Gedanken zum Weltflüchtlingstag
Der biblische Gott, so wie wir ihn aus Texten des Alten und Neuen Testaments kennen, ist ein „Gott der Fremden“: der Gott des Volkes Israel führte die Hebräer aus Ägypten, dem Land in dem sie Fremde und daher Sklaven und Rechtlose waren. In der vierzigjährigen Wüstenwanderung entwickelten sich die Israeliten zu einem eigenen Volk mit sozialen Strukturen und einem Gesetzescodex, der sich nach dem Offenbarungsverständnis Jahwes, - im Sinne eines Gottes, der da ist und sein Volk beschützt, - orientiert. Gleichzeitig bleibt Gott für die Israeliten ein Fremder, Jahwe ist unvorstellbar, unsagbar und unnennbar; Gott entzieht sich der menschlichen Vorstellung und jeder rationalen Erklärung. Gott muss fremd bleiben, denn damit bleibt die Hoffnung auf Gottes Wiederkehr, auf die Ankunft des Messias lebendig.
In Lk 9,18-24, dem heutigen Text des Evangeliums, wird Jesus von seinen Jüngern, allen voran von Petrus, als Messias erkannt und benannt: Jesus ist der Sohn des lebendigen Gottes, durch seine Ankunft erfüllen sich das Schriftwort und die Weissagungen der Propheten Israels. Christus, der Messias, begegnet uns heute im Nächsten, im Fremden und Flüchtling, im Arbeitslosen oder sozial Gefährdeten, etc.
Wie erleben wir Christen und Menschen, die sich zu Jesus bekennen, den Umgang mit Fremden heute? Was verbinden wir mit „Fremde“ oder „Fremdsein“? - Verschiedene Aspekte und Dimensionen sind darin beinhaltet, einige sollen hier angesprochen werden:
Anziehend und ängstigend zugleich
Das Fremde, das Unbekannte ist oft etwas, was uns einerseits fasziniert und anzieht und andererseits verunsichert und Angst macht. Das Fremde begegnet uns dabei auch oft in uns selbst, wenn wir uns selbst nicht verstehen; oder im anderen, auch wenn wir ihn/sie noch so gut kennen.
Menschen aus anderen Kulturen würden wir wohl in erster Linie als Fremde bezeichnen, da uns ihre Verhaltens- und Denkweisen nicht vertraut sind und verunsichern.
Fremde Menschen oder Flüchtlinge ängstigen uns; sie erinnern uns an unsere europäische Geschichte der Nachkriegsjahre, auch damals mussten viele Menschen aus unseren Regionen flüchten. Wir vergessen dabei oft, dass auch unsere älteren Generationen viel Hilfe erfahren haben. Diese Erinnerung könnte uns helfen, heute ganz konkret unseren Wohlstand mit Fremden/Flüchtlingen zu teilen.
Richten wir unseren Blick auf die Bibel: im Alten Testament finden sich viele Erfahrungen des Fremdseins: Abraham, der wegzieht in ein fremdes Land oder Mose, der mit dem Volk in der Fremde ist. Gott selbst hatte keinen fixen Ort der Verehrung: die Bundeslade war transportabel und wurde überallhin mitgenommen. Es ist bezeichnend, dass Gott als Hirte, der führt, oder als Schutzpatron gesehen wird. Der Glaube des Volkes Israel und unser christlicher Glaube können daher auch als eine „Migrant/innen-Religion“ bezeichnet werden: der Blick liegt auf dem Lebensrecht und den Schutz der ankommenden Fremden und nicht auf der eingesessenen Mehrheitsgesellschaft. Gott ist Anwalt der Fremden, er soll ihr Lebensrecht durchsetzen, damit diese Menschen gleichberechtigt in ihrer neuen Heimat leben können (vgl. Ps 39, 136).
Doch das Fremdenrecht, das sich im Alten Testament findet, wurde in der Geschichte Israels nicht immer praktiziert. Es besagt, dass Fremde, Waisen und Witwen eines besonderen Schutzes bedürfen. Die Fremden sind „Gottes Lieblinge“, es gilt folgende Vorschrift: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (Lev 19,33f). Die Fremden, die in Israel lebten, hatten nicht nur Rechte und besonderen Schutz, sondern sie mussten auch Pflichten erfüllen, d. h. sie waren den heimischen Menschen gleichgestellt.
Vertraut und dennoch fremd
Gott selbst ist uns einerseits vertraut und andererseits doch fremd. Im Neuen Testament begegnen wir Jesus, einem Mensch, der einer von uns ist, und doch war Jesus zutiefst anders und kam aus einer anderen Welt. Jesus ist der Messias, der Gesalbte Gottes. Er wird „in seinem Eigentum“ nicht aufgenommen und als Sohn des Zimmermanns bleibt er für viele in seiner eigentlichen Berufung fremd. Seine Botschaft ist für viele „befremdlich“ und irritierend. In der Begegnung mit fremden Menschen wird Jesu Anliegen deutlich: Das Beispiel des Barmherzigen Samariters zeigt, dass auch ein Frommer dem Fremden zur Hilfe verpflichtet ist. Zum Hochzeitsmahl, zu dem die Geladenen keine Zeit hatten, wurden „Wildfremde“ eingeladen und es wurde mit ihnen gefeiert, als seien sie Freunde. In der Rede vom Weltgericht (Mt 25) nennt Jesus als Gerichtskriterium, „einen obdachlosen Fremden“ aufzunehmen.
Gottesbegegnung wird durch Jesus, den Christus, möglich. Jesus möchte uns auf besondere Weise im Fremden begegnen. Seine Verheißung gilt noch heute: Wer einen Fremden aufnimmt, nimmt Jesus auf und kommt Gott ganz nahe!
Die jüdische Tradition versucht aus der Kraft der Erinnerung das Leben positiv zu verändern. Diese jüdische Ethik des Erinnerns führt zur Erlösung. Im Erinnern an und im Meditieren über das Leid, das die Israeliten in der ägyptischen Gefangenschaft erlebt haben, gelingt es, verinnerlichte Gewalt-Erfahrungen und Ungerechtigkeiten loszulassen, unser Verhalten ins Gegenteil zu verändern: In den Geboten gibt Gott uns Lebens- und Weisheitsregeln, wie gesellschaftliches Zusammenleben gelingen kann. Das „du sollst“ ist Gottes Einladung zur Freiheit, zum Mut, ungerechte Strukturen und Gewaltverhältnisse umzukehren und menschenwürdige Handlungsschritte zu setzen.
Der Messias verkündet die Befreiung aller Menschen
Das Messiasbekenntnis im heutigen Text, die Bezeichnung Jesus als der Sohn des lebendigen Gottes, kündigt im Evangelium eine große Wende an und hat besondere Bedeutung: die Jünger Jesu erkennen Jesus als den Messias an; damit nimmt das Anliegen Jesu auf die Verbreitung der frohen Botschaft und die Formung der ersten Gläubigen bzw. ihren Gemeinschaften konkrete Formen an. Mit Hilfe des sich Erinnerns und der befreienden Botschaft Gottes, die durch Jesus lebendig geworden ist, werden die Gesetze des Alten Testamentes und das Evangelium zusammengeführt, die Befreiung aller Menschen beginnt. Als Gemeinschaft der Gläubigen haben wir die Möglichkeit, soziale und gerechte Strukturen in unserer Kirche und in der Gesellschaft zu unterstützen, die frohe Botschaft des Evangeliums kann dadurch für alle Menschen spürbar werden.
Impulse zur Predigt:
Das Fremdenrecht des Alten Testaments zu Herzen genommen könnte einiges verändern: der Fremde gelte unter euch wie ein Einheimischer! Denn auch wir als getaufte Christen und Christinnen sind in gewisser Weise „weltfremd“, stehen zwischen zwei Welten und erwarten unsere eigentliche Heimat im Himmel!
Lassen wir uns auf diesen Fremden ein: sei es die türkische Frau in der Nachbarwohnung, das Kind aus Syrien in der Klasse meines Sohnes oder der afrikanische Zeitungsverkäufer auf der Landstraße! Dabei könnte ein Lächeln anstelle eines finsteren Blickes oder ein wohlwollender Gedanke statt misstrauischer Vorurteile schon einiges verändern.
Nehmen wir uns Zeit zum Erinnern: an die ältere und jüngere Geschichte Europas, an Situationen von Heimatlosigkeit und Vertriebensein, an politische Umbrüche in den 90er Jahren; damit wir Wärme und Mitgefühl aufbringen können für die Menschen in Österreich, die aufgrund verschiedenster Gründe als Flüchtlinge gekommen sind und Schutz und Wohnrecht brauchen.
Wir alle sind Menschen; betrachten wir die Trennung von Einheimischen und Fremden, Bürgerin und Asylantin kritisch; engagieren wir uns für die Verbesserung des österreichischen Fremdengesetzes und für mehr Integrationsmöglichkeiten von Migrant/innen.
Mag.a (FH) Helga Prühlinger und Mag.a Maria Fischer
Weitere Infos und Aktionen zum Weltflüchtlingstag:
www.umbrella-march-linz.at
Referat Schubhaftseelsorge, Pastoralamt, Kapuzinerstr. 84, 4020 Linz
Flüchtlingshilfe der Caritas der Diözese Linz, Hafnerstr. 28, 4020 Linz.
Norbert Riebartsch (2004)
Hans Hütter (1998)