstehung Jesu wird die Todesmacht und die Satansmacht überwunden und dies wird den Glaubenden zuteil. Wie Gott sich auf die Seite dieses Jesus gestellt, stellt er sich auf die Seite der Menschen. Und dieser Jesus ist nicht nur eine geschichtslose Gestalt. Was diesem Jesus zuteil wurde, wird allen zuteil. Gott ließ ihn nicht im Tod, sondern erhöhte ihn zu sich.
Alfons Jestl (2003)