Lesung aus dem Buch Íjob.
Der Herr antwortete dem Íjob aus dem Wettersturm
und sprach:
Wer verschloss das Meer mit Toren,
als schäumend es dem Mutterschoß entquoll,
als Wolken ich zum Kleid ihm machte,
ihm zur Windel dunklen Dunst,
als ich ihm ausbrach meine Grenze,
ihm Tor und Riegel setzte
und sprach: Bis hierher darfst du und nicht weiter,
hier muss sich legen deiner Wogen Stolz?
Als alttestamentliche Lesung - diese wird normalerweise auf den Evangelienabschnitt des jeweiligen Sonntags hin ausgewählt - werden einige Verse aus dem Buch Ijob vorgetragen. Diese haben einen doppelten Bezug zum Evangelium dieses Sonntags.
Das Buch Ijob besteht - eingefasst in eine Rahmenerzählung - aus einer langen Abfolge von Reden und Gegenreden wie bei einer Gerichtssitzung. In ihnen geht es um ein Verstehen der Leiderfahrungen des Menschen, insbesondere um das Leiden des Gerechten, um das Leiden, das sich nicht als Folge eigener Schuld erklären lässt. Dieses Leid behält trotz aller Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche etwas Unverstehbares, Unfassbares. Der Mensch ist dem Leid ausgeliefert wie den Naturgewalten. Ijob vertraut trotz aller Unbegreiflichkeit Gott und bekennt: "Ich habe erkannt, dass du alles vermagst." (42,2). Dieses Bekenntnis entspricht in einer anderen literarischen Form dem Glauben, der in der Erzählung vom Seesturm (Evangelium) gefordert wird.
Die zweite Klammer zwischen erster Lesung und Evangelium ist mit dem Motiv des Meeres gegeben. Die Verse der Lesung sind der ersten Verteidigungsrede Gottes gegenüber Ijob entnommen. Diese Rede reiht vom Menschen unbeantwortbare Fragen aneinander und demonstriert in eindrucksvollenBildern die Überlegenheit des Schöpfers. Gott ist Herr über die ganze Schöpfung und über die Kräfte der Natur. Der Mensch kann dabei nicht mitreden.
(Meines Erachtens empfiehlt es sich, einen längeren Abschnitt aus dieser Rede vorzutragen, als die Leseordnung es vorsieht, damit das ehrfürchtige Staunen vor dem Schöpfer sich entfalten kann. Ich schlage die Verse 38,1-11 vor.)
Das Buch Ijob ist eines der Hauptwerke der Weltliteratur, benannt nach der zentralen Gestalt der Erzählung, da der Verfasser unbekannt ist. Er griff bei diesem Werk auf eine alte Volksüberlieferung von einem vorbildlichen, frommen und gerechten Mann zurück, der von Gott hart geprüft wird. Im alten Israel war der Glaube weit verbreitet, daß es dem guten Menschen in seinem Leben gut, dem Sünder dagegen schlecht ergeht. Leid ist folglich eine Strafe für begangene Sünden. Ijobs Freunde vertreten diese Ansicht. Der Protagonist selbst wehrt sich allerdings mit Entschiedenheit dagegen. Er weiß sich keiner Schuld bewußt, das Leid trifft ihn schuldlos. Schließlich klagt Ijob Gott selbst an, der ihm dann auch antwortet und darauf hinweist, daß es einem Menschen unmöglich sei, die Pläne Gottes zu verstehen. Ijob ergibt sich schließlich demütig in den Willen Gottes.
Das Buch Ijob zeigt uns einen Menschen in unsagbarem Leid, der aber Gott größer sein läßt. Das Leid der Menschen bleibt ein ungelöstes Rätsel, das sich einem vernunftmäßigem Erfassen entzieht.
Im vorliegenden Textabschnitt, der zur sogenannten "Ersten Rede Gottes" gehört, antwortet Gott dem Ijob mit einem Hinweis auf seine Weisheit, die sich in seiner Schöpfung zeigt. Wer sich in Gott geborgen weiß, der sieht seine ungelösten Probleme in einem neuen Licht und kann sich mit seinem Leid versöhnen, so wie das aufbrausende Meer sich beruhigt, wenn Gott sein mächtiges Wort spricht.
Hans Hütter (2000)
Reinhard Gruber (1997)