Bewunderung
Mein Freund Lukas erzählt die Geschichten von Jesus einfach nur meisterhaft. Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll: Dass es eine Sünderin endlich einmal schafft, in das Esszimmer eines frommen Menschen zu gelangen? Dass es zu einer intimen, liebevollen, ja zärtlichen Begegnung zwischen Jesus und der Sünderin kommt? Dass Jesus ausspricht, was in diesen vier Wänden noch keinem Menschen gesagt wurde: Deine Sünden sind dir vergeben?
Apropos Sünderin: Wissen Sie, was diese Frau mit sich herumschleppt? Richtig ist, dass der Phantasie - und dem Klatsch - keine Grenze gesetzt ist. Jedenfalls waren auch die unzähligen Ausleger und Interpreten unzufrieden mit dem, was Lukas eben nicht erzählt. Pssst, sie haben aus ihr eine Prostituierte gemacht. Eine pikante Note. Mit Blick auf dieses Haus! Ob die Frau so eine war? Lukas hält ihre Geschichte offen. So können andere Menschen, die ausgegrenzt werden, sich mit Schuldvorwürfen konfrontiert sehen, auf Abwege geraten sind, in dieser Geschichte Platz nehmen. Mein Freund Lukas erzählt auch die Geschichten von Menschen meisterhaft. Diskret, mitfühlend und mit dem Vertrauen, dass ihn alle schon richtig verstehen.
Eine Rolle möchte ich auch haben: Wenigstens die eines Gastes!
Von hinten, von unten
Die Geschichte ist schnell erzählt. Eine Frau aus der Stadt, als Sünderin bekannt, nutzt die Gelegenheit, Jesus mit ihrer Liebe zu überschütten. Mit Öl, Tränen und Küssen. Mit Fußküssen. Sie, die ganz unten ist, erhebt sich nicht.
Verständlich wird diese schöne Szene, von Künstlern oft und gerne gemalt, wenn wir an die alten Sitten und Gebräuche denken: Anders als bei uns - heute - sitzen Gäste und Gastgeber nicht an einem Tisch, sondern liegen, entspannt, auf Polstern. Die Oberkörper abgestützt auf einem der Arme. Die Füße recken sich nach hinten. Sie sind staubig, oft auch verschwitzt, manchmal auch von langen Wegen gezeichnet. Was für eine Wohltat, wenn Sklaven sie mit frischem Wasser waschen und mit weichen Tüchern abtrocknen! Was für eine Wohltat, wenn in kleinerer Besetzung - ohne Sklaven - einfach Wasser gereicht wird.
Aber heute scheint etwas schief gelaufen zu sein - die Füße wurden wohl übersehen. In den Worten Jesu ist ein gewisser Vorwurf nicht zu überhören:
"Als ich in dein Haus kam,
hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben;
sie aber hat ihre Tränen über meinen Füßen vergossen
und sie mit ihrem Haar abgetrocknet.
Du hast mir (zur Begrüßung) keinen Kuss gegeben;
sie aber hat mir, seit ich hier bin, unaufhörlich die Füße geküsst.
Du hast mir nicht das Haar mit Öl gesalbt;
sie aber hat mir mit ihrem wohlriechenden Öl die Füße gesalbt."
Es sind die kleinen Beobachtungen am Rande, die dieser Geschichte einen besonderen Glanz verleihen: Die Frau kommt von hinten, sie kommt einfach, sie ist auch nicht geladen, sie fragt nicht einmal, ob sie darf. Was sie mitbringt, ist kostbar: Wohlriechendes Öl - und ihre eigene Geschichte, ihre Liebe, ihre Zuneigung. Und Jesus lässt das mit sich geschehen, Jesus nimmt an - und: Jesus kommentiert. Nicht bissig, nicht verletzend, aber auch nicht zu überhören.
Ich weiß schon, warum ich wenigstens Gast sein möchte.
In der Schar der Gäste
Reihen wir uns doch einmal ein in die Schar der Gäste: Als Gast sehe ich:
die fromme Mauer, die auch aus den eigenen vier Wänden ein Gefängnis macht,
Schubladen, in die Menschen nicht passen, aber hineingesteckt werden,
Vorurteile, die sich mit der Wahrheit schmücken.
Dann kommt der Deckel drauf.
Ein Mensch, so gefangen, steht nicht mehr auf.
Als Gast sehe ich:
Menschen, die aus ihren Schublade aufbrechen, den Kopf erheben und einfach kommen.
Was die Leuten sagen werden, spielt einmal keine Rolle.
Die Tränen dürfen heraus. Sie sind kostbar wie Öl.
Ein Mensch, so frei, geht in kein Gefängnis mehr zurück.
Als Gast sehe ich:
Jesus. Er ist auch nur ein Gast. Ein befremdlicher dazu.
Weil er fromme Mauern sprengt.
Weil er Liebe annimmt.
Weil er Liebe schenkt.
Ein Mensch, der ihm begegnet, wird es sogar mit dem Tod aufnehmen.
Manchmal können Gäste so viel sehen!
Was im Kopf abgeht
Eine Entdeckung hat Lukas in dieser Geschichte kunstvoll versteckt. Lukas entdeckt - Gedanken! Eine ungewohnte Perspektive, hinter die Fassaden zu schauen. Da ist davon die Rede, dass der Pharisäer, im Übrigen ein angesehener, frommer Mensch, über den sich keiner erheben mag, bei sich denkt: "Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müßte er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt"
Ein Glücksfall: Wir sehen einen Menschen in den Kopf. In einem Kopf sind die Gedanken schneller als Worte, die mit der Uhr gemessen werden können - und mutiger als Worte, die sich nicht trauen, den Mund zu verlassen. Verräterisch nur, was der eine von dem anderen erwartet: Er müsste wissen! Wie oft mir das auch durch den Kopf geht - unheimlich.
Was allerdings zu wissen ist, steht am Ende. Die Gäste denken - endlich!
"Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?" Am Schluss kommt, wenn auch noch fragend und tastend heraus, dass Menschen wissen, Gott selbst begegnet zu sein. Es ist wie am ersten Tag, als ER sagte: Es werde Licht. So beginnt die Geschichte des Lebens. Hier ausgesprochen in den Worten: Deine Sünden sind dir vergeben. Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden. - Was aus der Frau geworden ist, erzählt Lukas nicht. Ihre Spur verliert sich. Sie war auf einmal da. Sie verschwand auch so schnell, wie sie gekommen war. Aber wir haben etwas gesehen!
Deine Sünden sind dir vergeben
Mein Freund Lukas erzählt die Geschichten von Jesus einfach nur meisterhaft. Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll: dass eine Sünderin die Hauptrolle bekommt? Dass ich Gast bin, Augenzeuge sozusagen? Dass Vergebung bei Gott erste Wahl ist - und letztes Wort?
Lukas beschließt die Geschichte im Übrigen mit einem kleinen Satz:
"Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen."
Jetzt weiß ich, dass ich mehr bin als nur - Gast.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Martin Schachinger (1998)
Martin Stewen (2001)